© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/24 / 10. Mai 2024

GegenAufklärung
Kolumne von Karlheinz Weissman

Jan Fleischhauer hat in seiner Kolumne vorige Woche das notorische Versagen der Innenministerin („Gott schütze uns vor Nancy Faeser“) damit erklärt, daß sie leider nicht „die Hellste“ sei und ihr „Fifi“ von Verfassungsschutzchef auch nur aufs Wort pariere. Wenn das keine „Schmähkritik“ von gewählten Repräsentanten und „Verächtlichmachung“ der bundesrepublikanischen Institutionen ist, was dann? Der Focus sollte sich also vorbereiten, im nächsten VS-Bericht unter „extremistische Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung“ geführt zu werden.

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Die deutsche Sprache kennt Lebensmut und Todesmut.

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Es ist bezeichnend, daß gegen den Islamismus Hunderte, aber gegen die Rechte Hunderttausende demonstrieren. Immerhin stellt ersterer eine manifeste Gefahr dar, weshalb Vorsicht geboten bleibt, wenn man Gesicht zeigt, während letztere ein Popanz ist, an dem man ohne Sorge sein Mütchen kühlen kann.

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Wenn jedes Eintreten für das eigene Volk als „völkisch“ gilt, haben die Völkischen erreicht, daß ihr Selbstverständnis das allgemein akzeptierte ist.

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Nach Presseberichten hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken die AfD als „Nazi-Partei“ bezeichnet und das damit begründet, daß sie nicht nur die Demokratie beseitigen wolle, sondern auch als parlamentarischer Arm „reicher Eliten“ gegen die Interessen des Durchschnittsbürgers stehe. Man fragt sich, was als nächstes kommt: die Alternative für Deutschland als Weiße Garde, die im Auftrag des Großkapitals das revolutionäre Proletariat niederknüppelt?

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Der Anthropologe Peter Frost hat eine interessante Analyse des „antiweißen Rassismus“ geliefert. Mit der Nüchternheit des Naturwissenschaftlers geht er über alle politisch-korrekten Einwände hinweg und hält fest, daß antiweißer Rassismus immer dann vorliegt, wenn jemand wegen seiner weißen Hautfarbe und der ihm deswegen zugeschriebenen Eigenschaften als minderwertig bezeichnet und behandelt wird. Mit welcher Selbstverständlichkeit das heute in den europäischen „Einwanderergesellschaften“ geschieht, zeigt er an einem verstörenden Beispiel. Den Bezug liefert die Interviewaussage eines Jungen algerischer Herkunft, der sein Leben in Toulouse verbracht hat: „In der Nachbarschaft hatten wir einen Kumpel, der blond war und blaue Augen hatte. Er war der Sohn eines Arbeiters, aus bescheidenen Verhältnissen, wie wir, aber er erschien uns perfekt: schön, blond, weiß. Wir ordneten uns ihm unter. Bis zu dem Moment, als jemand aus unserer Gang kam und ihn zur Rede stellte. Als der Blonde seinen ersten Schlag aufs Maul bekam, war er entzaubert.“ Frost betont, daß Weiße eine derartige Tat in der Regel als individuellen Gewaltakt zwischen Jugendlichen werten und weder dem Sachverhalt, daß das Opfer ein Weißer war, irgendwelches Gewicht zuschreiben, noch einen Appell zur Solidarität mit ihresgleichen wahrnehmen. Das sei bei allen People of Color anders, was sich nicht allein aus der woken Agenda erklären lasse, sondern mit einer unter Europäern weit verbreiteten und tief verankerten Mentalität zu tun habe. Die beruhe im wesentlichen auf drei Faktoren: Individualismus, Rationalismus und Universalismus. Nach Frosts Meinung hat das Christentum bei der Durchsetzung eine wesentliche Rolle gespielt, sie aber nicht hervorgerufen. In jedem Fall erkläre sie den Siegeszug der Weißen in den vergangenen Jahrhunderten, so wie sie jetzt ihren Niedergang begreifbar mache, nachdem sich das, was bisher als Vorteil wirkte, in einen Nachteil verwandelt hat.

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Es gibt eine leise, aber immer vernehmbarere Klage über den Verfall der deutschen Arbeitsmoral. Da blickt mancher sehnsüchtig auf die Nachkriegsjahre, die Zeit des Wiederaufbaus und des Wirtschaftswunders. Und bleibt doch ratlos. Denn nichts davon kehrt zurück, weil die Leistung, die damals erbracht wurde von Voraussetzungen lebte, die man in einem sehr langen und harten Erziehungsprozeß verankert hatte: Disziplin, Strenge, Ordnungsliebe, Hingabe, Anstrengungsbereitschaft. Alles verbraucht, durch die lange Phase der Sicherheit, des Wohlstands und jenes sozialen Wandels, den der Bundespräsident liebevoll „gesellschaftliche Liberalisierung“ nennt.

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Betrachtet man die politischen Hauptrichtungen, speist sie jeweils eine, für sich genommen legitime, Zielvorstellung. Auf der Linken ist das soziale Gerechtigkeit, in der Mitte die Freiheit des Einzelnen, auf der Rechten die Ordnung des Ganzen. Aber es gibt in jedem Lager immer noch die, die das Programm nur als Deckung für die eigene Agenda betrachten. Gemeint sind nicht die Intriganten, Streber und Selbstdarsteller, die sich in jeder menschlichen Gruppe finden, sondern jene Typen, die instinktiv von einer bestimmten Tendenz angezogen werden, an der sie wittern, daß sie ihnen Unterschlupf bieten könnte: Auf der Linken sind das der Neider und der theoretische Spinner, in der Mitte der Zyniker und der Besserverdiener, auf der Rechten der Querulant und der Gernegroß.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 24. Mai in der JF-Ausgabe 22/24.