© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/24 / 03. Mai 2024

Analysieren und intervenieren
Das „Institut für Strategischen Dialog“ wirkt wie eine globale Amadeu-Antonio-Stiftung
Christian Schreiber

Huberta von Voss mag es offenbar gerne drastisch. „Wir erleben gerade den perfekten Sturm“, sagte sie kürzlich im Interview mit dem SR2 Kulturradio. Die Journalistin ist Geschäftsführerin des Deutschland-Ablegers des Institute for Strategic Dialogue. Eines der Kernthemen des „Instituts für Strategischen Dialog“ sind die „Schattenseiten der Digitalisierung – gegen Haß, Desinformation und Extremismus im Netz“, wie es in einer Selbstdarstellung heißt. 

Das ISD wurde 2006 gegründet und hat seinen Sitz in London, verfügt aber über Ableger in mehreren Ländern, darunter seit 2020 auch in Deutschland, wo nach eigenen Angaben etwa 30 Mitarbeiter bei der ISD Germany gGmbH tätig sind. „Ich glaube, daß man morgens aufstehen und sich fragen muß, was kann ich eigentlich machen?“, sagt von Voss über ihr Lebensmotto und läßt keine Zweifel daran, daß das Internet vor allem von „rechts“ und aus Rußland bedroht wird. „Wir schützen die Demokratie im digitalen Zeitalter. Weil die Würde jedes Menschen zählt. Weil wir ein Internet wollen, das für liberale Demokratien arbeitet – und nicht gegen sie“, erklärt sie auf der deutschsprachigen Netzseite isdgermany.org. „Wir begegnen Extremismus und Polarisierung mit datengetriebenen Analysen, internationaler Beratungsexpertise und innovativen Lösungen.“ Daraus, daß es nach der Analyse der „vollen Spannbreite extremistischer Bewegungen sowie des gesamten transnationalen Ökosystems staatlicher und nicht-staatlicher Akteure“ auch um konkrete internationale „Interventionsarbeit“ geht, macht das ISD keinen Hehl.

Diffamierung von Kritikern, getarnt als Kampf gegen Hetze

Das Feindbild ist dabei klar definiert. Oppositionelle Bewegungen, gerade von rechts, müssen bereits fast zwangsläufig vom Kreml finanziert sein. Bereits im Dezember 2017 veröffentlichte das ISD die Ergebnisse einer von den Open Society Foundations finanzierten Studie zur Einflußnahme von Alt-Right und Moskau auf die Bundestagswahlen im selben Jahr. Neben Putin sind auch die US-Rechten um Steve Bannon ein Dorn im Auge der ISD-Rechercheure. Von Voss nennt den ehemaligen Berater Donald Trumps einen „brandgefährlichen Brandstifter“. 

Gründer des ISD war der britisch-österreichische Verleger und Kolumnist George Weidenfeld, der unter anderem für die deutsche Tageszeitung Welt tätig war und der aufgrund seiner jüdischen Vorfahren bereits 1949 politischer Berater der Regierung Israels wurde. Mitte der neunziger Jahre gründete er den „Club of Three“, der führende Vertreter des politischen, kulturellen und öffentlichen Lebens aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland zu informellen Diskussionen über Fragen der Weiterentwicklung Europas zusammenbrachte. Ziel war die Förderung von Zusammenarbeit und Verständigung innerhalb Europas. 

Heute ist die Nichtregierungsorganisation weltweit operierend, publiziert auf englisch, deutsch sowie französisch und hat Teams in Kenia, Jordanien, Deutschland, Frankreich, Großbritannien und den USA  – eine Art globale Amadeu-Antonio-Stiftung. Auf einer digitalen Karte ist ersichtlich, in welchen Ländern die Recherchen und Initiativen stattfinden: von Kanada bis Australien, und besonders in den Sozialen Medien. Neben den Geschäftsführern wird das ISD von einem Kontrollgremium geleitet. An der Spitze steht der südafrikanische Geschäftsmann Michael Lewis, der unter anderem die Modekette Foschini und das israelische Pharmaunternehmen ProChon Biotech gegründet hat. Aus Deutschland ist der frühere CSU-Politiker und ehemalige Bundesminister Karl-Theodor zu Guttenberg dabei. Zu den Förderern und Partnern des deutschen Zweigs gehören unter anderem das Auswärtiges Amt, das Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium für Bildung und Forschung, das Bundesministerium des Inneren und für Heimat, die Robert-Bosch-Stiftung GmbH, die Gemeinnützige Hertie-Stiftung und die Bill & Melinda Gates Foundation.

Mittlerweile werden weltweit 15 Regierungen und mehr als 100 (Lokal-)Politiker von dem Institut im Hinblick auf Extremismusprävention beraten. „Auf der Grundlage unserer datengetriebenen Erkenntnisse entwickeln wir nachhaltige Programme, mit denen die Ausbreitung und Auswirkung von Haßreden, Desinformation und Verschwörungserzählungen eingedämmt werden“, betont das ISD. Die Arbeit des ISD habe drei Schwerpunkte: „Analyse, Advisory, Action – wir analysieren, wir beraten, wir handeln.“ Zu den zahlreichen Projekten des ISD gehören unter anderem die „Coalition to Counter Online Antisemitism“, ein „Forschungsauftrag zum rechtsextremen Online-Ökosystem auf alternativen Plattformen“ und die „Notorious“-Initiative zur Aufarbeitung der „problematischen Rolle von prominenten Influencern bei der Verbreitung von Desinformation und Haß im Netz“.

Bisher hielt sich das öffentliche Interesse an dem Wirken des riesigen transatlantischen Netzwerks eher in Grenzen. Doch das änderte sich in Zusammenhang mit den teils fehlerhaften Veröffentlichungen des Recherchenetzwerks Correctiv über das angebliche „Geheimtreffen“ von Potsdam. Der US-Journalist Michael Shellenberger, im übrigen kein Trump-Anhänger, hatte Anfang April gemeinsam mit dem politischen Kommentator Gregor Baszak einen Artikel veröffentlicht, in dem er Correctiv in die Nähe deutscher Geheimdienste rückt. Zudem schreibt er, die deutschen Bauernproteste seien durch Correctiv in Artikeln bewußt mit Rechtsextremismus und Pro-Rußland-Aktivismus verbunden worden, um die Demonstrationen zu delegitimieren und die Ampel-Politik besser aussehen zu lassen.

Agitation in Deutschland im Zuge der Bauernproteste

Durch finanzielle Zuwendungen durch die Bundesregierung sei Correctiv mitnichten unabhängig, stellt Shellenberger fest und nennt in einem Atemzug das ISD. Dieses hätte ebenfalls gezielt Desinformation verbreitet und in einer Veröffentlichung die Bauernproteste als rechtsextrem unterwandert dargestellt – auch weil bei einigen Aktionen der Landwirte die deutsche Ukraine-Hilfe und das Weltwirtschaftsforum bemängelt wurden. Außerdem sei das ISD schnell Correctiv zur Seite gesprungen und habe Kritiker des Rechercheportals, der „Gegen Rechts“-Demos sowie der einseitigen Anti-Bauern-Berichterstattung verleumdet.

Der US-Journalist, der auch an der Aufarbeitung der „Twitter Files“ maßgeblich beteiligt war, nennt dies koordiniert und verweist in dem Zusammenhang auf ein Wahlportal gegen Falschinformationen, welches das ISD im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 gemeinsam mit der amerikanischen Alliance for Securing Democracy (ASD) entwickelt hat. Laut Shellenberger diente es dazu, die Verbreitung von unliebsamen Informationen über Politiker vor der Bundestagswahl „zu überwachen“. Darüber hinaus stellt Shellenberger dar, daß die ISD-Analystin Paula Matlach früher für das „Strategic Communications Centre of Excellence“ der Nato tätig war und ihre Kollegin Sara Bundtzen zuvor bei der „Joint Intelligence and Security Division“ der Nato gearbeitet hat. Beide waren an einem Text beteiligt, nach dem die deutschen Bauern „einen Nährboden für rechtsextreme Ideologie“ bieten würden.

Angesichts dieser Verbindungen dienten Gruppen wie das ISD als „wichtige Kanäle für militärische und staatliche Propaganda“. Viele Personen, „die im zensurindustriellen Komplex arbeiten, wechseln ungehindert von Regierungs- und Militäraufträgen zu staatlich gelenkten NGOs“. Und so steht in Shellenbergers Artikel die Frage im Raum, wer da eigentlich wen manipuliert.