In Halberstadt, aber doch: „In Berlin“. Der Song des legendären City-Albums „Casablanca“ aus der Spätphase des Arbeiter- und Bauernstaates ist mir plötzlich im Ohr, als ich vor den Trümmerbergen stehe, die sich an der Friedensstraße (hinter einem Bauzaun) auftürmen – und nichts mehr erahnen lassen vom einstigen „Klubhaus der Werktätigen“, dessen trostlose Ruine vor einem Jahr noch sichtbar war. Es muß etwa 1988 gewesen sein, als unsere Abiturklasse samt Lehrer zu einem City-Konzert ins „Klubhaus“ pilgerte, um dies vermutlich als FDJ-Kulturveranstaltung zu verbuchen – und tatsächlich ist mir, als wären wir fast die einzigen Besucher gewesen. Im Song über die geteilte Hauptstadt sang Toni Krahl: „Heut seh’ ich vom Balkon bei Mutter, da drüben den Mercedes-Stern, Werbung für McDonalds-Futter und Türken, die die Straße kehren“. Doch an der Ecke der Friedensstraße ist 2024 ein „Antalya Bistro“, und nach einer Ewigkeit verschlinge ich wieder einen Döner – für inzwischen sieben Euro. Als ich kurz danach die NZZ-Deutschlandausgabe in die Hand nehme, stoße ich auf die Schlagzeile „Steinmeiers Döner-Diplomatie löst Kopfschütteln aus“. Laut Statistik, so lese ich, macht die Döner-Branche in Deutschland einen jährlichen Umsatz von sieben Milliarden Euro.
Zweifelsohne befördern die Musikstücke der Achtziger beim Hören eine permanente Zeitreise.
Unbestritten dürfte jedoch Jean Pauls Diktum sein von der Erinnerung als dem einzigen Paradies, aus dem wir nicht vertrieben werden können. So erklärt sich auch deren Eigenleben. Denn wie ich im Nachgang feststelle, stimmt das alles gar nicht: So ist es nicht die Friedens-, sondern die Harmonie- beziehungsweise Spiegelstraße, und das zitierte Lied ist lediglich der Refrain des Titels „z.B. Susann“. Passend dazu erschallt im Radio der penetrant melancholische Song Tanita Tikarams „Twist in My Sobriety“, dessen bedeutungsschwangerer Titel der Sängerin selbst bis heute ein Rätsel aufgibt, da hier nur schöne Metaphern und ausdrucksstarke Wörter zusammengewürfelt worden seien. Damals gab es sogar eine Amiga-LP der Künstlerin, die ich automatisch – da „Musik von drüben“ – kaufte, dann mir aber kein einziges Mal anhörte, so trist und monoton war das ganze Werk, daß ich bei jedem weiteren Song den Plattenspieler gleich wieder ausmachte. Zweifelsohne jedoch, so meine Erfahrung, befördern die Musikstücke der Achtziger im Radio beim Hören eine permanente Zeitreise – jedenfalls lauert diese im Hintergrund. Nur die Frage des Reiseantritts ist damit nicht automatisch geklärt.
Unbeantwortet bleibt auch die Frage nach dem im Radio permanent beworbenen temporären Standort von Correctiv und MDR im Halberstädter Stadtzentrum, wo sich das Team dem lokalen Thema Barrierefreiheit widmen will. Gern würde ich mir diese Correctiv-Crew vorknöpfen, die mit dem behaupteten „Geheimtreffen“-Narrativ selbst ein Hindernis verkörpert. Als ich beim ersten Geschäft im Einkaufszentrum nachfrage, beteuern die Verkäufer, sie wüßten es wirklich nicht: „Wir wollen ja nicht lügen“, darauf ich: Das bräuchten sie auch nicht, das mache ja schon Correctiv.