Yallah, Yallah, Intifada“, „Kindermörder Israel“ und „Krieg, Krise, Inflation – Olaf Scholz, du Hundesohn!“: Wer die Konfliktlinien der bundesdeutschen und speziell der Berliner Linken nicht kennt, könnte vielleicht gar nicht genau sagen, was dieses Jahr in Kreuzberg anders gewesen sein soll als sonst: Parolen gegen Imperialismus, Solidarität mit „Volksbewegungen“ in aller Welt? Linke Internationalisten machen halt Linke-Internationalisten-Sachen.
Für Szene-Kenner ist das Ganze aber pikant. Der linke Antizionismus war seit den späten neunziger Jahren ständiger Streitgegenstand in Berlin, Leipzig, Hamburg und vielen anderen Städten. Das ging so weit, daß sich ganze Strukturen entzweiten. Um der katastrophalen Lage Herr zu werden, hatte sich die Linke vor rund zehn Jahren auf einen Burgfrieden geeinigt: Der traditionelle „Antiimperialismus“ und sein Gegenspieler, die „Antideutschen“, hatten sich jeweils in ihre Treffs und Lesekreise zurückgezogen, der Rest der Szene balancierte die verbleibenden inhaltlichen Widersprüche irgendwie aus. Grundkonsens: Keiner tut dem anderen mehr weh!
Traditionalisten scheinen dem Zerfall erfolgreicher zu trotzen
Vor diesem Hintergrund sind die entgeisterten Reaktionen linker Kommentatoren einzuordnen: Auf dem diesjährigen 1. Mai waren Antizionisten derartig überrepräsentiert, daß es viele vom Hocker gehauen hat. Die Traditionsveranstaltung war dieses Mal eine einzige Palästina-Shitshow. Der Antiimperialismus hatte auf solchen traditionsmarxistischen Veranstaltungen immer einen festen Platz, aber er war eben nicht das hauptsächlich prägende Bild – und vor allem hat er nicht den Ausschreitungen im Wege gestanden, die für die Berliner Linke identitätsstiftend sind. Die Stadt hatte schon vor Jahren mit dem „MyFest“ erfolgreich versucht, die Gewalt durch Überschwemmung mit zivilem Kulturvolk zu zersetzen, aber in diesem Jahr fand das Event nicht wie geplant statt, ist also nicht für das Ausbleiben verantwortlich zu machen.
Was ist also passiert? Die Krise der Linken ist bereits seit einigen Jahren anhaltend. Mit dem Aufstieg links- und grünliberaler sowie -radikaler Kreise in die Machtzentren sind die radikalen Subkulturen ironischerweise abgestorben. Die Konflikte der frühen 2000er Jahre haben sicherlich ihren Teil dazu beigetragen, aber auffällig ist vor allem eins: Die Traditionalisten bleiben am längsten standhaft. Antiimperialisten, Leninisten und sogar Stalinisten, auslandsextremistische Organisationen aus dem kurdischen und palästinensischen Spektrum, orthodoxe Kleinstparteien, RAF-Sympathisanten und Wagenknecht-/Lafontaine-Jünger scheinen den Zerfallserscheinungen erfolgreicher zu trotzen als die als akademisch, oberflächlich und marktschreierisch geltenden „Antideutschen“ und Israel-Solidarischen.
Warum? Ganz einfach: Sie sind leidensfähiger, zäher, gewaltaffiner, im eigentlichen Sinne: politischer. Teile dieser Bewegungen wurden noch rund um die Sowjetunion oder die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK politisiert, sie sind staatsnäher, autoritärer, haben weniger grundsätzliche Probleme mit Hierarchien, manche von ihnen wurden in paramilitärischen Kreisen ausgebildet, kommen aus Krisen- und/oder Kriegsregionen, im Extremfall sind sogar Flüchtlinge dort aktiv.
Das autoritäre Spektrum der radikalen Linken ist zwar keineswegs ungeschwächt durch Queer-, Migrantifa- und sonstige „Wokeness“-Versatzstücke – aber in Zeiten, in denen sich manch einer darauf einstellen muß, mal wieder für eine Nachdenkpause hinter Gitter oder zumindest vor Gericht zu landen, bleiben eben vor allem diejenigen übrig, die nötigenfalls die psychische Widerstandsfähigkeit dafür aufbringen: Missionsgetriebene, Fanatiker, Fundamentalisten.