© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/24 / 03. Mai 2024

Menschelnde „Lokal-Politik“ in der Bonner Republik
Nicht immer besoffen
(dg)

Es wurde relativ viel gesoffen, das ist schon wahr“, erinnert sich der Bundestagsabgeordnete Hubert Kleinert (Grüne) an die Spätphase der Bonner Republik. Aber natürlich seien die Parlamentarier, Journalisten und Lobbyisten, die Politisches in der Kneipe statt im Plenarsaal verhandelten, „nicht immer besoffen gewesen“. Allerdings hob Alkohol die Stimmung beim gemeinsamen Essen und sei für „vieles hilfreich gewesen“. Ähnlich stufen die hohe kulturelle Bedeutung des Essens und Trinkens über Parteigrenzen hinweg zwanzig weitere Zeitzeugen ein, die die Journalistin Nicola Trenz für ihre Masterarbeit befragte, um die wissenschaftlich bisher unbeachtete Bedeutung solcher Treffen für die „politische Kommunikation“ zu ermitteln (Aus Politik und Zeitgeschichte, 16-17/2024). Im Bonner Hauptstadtalltag sei es ohnehin „sehr üblich“ gewesen, Alkohol zu trinken, auch tagsüber im Büro oder bei Ausschußsitzungen, ohne daß die Suchtproblematik ein Thema gewesen wäre. Geselligkeit im lockeren Kneipen-Rahmen schuf Vertrauensbeziehungen, entschärfte Konflikte, bereitete Kompromisse vor, machte Politik „menschlicher“. Diese soziale Praxis trug im „Bundesdorf Bonn“ wesentlich zur konstruktiven Atmosphäre des parlamentarischen Betriebs bei. Diese sei zudem durch räumliche Nähe gefördert worden, da sich die „politischen Essen“ auf wenige Gaststätten konzentrierten. Daher hätten sich keine starren Freund-Feind-Konstellationen zwischen Parteien und Fraktionen gebildet. Insoweit habe diese im weitläufigen Berlin nicht mehr mögliche „Lokal-Politik“ ihren Anteil daran, „daß Bonn nicht Weimar wurde“. 


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