Der Ukraine-Krieg und die Eskalation des palästinensisch-israelischen Dauerkonflikts scheinen die intellektuell auf Sektenformat geschrumpften Reste der bundesdeutschen Linken vor eine finale Zerreißprobe zu stellen. Die Mehrheitsfraktion bilden derzeit immer noch Putin- und Hamas-Sympathisanten, die auf der Straße, im Bundestag und in der Jungen Welt den Ton angeben, während die marxistisch besser geschulte Minderheit der Rußland- und Israel-Kritiker aus der Wagenburg ihres unter akutem Abonnentenschwund leidenden Zentralorgans Konkret wacker dagegenhält.
Der aus dem linkskatholischen Milieu stammende Herbert Böttcher, für immer durch den 2012 verstorbenen, fundamentalistischen Anti-Kapitalisten Robert Kurz geprägt, geht im aktuellen Heft (4/2024) der Frage nach „Woher stammt der linke Israelhaß?“ Offenbar aus der Theoriefeindlichkeit einer intellektuell ausgebluteten Linken, die in ihrem Mix aus „dumpfem Aktionismus, moralischer Empörung und der Unfähigkeit zu kategorialer Kritik am irrationalen kapitalistischen Betrieb“, der „das Geldmachen um mehr Geld zu machen“ zum Selbstzweck erhebe. Dabei bewege man sich in alten Polaritäten, fixiere linkes Denken weiterhin auf Arbeit gegen Kapital, Politik gegen Ökonomie, und klammere sich an die „Normalität des irrationalen gesellschaftlichen Ganzen“, das für Böttcher, so wie für seinen Meister Robert Kurz schon vor dreißig Jahren, wieder einmal vor dem Kollaps steht. Diesmal aber wirklich, weil die digitale Revolution das System in den Abgrund reißen werde, weil durch Technologie ersetzte Arbeit nicht mehr durch Verbilligung, Arbeitsplatzexport und Ausweitung der Märkte zu kompensieren sei. Damit würden nicht nur Staat und Politik im globalen Norden, deren Leistungen von der Kapitalakkumulation abhängig sind, sondern auch der nachholenden Modernisierung im Süden, die wesentlich über staatliche Maßnahme laufe, die Grundlagen entzogen.
Nur eine infantile „Bewegungslinke“, die diesen weltweiten Krisenprozeß ignoriere, könne auf die abstruse Idee verfallen, die Welt sei „befreit“, wenn sie „judenfrei“ wäre. Statt auf die Behauptung einer jüdischen Weltverschwörung hereinzufallen, die, abgeschrieben aus dem Parteiprogramm der NSDAP, seit 1988 ein Kernelement in der Hamas-Charta ist, oder wie die Gender-Priesterin Judith Butler vom „Apartheidstaat Israel“, dessen „Kolonialherrschaft“ in Palästina zu halluzinieren und von der Zwei-Staaten-Lösung zu träumen, bleibe eine Linke, die diesen Namen verdient, in der Pflicht, alle systemimmanenten Krisenlösungen endlich zu verwerfen. Denn die globale Entwicklung habe die Möglichkeiten partieller, „nationalrevolutionärer“ Befreiung aus dem Käfig des globalisierten Kapitalismus längst „hinweg gewalzt“.