Beim Kaffee hört der Spaß auf: Viele sind krisen- und inflationsbedingt bereit, auf vieles zu verzichten – aber nicht auf ihren täglichen Muntermacher. Der Rohkaffeepreis hat sich zwar innerhalb von drei Jahren verdoppelt, was sich durch die anteiligen Verarbeitungs- und Verkaufskosten sowie die gleichbleibende Kaffeesteuer von 2,19 Euro pro Kilogramm nicht eins zu eins im Supermarktregal widerspiegelt – dennoch hat der Kaffeeverbrauch sogar leicht zugenommen. Der Umsatz hat sogar inflationsbedingt enorm zugenommen: Von 5,08 Milliarden Euro (2018) auf 6,43 Milliarden Euro (2023).
Doch weder der EU noch der Bundesregierung paßt das offenbar ins Konzept. Denn die Kaffeebranche wird mit zusätzlicher Bürokratie belastet und muß nun wegen einer EU-Richtlinie nachweisen, daß für den Kaffeeanbau keine Bäume gerodet oder beschädigt wurden und werden. Für internationale Konzerne wie Nestlé und Jacobs Douwe Egberts Peet’s mit großer Verwaltung ist das eine lästige, aber leistbare Aufgabe. Doch die European Deforestation Regulation muß Ende Dezember auch von kleineren Kaffeefirmen angewendet werden – und die EU-Verordnung 23/1115 erfordert eine aufwendige Dokumentation für land- und forstwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Lieferkette muß bis hin zu der Parzelle, wo der Kaffeebaum steht, digital abgebildet werden.
„Nachhaltigen Kaffee“ will oder kann sich nicht jeder leisten
Das können aber nicht alle Anbauländer oder Produzenten leisten, wodurch ganze Kaffeeregionen wegfallen werden. Natürlich nicht die großen drei (Brasilien, Vietnam und Indonesien), aber vielleicht Kolumbien oder Äthiopien. Nach Angaben der International Coffee Organization (ICO) sind 80 Prozent der Kaffeefarmen gar nicht kartiert. Millionen kleinbäuerlicher Betriebe in den entlegensten Regionen, oft ohne Internetabdeckung, müßten erst einmal erfaßt werden. Der Kunde soll wissen, wo die Bohnen am Kaffeebaum gewachsen sind, wer sie gepflückt hat und wo sie geröstet wurden. Trotz des erheblichen Mehraufwandes rechnet die EU nur mit „sehr begrenzten Auswirkungen“ auf den Kaffeepreis und ist sich überdies sicher, daß der Endverbraucher für den Klima- und Waldschutz gewiß bereitwillig etwas tiefer in die Tasche greifen wird.
Wie die Kaffeetrinker auf die sich drehende Preisspirale reagieren werden, läßt sich bereits im Tschibo-Kaffeereport 2023 herauslesen: Inflation schlägt grünes Gewissen, und nachhaltiger Kaffee verliert in der Krise, heißt es da lapidar. Laut dem Deutschen Kaffeeverband liegt der Pro-Kopf-Konsum bei etwa 170 Liter Kaffee jährlich – davon werden immerhin 56 Liter außer Haus getrunken. 91,9 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind Kaffeetrinker, benötigen täglich vier Tassen Kaffee – Männer etwas mehr als Frauen. Noch 2016 waren es lediglich 81,7 Prozent, die nur 3,5 Tassen täglich konsumierten. 2022 wurden daher 479.700 Tonnen Röstkaffee in Deutschland abgesetzt.
Wie das schwarze Lebenselixier in die Tüte gelangt, interessiert in Zeiten knapper Kassen weniger Konsumenten – auch wenn die Anbieter mit Bio- und Fairtrade-Siegel oder der „Rainforest Alliance“ werben. Das ist statistisch belegt: 32 Prozent ist nachhaltiger Kaffee zu teuer, 24,5 Prozent wissen beim Kauf nicht, welcher Kaffee wirklich nachhaltig ist. Waren es 2022 noch 38,5 Prozent die regelmäßig oder immer nachhaltigen Kaffee tranken, so waren es voriges Jahr nur noch 35,2 Prozent. Die EU-Kommission, die mögliche Auswirkungen ihrer Richtline untersucht hatte, war dagegen zu dem Ergebnis gekommen, daß die Nachfrage nach nachhaltigem Kaffee steigen werde.
Auch jene, die auf Nachhaltigkeit Wert legen, kommen durch die EU-Richtlinie in Schwierigkeiten. Sonnengetrockneter Kaffeeaus Äthiopien beispielsweise, wo die Bohnen von Millionen Kleinstbauern auf geringer Fläche angebaut und vor Ort gemischt wird. Dieser Kaffee wird künftig nicht mehr importiert, da „der Nachweis, auf welchem Stück Land er gewachsen ist, bürokratisch nicht leistbar ist“, kündigt Johannes Dengler, Mitglied der Geschäftsführung bei Dallmayr Kaffee, in der Welt an: „Bürokraten der EU projizieren ihre Idealvorstellung einer Verwaltung auf internationale Lieferketten, die so nicht abzubilden sind.“ Die EU-Bürokratie überfordere „Millionen Kaffeebauern weltweit“ und bedrohe diese in ihrer Existenz, gibt Holger Preibisch, Hauptgeschäftsführer des Kaffeeverbands, zu bedenken.
Zusatzaufwand für den formalen Nachweis der Entwaldungsfreiheit
Aber es geht längst nicht nur um Kaffeebohnen, sondern auch um Rohstoffe wie Kakao sowie Produkte, die diese Rohstoffe enthalten. Betroffen sind beispielsweise rund eine Million Menschen in der Elfenbeinküste, wo zwischen 20 und 30 Prozent des produzierten Kakaos in geschützten Wäldern angebaut wird. Wird durch die grüne EU-Bürokratie den dortigen Beschäftigten die Lebensgrundlage entzogen, werden sogar soziale Unruhen befürchtet. Denn die westlichen Großabnehmer können im Zweifel auf Indonesien, die Nummer zwei des Kakaoanbaus, oder Ghana (Rang drei) und Nigeria (Rang vier) ausweichen.
Die EU-Richtlinie verlangt von jedem der zwölf Millionen Kaffeebauern in den 20 großen Anbauländern weltweit Geokoordinaten und relevante Informationen, aus denen ersichtlich ist, daß sie für ihre Kaffeebaumplantagen keine Wälder abgeholzt haben. Der Aufwand ist so enorm wie das Unverständnis bei den Produzenten. Er habe von 80 Prozent seiner Bezugsquellen noch keine Antwort auf seine Fragen bekommen, die er für die Einhaltung der Richtlinie als Information benötige“, sagt Thomas Eckel, von der Murnauer Kaffeerösterei. Die administrativen Kosten für den Nachweis der Entwaldungsfreiheit schätzt er auf ein bis fünf Cent je Pfund Kaffee. Das klingt wenig – aber bei Verstößen drohen den europäischen Kaffeeröstereien und Rohkaffeehändlern Strafgelder von bis zu vier Prozent des Jahresumsatzes.
Der Hauptanteil des deutschen Kaffeeimports kommt aus Brasilien und Vietnam. Wenn sich die kleineren Anbauländer und dortigen Kaffeebauern dem EU-Diktat verweigern, gehe „geschmackliche Vielfalt verloren“, bedauert Dallmayr-Manager Dengler. Allerdings wohl erst ab 2026. Denn der irrwitzige Plan der EU-Kommission, nach dem die Röster ihre nicht korrekten Vorräte ab 2025 nicht mehr verkaufen, sondern vernichten sollten, konnte gestrichen werden. „Die meisten Kaffeehändler werden sich im laufenden Jahr mit so viel Ware eindecken, daß sie 2025 weitgehend ohne Einkauf überstehen könnten“, sagt Kaffeeröster Eckel.
International Coffee Organization: icocoffee.org
Verordnung 23/1115 zu entwaldungsfreien Produkten
Die EU-Verordnung 23/1115 „über die Bereitstellung bestimmter Rohstoffe und Erzeugnisse, die mit Entwaldung und Waldschädigung in Verbindung stehen“ wurde mit 552 zu 44 Stimmen bei 43 Enthaltungen vom EU-Parlament beschlossen. Sie muß ab dem 30. Dezember 2024 angewendet werden. Kleine Firmen haben bis Mai 2025 Zeit. Sie betrifft nicht nur den Im- und Export sowie den Verkauf von Rindern, Kakao, Kaffee, Palmöl, Kautschuk, Soja und Holz, sondern auch Produkte, die unter deren Verwendung hergestellt wurden (Druck-erzeugnisse, Holzkohle, Leder, Schokolade, Möbel, Palmölprodukte). Unternehmen, Landwirte, Waldbesitzer und Händler müssen durch eine Sorgfaltserklärung nachweisen, daß ihr Produkt weder von einer Fläche stammt, die nach dem 31. Dezember 2020 abgeholzt wurde, noch daß es zu einer Waldschädigung kam. Ebenso müssen sie nachweisen, daß diese Produkte den Rechtsvorschriften des Erzeugerlandes entsprechen. Zuständig für Durchführung der EU-Verordnung ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. (fis)