Daß mehr als tausend Anhänger der radikal-islamischen Gruppe „Muslim Interaktiv“ vorgegangene Woche durch Hamburgs Stadtteil St. Georg zogen und dabei unter anderem die Errichtung eines Gottesstaates gefordert hatten („Kalifat ist die Lösung“), sorgte bundesweit und parteiübergreifend für Empörung (JF 19/24). Die hat sich noch nicht gelegt, da kündigten die Anhänger von „Muslim Interaktiv“ schon wieder an, erneut in der Hansestadt auf die Straße zu gehen. Man wolle sich am Samtag „gemeinsam verbal gegen die Zensur unserer islamischen Werte“ wehren, heißt es in einem Aufruf der Gruppierung auf der Plattform X: „Kommt inshallah alle zahlreich und laßt euch nicht von der Politik und den Medien einschüchtern!“
Wegen der Erfahrungen bei der vorigen Demo könnte diesmal ein Verbot sogar in Erwägung gezogen werden. Ein solches sei vor zwei Wochen noch keine Option gewesen, heißt es aus der Versammlungsbehörde. „Alle Juristen haben uns gesagt, daß das, was wir an Tatsachen haben, nicht für ein Verbot wird ausreichen können“, meinte Hamburgs Polizeipräsident Falk Schnabel zum NDR. Maßgeblich sei, ob eine Versammlung störungs- und straftatenfrei ablaufen werde. Ein Verbot sei da nur das letzte Mittel. Der Hamburger Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries (CDU) hat mit Blick auf die vorherige Demonstration die Bundesregierung dazu aufgefordert, Rufe nach einem Kalifat unter Strafe zu stellen. „Auch wenn dies grundrechtssensibel ist und einen Eingriff in die Meinungsfreiheit bedeutet, müssen wir diese Debatte ernsthaft führen“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. De Vries verlangte von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), einen konkreten Gesetzesvorschlag vorzulegen. Islamistisch-extremistisches Gedankengut sei in Deutschland „auf dem Vormarsch“. Konkret könnte sich etwa jeder strafbar machen, der öffentlich die Errichtung einer Staatsordnung in Deutschland fordert, die mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Eine solche Regelung sei denkbar, äußerte de Vries. Möglich sei auch eine Gesetzesänderung, die an den Tatbestand des Hochverrats oder der Verunglimpfung des Staates anknüpfe.Der Chef der AfD-Bürgerschaftsfraktion und innenpolitische Sprecher, Dirk Nockemann, forderte den Senat auf, die nächste Islamistendemo „unter allen Umständen“ zu verhindern: „Die gespenstischen Szenen und die Kalifatsforderungen dürfen sich nicht wiederholen.“
Unterdessen haben am vergangenen Samstag etwa achthundert Demonstranten in Hamburg gegen Islamismus demonstriert. Mit dabei waren neben Vertretern verschiedener Parteien auch Angehörige der kurdischen Gemeinschaft sowie Anhänger der iranischen Oppositionsbewegung. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion in der Bürgerschaft, Dennis Thering, forderte während der Kundgebung: „Hamburg hat heute ein starkes Zeichen gegen Hass und Hetze gesetzt. Der Islamismus hat bei uns nichts zu suchen“, so Thering. „Unser Rechtsstaat muß handeln, und zwar mit aller Härte.“
Die Opposition in der Bürgerschaft der Hansestadt wirft dem rot-grünen Senat vor, nicht entschlossen genug gegen die Islamisten vorzugehen. Einen Antrag der CDU, daß sich der Senat auf Bundesebene für ein Verbot stark machen soll, lehnten SPD und Grüne ab, die AfD stimmte dafür. Auch eine Sondersitzung des Innenausschusses bekam keine Mehrheit. Erst im Juni werde bei der nächsten regulären Sitzung über „Muslim Interaktiv“ und die Islamisten-Demo beraten.
Das zuständige Bundesinnenministerium betonte wiederholt, man werde sich im Vorfeld nicht zu möglichen Vereinsverboten äußern. Nicht zuletzt, damit die Betreffenden nicht vorab gewarnt sind und sich gegen ein solches Verfahren wappnen können, etwa indem sie Beweismittel beseitigen.
Verboten wurden in Deutschland bereits einige islamistische Vereinigungen: 2010 beispielsweise der Verein „Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V.“ – IHH, der der Terrororganisation Hamas nahesteht. Im September 2014 wurde die Betätigung des sogenannten „Islamischen Staates“ in Deutschland verboten. Danit verbunden ist auch das Verbot, Kennzeichen des „Islamischen Staates“ öffentlich zu verwenden. Im Oktober 2016 hat das Bundesinnenministerium die salafistische Vereinigung „Die Wahre Religion“ und die damit im Zusammenhang stehende Koranverteilaktion „Lies!“ verboten und aufgelöst. Deren Inhalte seien verfassungsfeindlich und verstießen gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Im Mai 2021 wurde ein Vereinsverbot gegen ein Vereinsgeflecht rund um den Verein „Ansaar International e.V.“ und 8 Teilorganisationen verhängt, der vorgeblich humanitärer Zwecke Spenden für die terroristischen Vereinigungen al-Nusra und Hamas sammelte.
Hamburgs Schulsenatorin und Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank (Grüne) äußerte mit Blick auf den führenden Kopf von „Muslim Interaktiv“, den Lehramtsstudenten und Islam-Influencer Raheem Boateng: „Extremisten werden nicht in den Hamburger Staatsdienst übernommen. Diese Person ist bekannt, und deshalb wird er in Hamburg kein Lehrer sein.“
Nach der Demonstration vorvergangene Woche hatte Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Kurznachrichtendienst X geschrieben: „Wer hier das Kalifat ausrufen will, gehört nicht zu unserem Land.“ Die Aussage ist in gewisser Hinsicht pikant, denn der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der AfD-Bundestagsfraktion, die der JUNGEN FREIHEIT vorliegt, ist zu entnehmen, daß eine Mehrheit unter den einschlägig bekannten Islamisten hierzulande deutsche Staatsangehörige sind.
„Das wäre verfassungswidrig“
So stufen die deutschen Sicherheitsbehörden im Phänomenbereich „religiöse Ideologie“ der politisch motivierten Kriminalität 480 Personen als Gefährder ein (Stand 3. April 2024). Zusätzlich gibt es in diesem Spektrum 504 „relevante Personen“, denen die Polizei Straftaten von erheblicher Bedeutung zutraut. Von den 480 Gefährdern besitzen 71 Prozent (342) die deutsche (oder eine doppelte) Staatsbürgerschaft. Von den 504 „relevanten Personen“ sind es 334 (66 Prozent), die einen deutschen Paß haben.
Von denen, die sich in Deutschland aufhalten, aber nur eine ausländische Staatsangehörigkeit haben, stellen Syrer die größte Gruppe (65 Gefährder und 44 Relevante Personen). Das „Islamistisch-terroristische Personenpotential“ wird den Angaben der Bundesregierung zufolge mit etwa 1.680 Personen angegeben, von denen etwa 820 keinen deutschen Paß haben. Mit anderen Worten: auch hier ist die Mehrheit deutsch. Wie ist dann die Formulierung des Ministers, sie gehörten „nicht zu unserem Land“ zu verstehen? Eine solche „verknappte Kurzbotschaft“ wollte Buschmanns Sprecher am Freitag nicht weiter kommentieren oder interpretieren. Es sei eine „deutungsoffene Aussage, die man auch ganz schlicht dahingehend interpretieren kann: Wer in Deutschland eine autoritäre Theokratie errichten möchte, der steht vermutlich nicht auf dem Boden des Grundgesetzes“. Auf die Nachfrage, ob dies als Forderung zu verstehen sei, deutsche Staatsangehörige außer Landes zu befördern, entgegnete der Ministeriumssprecher: „Das wäre verfassungswidrig.“