Vergangenheitsbewältigung bei den Christdemokraten. Wenn am kommenden Sonntag der CDU-Bundesparteitag beginnt, werden sich die Delegierten aller Voraussicht nach vom Linkskurs Angela Merkels verabschieden. Die Altkanzlerin hingegen wird sich vom Parteitag fernhalten. Im Gegensatz zu einer Verabschiedungsfeier für den Grünen-Altlinken Jürgen Trittin, der sie jüngst beiwohnte und damit in der Partei für zusätzlichen Unmut gesorgt hatte. Doch ohnehin will die CDU mit einem unter der Federführung des langjährigen Merkel-Kritikers und heutigen CDU-Generalsekretärs Carsten Linnemann erarbeiteten Grundsatzprogramm die Partei neu ausrichten.
Intern wie extern nehmen Beobachter das Programm schon jetzt als konservativer wahr als das vorherige. Sollten die Delegierten dem Entwurf folgen, wäre es auch eine Abkehr von Merkels Zuwanderungspolitik der letzten zehn Jahre. Demnach werden sich die Christdemokraten künftig für Asylverfahren in Drittstaaten aussprechen. „Jeder, der in Europa Asyl beantragt, soll in einen sicheren Drittstaat überführt werden“, lautet etwa eine Forderung in dem Entwurf.
Darüber hinaus wird die von Friedrich Merz bereits im Jahr 2000 eingeforderte Leitkultur in das Programm Einzug halten. „Nur wer sich zu unserer Leitkultur bekennt, kann sich integrieren und deutscher Staatsbürger werden“ , ist in dem 70seitigen Papier zu lesen. Es ist auch ein Schlußstrich unter den vom ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff formulierten Satz, der Islam gehöre zu Deutschland. Denn im Programmentwurf steht nun: „Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.“
Auch in der Energiewende steht ein Richtungswechsel bevor. „Wir können zur Zeit nicht auf die Option Kernkraft verzichten“, heißt es nun. Stattdessen will man dem Klimawandel „technologieoffen“ und mit „Anreizen“ entgegentreten. Energie solle wieder „sicher, sauber und bezahlbar werden.
Kleinere und mittlere Einkommen sollen entlastet werden, wer Sozialleistungen erhalte und arbeitsfähig sei, solle künftig auch arbeiten. Der demographischen Entwicklung will die Partei mit längerer Lebensarbeitszeit begegnen, die Regelaltersgrenze soll sich an der Lebenserwartung orientieren. Wer nach dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters freiwillig weiterarbeiten will, soll bis zu einem festzulegenden Höchstbetrag sein Gehalt steuerfrei erhalten können. Kinder ab vier Jahren sollen laut Entwurf einen verpflichtenden Sprachtest absolvieren, Schulabgänger künftig ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr durchlaufen.
Hört man sich unter erfahrenen Delegierten um, so ist auf dem Parteitag mit einer breiten Unterstützung für den Programmentwurf zu rechnen. „Ich gehe davon aus, daß es abgesehen von üblichen vereinzelten Änderungen eine breite Akzeptanz geben wird“, sagt einer von ihnen der JUNGEN FREIHEIT. Zudem waren Bemühungen des langjährigen Merkel-Vertrauten und CDU-Linksaußen Ruprecht Polenz, Mitgliederanträge gegen das neue Programm zu stellen, mangels Unterstützung kläglich gescheitert.
Enkel von Helmut Kohl könnte in Vorstand ziehen
Schwieriger gestaltete sich im Vorfeld die personelle Vorbereitung des Parteitags, auf dem auch der Bundesvorstand neu gewählt werden wird. Während Friedrich Merz nach der peinlichen Niederlage seines Amtsvorgängers Armin Laschet bei der Bundestagswahl vor zwei Jahren mit großer Mehrheit zum Vorsitzenden gewählt worden war, blieben zahlreiche Altmerkelianer in ihren Ämtern. Was dazu führte, daß der neue Parteichef bisher nur bedingt eine Abkehr von der Politik der Altkanzlerin herbeiführen konnte. Deren Anhänger stellen derzeit noch die Mehrheit im Bundesvorstand.
Das könnte sich nach dem Parteitag ändern. Besonders unter den Beisitzern tummeln sich zahlreiche junge und konservative Kandidaten, Kampfabstimmungen kündigen sich an. Einer der Beisitzer-Kandidaten: Johannes Volkmann. Der 27jährige ist der Enkel von Helmut Kohl. Ein Konservativer, der vom langjährigen Merkel-Kritiker Hans-Jürgen Irmer behutsam aufgebaut und gefördert wird. Volkmann ist bereits CDU. Kreisvorsitzender im Lahn-Dill-Kreis. Und damit Irmers Nachfolger. Jetzt nominierte ihn die Junge Union für den CDU-Bundesvorstand.
Unterdessen sind spektakuläre personelle Wechsel im Präsidium nicht mehr zu erwarten. Insidern zufolge gebe es einen innerparteilichen Deal zwischen dem Merz-Lager und den Anhängern rund um die Ministerpräsidenten Hendrik Wüst und Daniel Günther. Deren mit Karin Prien und Serap Güler eher links stehende Vertreter im Präsidium würden vom Merz-Lager mitgetragen.
Im Gegenzug winke das Wüst/Günther-Lager Grundsatz- und Europawahlprogramm durch und würde wohl auch einen Kanzlerkandidaten Merz akzeptieren. Letztere Entscheidung wird jedoch auf die Zeit nach den Landtagswahlen in den neuen Ländern vertagt. „Bis dahin kann noch eine Menge passieren“, meint ein Merz-Vertrauter gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.