© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/24 / 10. Mai 2024

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Minister-Mäuse tanzen auf dem Tisch
Paul Rosen

Im Büro von Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) muß es einen Schrank geben, in dem der Minister Berichte des Bundesrechnungshofes stapelt. Der Schrank wird vermutlich recht groß sein, denn schon Lindners Vorgänger haben die Berichte der Rechnungsprüfer brav entgegengenommen, um sie danach so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Zuletzt hatte sich der Präsident des Bundesrechnungshofes, Kay Scheller, mit einem geradezu dramatischen Appell zu Wort gemeldet: Er halte es für „unerläßlich, sich über die ernste Lage der Bundesfinanzen bewußt zu werden“. Veränderungen dürften „nicht weiter auf die lange Bank geschoben werden“.  

Doch genau das macht Lindner gerade, indem er das alte Spiel beginnt, das da lautet: Der böse Kater (Finanzminister) läßt die Mäuse (also die Minister) nicht an den leckeren Käse beziehungsweise gibt ihnen viel zu wenig Käse. Lindner hat den Kollegen mitgeteilt, was sie sparen sollen, und hat dabei einige Ressorts besonders gequält. So soll Außenministerin Annalena Baerbock statt mit 6,7 Milliarden Euro (2024) mit 5,1 Milliarden Euro auskommen. Geht nicht, sagte die Grünen-Politikerin und legte als Retourkutsche eine Forderung von 7,39 Milliarden auf Lindners Tisch. Auch Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) soll statt 12,16 nur noch 10,3 Milliarden Euro ausgeben dürfen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) soll auf 1,2 Milliarden verzichten. Selbst vor Parteifreunden machte Lindner nicht halt, sondern will Verkehrsminister Volker Wissing rund fünf Milliarden Euro entziehen. Und Verteidigungsminister Boris Pistorius soll fast kein Geld zusätzlich bekommen.

Den Ministerien per Rundbrief die Etats zusammenzustreichen, war ein schwerer Fehler von Lindner. In früheren Jahren war es üblich, schon im Frühjahr im Bundeskabinett einen „Eckwertebeschluß“ zu fassen. Da stand drin, mit wieviel Geld jedes Ministerium im Folgejahr auszukommen hatte. Die Ministerien erstellten auf dieser Grundlage Einzelpläne; der Entwurf ging im Herbst in den Bundestag, wurde danach im Haushaltsausschuß beraten und vielfach abgeändert. Letzte Änderungen gab es noch in der „Bereinigungssitzung“ des Haushaltsausschusses, ehe Ende November oder Anfang Dezember der Etat zur abschließenden zweiten und dritten Lesung in den Bundestag kam.  

In der Ampel-Koalition ist alles anders, und so sind jetzt Katz-und-Maus-Spiele angesagt. Das hat einen Grund: Mit ihnen verschiebt Lindner die Stunde der Wahrheit, in der er bekennen muß, das Loch im Etat von geschätzten 30 Milliarden Euro entweder mit Steuererhöhungen oder mit einer Umgehung, vielleicht sogar Abschaffung der Schuldenbremse schließen zu müssen. Beides verstößt gegen Grundsätze der FDP. Andererseits ist bekannt, daß der Finanzbedarf des Verkehrsministeriums angesichts der katastrophalen Infrastruktur viel zu niedrig ist und der des Verteidigungsministeriums auch, sollte der Bedarf der Bundeswehr wenigstens einigermaßen gedeckt werden. Lindner gewinnt so etwas Zeit – als Verlierer steht er schon fest.