Kurz bevor die politische Transformation der deutschen Wirtschaft unwiderruflich das Lebenslicht ausbläst, sind ihre bestallten Verbandssprecher und Interessenvertreter noch einmal aus der Duldungsstarre hochgeschreckt. Seit dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das den Schuldenorgiasten der Ampel-Regierung einen eiskalten Wasserguß verpaßt hat, mehren sich die Alarmtöne, Brandbriefe und Warnrufe aus der Wirtschaft, begeben sich Verbandsfunktionäre, Unternehmenslenker und Ökonomen auf das ungewohnte Gelände der Konfrontation mit den Mächtigen.
Ihrem Ansehen zum Trotz sind diese Stimmen indes noch immer die Ausnahme. Die meisten sterben leise oder gehen ohne große Worte. Die Deindustrialisierung Deutschlands, die Demontage einer der stärksten Volkswirtschaften der Welt, ist in vollem Gange. Die Liste der Unternehmen, die Hunderte oder mehrere tausend Stellen streichen, Produktion und Neuinvestitionen ins Ausland verlagern oder die Tore für immer schließen, wird täglich länger. Vom klangvollen Konzern- und Markennamen über den mittelständischen Marktführer bis zum unauffälligen Zulieferbetrieb in der Provinz ist alles dabei.
Bemerkenswert an all den Alarmrufen ist daher vor allem, daß sie erst jetzt kommen und noch immer recht zahm ausfallen. Folgerichtig teilen sie auch das nämliche Schicksal: Bundeskanzler, Wirtschaftsminister und wer sich sonst noch als Regierungsmitglied angesprochen fühlen müßte, lassen die Warnschreie ungerührt an sich abperlen, die mediale Öffentlichkeit nimmt sie seltsam resigniert zu den Akten, und selbst die eigene Klientel scheint die Verlautbarungen ihrer Sprachrohre und prominenten Vertreter nur noch als Pflichtübungen und Rückzugsdonner zu betrachten.
Zu einem guten Teil hat sich die deutsche Wirtschaft ihre dramatisch gesunkene Durchschlagskraft in der öffentlichen Wahrnehmung selbst zuzuschreiben. BDI-Präsident Siegfried Russwurm, der dem Kanzler dieser Tage die Leviten lesen wollte und dafür mit einer flapsig dahingescholzten Platitüde über klagende Kaufleute abgefertigt wurde, ist bei weitem nicht der einzige Verbandsfunktionär mit einem massiven Glaubwürdigkeitsproblem.
Es ist noch keine „zwei verlorene Jahre“ her, da biederte sich Russwurm auf dem Grünen-Parteitag aufs devoteste bei der neubestimmten Regierungspartei an und sang in Gender-Narrensprache das Loblied auf „Dekarbonisierung“, „Transformation“, „Klimaneutralität“ und „Energiewende“.
Damit stand und steht er nicht allein: Ex-Siemens-Chef Josef „Joe“ Kaeser, der die grüne „Klima“-Aktivistin Luisa Neubauer und die Migrationsextremistin Carola Rackete hofierte, oder Herbert Diess, der als VW-Chef die Totalumstellung auf Elektromobilität ausrief und damit faktisch kampflos die Technologieführerschaft der deutschen Autoindustrie im Motorenbau einer politischen Ideologie zum Fraß vorwarf – sie stehen exemplarisch für einen neuen Typus von Verbandsfunktionären und Firmenlenkern, die nicht mehr primär die Interessen von Wirtschaft und Unternehmen vertreten, sondern sich als Teil einer politisch korrekten Einheitsfront betrachten und auch so agieren.
Darin offenbart sich eine beunruhigende Verschiebung der Gewichte. In der alten Bundesrepublik als leidlich funktionierender Demokratie galt noch der stillschweigende Konsens, daß Wohlstand und damit auch politische Handlungsspielräume auf dem Erfolg der Volkswirtschaft beruhten. Folglich tat man gut daran, zur rechten Zeit auf ihre mit entsprechendem Selbstbewußtsein auftretenden Repräsentanten zu hören und es mit den Zumutungen nicht zu übertreiben.
Das hat sich in dem Vierteljahrhundert, in dem grüne Ideologie – von Rot-Grün über Merkel bis zur Ampel – faktisch die Richtlinien der Politik bestimmt, gründlich geändert. Die Politik erwartet von der Wirtschaft Unterordnung unter das Projekt der „Transformation“, des Umbaus von Staat, Gesellschaft und Volkswirtschaft in ein System der ökosozialistischen Mangel- und Kommandowirtschaft; und deren Vertreter reden ihr gehorsam nach dem Munde, in der Hoffnung, es werde schon nicht so brutal verlaufen und man werde ihnen schon einen Winkel lassen, in dem sie weiter auf ihre Kosten kommen.
Die kognitive Dissonanz geht so weit, daß das Gros der Wirtschaftsführer selbst im Angesicht des Scheiterns der grünen Transformationsideologie die Gelegenheit vorbeiziehen läßt, sich an die Spitze einer Protestbewegung zu stellen und eine wirtschaftspolitische Wende zu erzwingen. Statt dessen machen sie noch immer Werbung und Wahlkampf für diejenigen, die Mittelstand und Industrie gewollt und systematisch zerstören.
In gespenstischer Beflissenheit liefert einer nach dem anderen das von der Politik erwünschte und ungeduldig eingeforderte Pflichtbekenntnis zur Abscheu vor jener Oppositionspartei ab, die diese Ideologie kompromißlos in Frage stellt. Als wären es nicht explodierende Energiepreise, absurde Steuer-, Abgaben- und Bürokratielasten, erodierende Sicherheit, bröckelnde Infrastruktur und linker Terror gegen vitale Einrichtungen, die ausländische Fachkräfte und Investitionen von Deutschland fernhalten, sondern ausgerechnet die hohen Umfragewerte einer im Kern wirtschaftsfreundlichen Partei.
Natürlich wissen sie es besser, die Ökonomen, Firmenchefs und Manager, die ihre Positionen nicht als Studienabbrecher oder Kinderbuchautoren erreicht haben. Die einen mögen aus Feigheit, Opportunismus oder Selbsttäuschung den Mund halten, bei den anderen sind es schlicht divergierende Interessen – wo regionale Dienstleister oder kleine Zulieferbetriebe nur dichtmachen können, wenn das Geschäft nicht mehr rentabel ist oder wegfällt, kann der global agierende Mittelständler oder Konzern immer noch auf andere Standorte ausweichen.
Wieder andere spekulieren darauf, als Transformationsgewinnler ihre Anteilseigner zufriedenzustellen. So wie der schrumpfende Stahlkonzern ThyssenKrupp, der die Subventionsmilliarden für „grüne“ Produktion noch mitnimmt, bevor er Kapazität und Belegschaft wieder um ein Fünftel zusammenstreicht.
Ihnen allen läuft erbarmungslos die Zeit davon. Je länger die Fachleute vor den Ideologen kuschen und schweigen, desto tiefer wird der Absturz und desto ferner rückt jede Aussicht auf Stabilisierung und Wiederaufstieg. Den Repräsentanten der deutschen Wirtschaft ist ihre Verantwortung für das Gemeinwesen offenkundig noch nicht einmal im Ansatz bewußt.