Es gibt sie noch keine 90 Jahre, dennoch heißen sie Ewigkeitschemikalien: Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS), die mit der Teflonpfanne („Tefal“) vor 70 Jahren ihren Siegeszug in vielen Anwendungsgebieten begannen. Inzwischen gibt es mehr als 10.000 PFAS. Sie sind wasser-, schmutz- und fettabweisend sowie sehr stabil, daher werden sie längst nicht nur in der Küche eingesetzt, sondern bei Kosmetik, Lebensmittelverpackungen, den neuen Papierstrohhalmen und Regenkleidung genauso wie bei E-Autos, Löschschaum, Solarpanelen, Windkraftanlagen und Wärmepumpen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) hat PFAS sogar in Mineral- und Leitungswasser entdeckt: „Alle Schadstoffe, die wir getestet haben, fallen unter die Kategorie ‘persistent, mobil, toxisch (PMT)’ oder ‘sehr persistent und sehr mobil (vPvM)’, heißt es in dem im April veröffentlichten „Toxfox-Trinkwassertest“. Am häufigsten sei der Schadstoff Trifluoressigsäure (TFA) gefunden worden. Auch Melamin und zwei Benzotriazole seien nachgewiesen worden. Daß die gefundenen Mengen gering und die Wasserproben den „geltenden gesetzlichen Vorgaben für die gemessenen Stoffe“ entsprachen, stand nur im Kleingedruckten.
Denn zeitgleich diskutierte der Umweltausschuß auf Antrag der Unionsfraktion die Vor- und Nachteile einer PFAS-Weiternutzung. Hintergrund ist das 2023 von den Umweltbehörden aus Deutschland, den Niederlanden und Skandinavien eingereichte Dossier zur Beschränkung aller PFAS-Substanzen bei der EU-Chemikalienagentur (ECHA). Der umfangreichste Verbotsantrag chemischer Stoffe seit Inkrafttreten der REACH-Verordnung (2007) läßt Ausnahmen nur für wenige Verwendungen zu. Begründet wird dies mit der hohen Beständigkeit der PFAS, ihrer hohen Mobilität sowie ihrem Anreicherungspotential in Lebewesen.
In vielen Technologiefeldern sind PFAS unverzichtbar geworden
Vom Verbot wären viele ungefährliche PFAS betroffen. Diese sind chemisch stabil, nicht toxisch, nicht wasserlöslich und nicht mobil. Sie werden deswegen bei der Herstellung von Arzneimitteln, der Halbleiterfertigung, der Luft- und Raumfahrt, im Maschinen- und Anlagenbau, der Medizintechnik, bei technischen Textilien und Sicherheitsbekleidung, in der elektrischen Kontakttechnik, bei der Filtration (Müllverbrennung, Medizin), in der Sauerstoff-Produktion und der Schiffsindustrie verwendet. Die breite Regulierung ganzer Stoffgruppen durch EU-Behörden zwecks Vereinfachung und Beschleunigung der regulatorischen Prozesse widerspricht dem Konsens einer wissenschaftlich differenzierten Betrachtungsweise, da auch nahezu risikolose Chemikalien den besonders besorgniserregenden Stoffen (SVHC) gleichgestellt werden. Das PFAS-Verbot soll im Rahmen der Chemikalienstrategie als „Muster“ für spätere Verfahren verwendet werden, um Verbote von gefährlichen Stoffen zu beschleunigen und den „generischen Ansatz zur Risikobewertung“, also ohne fachspezifische ökologisch-toxikologische Überprüfung, zukünftig als Standardoption anzuwenden.
Die genannten Industriebereiche wären durch ein pauschales PFAS-Verbot existenzgefährdet. Die technischen Konsequenzen im Maschinen- und Anlagenbau wären beispielsweise kürzere Instandhaltungszyklen, verminderte Energie-Effizienz und eine Unverkäuflichkeit der Produkte im Nicht-EU-Ausland, wo PFAS weiterhin genutzt werden dürfen. Ein komplettes Verbot der Herstellung, der Verwendung und der Inverkehrbringung von PFAS mit wenigen, zeitlich begrenzten Ausnahmefällen ist bei der Vielzahl der essentiellen Anwendungen ein wissenschaftlich unhaltbares und sowie ein juristisches Minenfeld. Zudem ist völlig unklar, wie eine hochkomplexe Regulierung von den Vollzugsbehörden und dem Zoll realisiert werden kann – die Lieferketten sind schließlich global.
Für Ulrike Kallee, Abteilungsleiterin Stoffe & Technologien beim BUND, ist das zweitrangig, sie verwies in ihrem Vortrag im Umweltausschuß auf die PFAS-Anreicherung im Boden und Grundwasser, die schlußendlich auch im menschlichen Körper nachweisbar wäre. Toxische PFAS wie PFOA (Perfluoroctansäure) und PFOS (Perfluoroctansulfonsäure) sind inzwischen verboten, da aber mögliche Gesundheitsschäden durch weitere PFAS nicht auszuschließen wären, sollte die gesamte Chemikaliengruppe schnellstmöglich verboten werden. Reiner Söhlmann, Leiter der PFAS-Geschäftsstelle im Landratsamt Rastatt (Baden), unterstützte die BUND-Argumentation und die Gefahr der Vermischung von Papierschlämmen mit Kompost und ihrer Aufbringung auf Äcker.
Gibt es für viele Anwendungen wirklich fluorfreie Alternativen?
Auch Martin Scheringer, Professor für Umweltchemie an der ETH Zürich, forderte baldige PFAS-Beschränkungen, denn für viele Anwendungen gebe es fluorfreie Alternativen. PFAS hätten eine andere Dimension in der Schadstoffthematik, sie seien für eine risikobasierte naturwissenschaftlich-toxikologische Evaluierung einzelner Substanzen nicht geeignet. Dem widersprach Nora Schmidt-Kesseler, Hauptgeschäftsführerin der Nordostchemie-Verbände: Viele Produktionsverfahren seien ohne PFAS nicht mehr möglich, und etliche Unternehmen würden bereits ihre Produktion ins Ausland verlagern, wo die Produkte dann unter wesentlich schlechteren Umweltschutzbedingungen hergestellt würden.
Mirjam Merz, Referentin beim Industrieverband BDI bekräftigte diese Analyse und argumentierte unter anderem mit der Wasserstoffelektrolyse, die bei der „grünen Transformation“ unverzichtbar sei. Martin Leonhard, Chef des Industrieverbands für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik (Spectaris), erläuterte anhand der Endoskopie, daß hierbei Ersatzmaterialien nicht vorhanden wären: Das PFAS-Verbot dürfe kein Hightech-Verbot werden, das die moderne Chirurgie in die Mitte des vorigen Jahrhunderts zurückkatapultieren würde.
Bernhard Langhammer, Sprecher der Unternehmensinitiative „ChemDelta Bavaria“, warnte, daß eine kürzlich für 220 Millionen Euro erbaute Anlage mit einem geschlossenen PFAS-Kreislaufsystem durch die EU-Regulierung 2025 abgebaut werden müßte. Er befürworte eine Beschränkung, „aber auch praktikable Vorgaben im Umgang mit PFAS“. Ein Verbot setzt sämtliche zukunftsweisenden Schlüsseltechnologien in Europa aufs Spiel.
www.bundestag.de/ausschuesse/a16_umwelt/anhoerungen/995054-995054
Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS)
Das Umweltbundesamt (UBA) warnt seit Jahren vor den Gefahren von per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), die nicht grundlos „Ewigkeitschemikalien“ genannt werden. Denn die stabile Bindung zwischen Kohlenstoff und Fluor lasse sich nur unter sehr hohem Energieaufwand lösen: „Unter natürlichen Umweltbedingungen können weder biotische Prozesse (Bakterien) noch abiotische Prozesse (Wasser, Luft, Licht) zum Abbau der PFAS beitragen. Werden PFAS einmal in die Umwelt eingetragen, verteilen sie sich in Wasser und Sediment, werden aber nicht abgebaut“, warnt das UBA. Einige PFAS reicherten sich zudem in Organismen und in der Nahrungskette an. Kurzkettige PFAS „reichern sich zwar weniger im Organismus an, sind jedoch sehr mobil in Wasser und Boden“. Sie würden im Boden nicht zurückgehalten und erreichen daher schnell das Grundwasser, das häufig für die Trinkwasserversorgung genutzt wird. Und wegen „ihres geringen Adsorptionspotentials können kurzkettige PFAS während der Aufbereitung kaum aus dem Wasser entfernt werden“, warnt das UBA. (fis)
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