Hamburg war der erste Streich, nun folgt Berlin im großen Caspar-David- Friedrich-Festival anläßlich dessen 250. Geburtsjahres. Wie in Hamburg darf man auch in der Alten Nationalgalerie mit einem immensen Besucherandrang rechnen: Ist unsere Gesellschaft wieder romantisch geworden? Oder schlägt sich hier eine tief empfundene Leerstelle auf der Suche nach dem Sinn des Lebens nieder?
Ein wolkengrauer Himmel verdunkelt sich zur Ferne hin, bis er sich am Horizont mit dem fast schwarzen Meer vereint. Im Vordergrund ein schmales Stück Strand mit einem kleinen, ja winzigen Menschlein angesichts einer unfaßbaren Weite und unermeßlichen Tiefe: Der „Mönch am Meer“ ist ein ikonographisches Bild für Caspar David Friedrich – und ebenso für die Alte Nationalgalerie. Auch davon erzählt die Berliner Ausstellung “Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“.
„Unendliche Landschaften“ ist eben jenes Stichwort, das Besucher in Scharen zu den Werken des 1774 in Greifswald geborenen Malers strömen läßt: Er formte eine Bildwelt, in der Naturerscheinungen zu Manifestationen des Höheren, Umfassenderen sublimiert sind. Ob eine sommerliche Landschaft im Elbtal, nebelverhangene Berge in Böhmen oder bedeutungsvoll aufgeladene Bilder wie „Abtei im Eichwald“ oder „Das Eismeer“ (eine seltene Leihgabe der Kunsthalle Hamburg): Stets ist es die in sich gekehrte Stille, die konzentrierte Ruhe oder tiefgründige Melancholie dieser Gemälde, deren innerer Sinngehalt weit über sie hinausweist. Hinausweist aber auch auf eine alles verändernde Zeitlichkeit, ein An- und Abschwellen von Kräften, auf die der Mensch keinerlei Einfluß hat, sondern denen er – so will es die Natur der Dinge – unterworfen ist (JF 2/24).
In der Romantik sehnt sich der Mensch nach dem Erhabenen
Damit bot das Werk Caspar David Friedrichs seinen Zeitgenossen etwas bislang Ungesehenes: Die Romantik verstand den Menschen als staunendes, empfindendes und daraus erkennendes Wesen. Ein Wesen allerdings, das sich nach dem Erhabenen sehnt – und es in seinem natürlichen Umfeld findet. Romantisieren heiße, so Novalis, „dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein“ zu geben. Erst das innere Erkennen führe zu einer Erweiterung, Vertiefung der alltäglichen Welt, wozu sich auch Caspar David Friedrich bekannte: Ein Bild müsse nicht gefunden, sondern empfunden werden – nur so gelinge die „Erhebung des Geistes“.
Die Verschränkung von Außen- und Innenwelt gilt für den Künstler – aber auch für den Betrachter.
Zu Friedrichs revolutionären Bildkompositionen gehört der Blick in die Tiefen des Landschaftsraumes, vermittelt durch jene für ihn typischen Rückenfiguren: Wie auf „Kreidefelsen auf Rügen“, dem wohl bekanntesten Beispiel, befinden sie sich im Bildvordergrund, ohne jedoch im Mittelpunkt zu stehen. Vielmehr bilden sie ein Scharnier zwischen realer und abgebildeter Welt und dienen als Stellvertreter für den Betrachter, als eine Einladung zur Bewunderung der Schöpfung. Denn, so bemerkte Friedrich selbst, „das Göttliche ist überall, (…) auch in einem Sandkorn.“
Das führt uns zurück zum „Mönch am Meer“: Zusammen mit seinem Gegenstück „Abtei im Eichwald“ – Friedrich arbeitete häufig in Bildpaaren – wurde es 1810 vom preußischen Königshaus erworben (heute bilden die Gemälde das Herzstück der Ausstellung). Ein Ankauf, der Friedrichs ungewöhnliche Landschaftsauffassung regelrecht adelte und dem Maler zu einem immensen Karriereschub verhalf. Schon in der damaligen Rezeption wurde aber auch die Ambivalenz, die Friedrichs Bilder bis heute hervorrufen, deutlich: Während Clemens Brentano im Mönch am Meer die Sehnsucht als ein fortdauerndes Streben nach dem Unerreichbaren dargestellt sah, erkannte Heinrich von Kleist in ihm eine (nicht minder geschätzte) apokalyptische Weltsicht sowie ein ungeheures Gefühl der Einsamkeit. Goethe hingegen goutierte das Gemälde keineswegs, sondern bedachte es mit spitzen Bemerkungen. Es ist diese individuelle Deutungsoffenheit, die Caspar David Friedrichs Werke auch für spätere Betrachter so interessant machten und machen.
Zunächst aber vergaß man den Maler im Verlauf des 19. Jahrhunderts – auch die Kunst folgt ihren Moden. Seine Wiederentdeckung wurde wiederum in Berlin befördert: Hugo von Tschudi, Direktor der Nationalgalerie, hatte Friedrichs inzwischen zahlreich vorhandene Werke bereits in seiner 1896 erfolgten Neuordnung der Sammlung hervorgehoben. Den entscheidenden Anstoß aber gab zehn Jahre später die Deutsche Jahrhundertausstellung, eine höchst wirkungsreiche Präsentation deutscher Kunst, bei der Friedrich mit 36 Gemälden und 57 Zeichnungen so umfassend wie nie gezeigt wurde. Tschudi, dessen Fokus dem französischen Impressionismus galt, wollte mit dieser Ausstellung nicht zuletzt seine Kritiker beruhigen. Doch in der „Wiedergabe des atmosphärischen Lebens“ – auch Friedrich bediente sich in der Darstellung von Wolken, Gestein oder Meeresoberflächen der Auflösung von Strukturen – erkannte der ablehnend als „Franzosenfreund“ bezeichnete Tschudi die Modernität des Malers, der nun als „das Frappanteste auf der Ausstellung“ bezeichnet wurde.
Seither ist Friedrich nicht mehr aus dem Kanon der Malerei wegzudenken. Mit 15 Werken bewahrt die Nationalgalerie eine der weltweit umfangreichsten Sammlungen von Gemälden Caspar David Friedrichs. Hinzu kommen zahlreiche Bleistift-, Feder- und Tuschzeichnungen aus dem Besitz des Berliner Kupferstichkabinetts, die in der Ausstellung neu zu entdecken sind.
Friedrichs prägnante Bilderfindungen leben von der Spannung zwischen tief in den Raum greifender Komposition und detailreicher Naturbeobachtung – allerdings bilden seine Gebirge, Schluchten und Wälder keine realen Orte ab. Den realen Berg hat er nie gesehen – im Oberlichtsaal der Alten Nationalgalerie läßt sich dennoch beobachten, wie die Veränderungen der Lichtverhältnisse den Watzmann zur Erfahrung lebendiger Natur werden lassen.
Friedrich komponierte seine Gemälde im Atelier
Allerdings war Friedrich – gemäß seiner Zeit – weit entfernt von Freiluftmalerei. Wiewohl er die Natur auf seinen zahlreichen Wanderungen durch die Sächsische Schweiz, den Harz, das Riesengebirge und die Böhmischen Berge eingehend studierte und sich in detailgenauen Skizzen einen Mustervorrat an knorrigen Eichen oder Schluchten und Bergformationen anlegte, komponierte er seine Gemälde im Atelier und bereitete sie anhand präziser Unterzeichnungen vor. Die er jedoch nicht immer ausführte, wie ein Ausstellungsbereich vermittelt: Immerhin gehört die Berliner Nationalgalerie zu den wichtigsten Zentren zur Erforschung der Maltechnik Caspar David Friedrichs.
„Hohe Eichen und einsame Schatten im heiligen Haine sind erhaben“, konstatierte schon Kant; beides findet sich bei Caspar David Friedrich in großer Zahl, ebenso wie das Waldesinnere und die Bergeshöh’. Motive, die als typisch deutsch gehandelt werden – nicht immer mit positivem Vorzeichen. Insbesondere das „grüne“ Deutschland setzt derzeit alles daran, Wald und Höh’ dem Klimaschutz zu opfern – ungeachtet der eingangs erwähnten unbezwingbaren Kräfte, denen auch der Mensch unterliegt. Friedrich verstand sich angesichts der Napoleonischen Kriege tatsächlich als Patriot und ehrte den soeben als deutschen Freiheitshelden entdeckten Arminius mit dem Gemälde „Felsenschlucht“, das in der Ausstellung der einzige Verweis auf Friedrichs politische Ansichten ist. Mehr zur Rezeptionsgeschichte Caspar David Friedrichs, seiner Vereinnahmung durch den Nationalsozialismus und die dadurch oft negativ geprägte nachfolgende Forschung bietet der umfangreiche Katalog.
Dennoch: In seinem Jubiläumsjahr strömen die Besucher zu Caspar David Friedrich. Sind wir wieder romantisch geworden? Bedienen seine emotional leicht zugänglichen Bilder in unserer singularisierten Gesellschaft die Suche nach einem höheren Sinn? Man tut gut daran, die Komplexität dieses Werkes nicht zu unterschätzen und dessen intellektuelle Ansätze – der Glauben an die Beseeltheit der Schöpfung ebenso wie die vernunftvergessenen Utopien, die der Romantik zugeschrieben werden – zu bedenken (JF 8/24). Dies könnte helfen, auch heute die Sinnhaftigkeit politischer wie gesellschaftlicher Handlungen in ein klareres Licht zu rücken.
In bezug auf die Individualität des Künstlers schrieb Caspar David Friedrich: „Des Künstlers Gefühl ist sein Gesetz. (…) Nie aber darf das Gefühl eines anderen uns als Gesetz aufgebürdet werden.“ Ein Leitgedanke zur Freiheit persönlicher Ansichten, der auch heutigen Zeitgenossen gut zu Gesicht stünde.
Die Ausstellung „Caspar David Friedrich. Unendliche Landschaften“ ist bis zum 4. August 2024 in der Berliner Alten Nationalgalerie, Bodestraße, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, Sa./So. bis 20 Uhr, zu sehen. Der Eintritt beträgt 16 Euro
(ermäßigt 8 Euro).
Der Katalog mit 352 Seiten und 300 Farbabbil-dungen kostet im Museum 30 Euro.