© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/24 / 03. Mai 2024

Mehr als ein Sack Reis umgefallen
AfD und China: Ein Mitarbeiter unter Spionage-Verdacht bringt Spitzenkandidat Krah – und die Partei – in Bedrängnis
Henning Hoffgaard / Christian Vollradt

Es klingt wie aus dem Drehbuch eines eher zweitklassigen Agentenfilms: Der Mitarbeiter eines Abgeordneten wird unter dem Verdacht der Spionage im Interesse einer fremden Macht verhaftet, soll sich zugleich aber auch deutschen Nachrichtendiensten als Informant angedient haben. Doch manchmal klingt die Realität bizarrer und spannender als jede mittelmäßig erdachte Geschichte. Das trifft offenbar auch auf die an immer neuen Wendungen bisher nicht gerade arme Affäre um den AfD-Europaabgeordneten und -spitzenkandidaten Maximilian Krah (JF 18/24) zu.

Dessen parlamentarischem Mitarbeiter Jian G. wirft der Generalbundesanwalt vor, chinesische Oppositionelle in Deutschland ausspioniert und spätestens seit Januar 2024 Pekings Staatssicherheitsdienst über Verhandlungen des EU-Parlaments berichtet zu haben. In Brüssel stellte man nun ein besonderes Interesse des Abgeordnetenbüros an vertraulichen Dokumenten aus dem Handelsaussschuß des EU-Parlaments fest. Der Bundesgerichtshof ordnete Untersuchungshaft für den gebürtigen Chinesen an, der inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Für die Sicherheitsbehörden ist G. allerdings kein unbeschriebenes Blatt. So hatte der Verfassungsschutz bereits vor Jahren Kontakt zu dem damals noch chinesischen Staatsbürger. 2007 habe sich G., der seit 2002 in Dresden studierte, deutschen Geheimdienstlern als Zuträger angeboten. Zuerst dem Bundesnachrichtendienst, wie die ARD berichtet. Der lehnte das Angebot ab und verwies den offenbar mitteilungsbedürftigen Studenten an den sächsischen Verfassungsschutz. Später versuchte G. sich beim Bundesamt für Verfassungsschutz als Informant anzudienen – und blitzte auch dort ab. Der Inlandsgeheimdienst hielt G. für nicht vertrauensvoll und vermutete, es könne sich um einen Doppelagenten handeln. 

„Die chinesische Botschaft will das wissen“

Pikant, was nun die Bild-Zeitung herausfand. Denn den sächsischen Verfassungsschützern soll der in Dresden wohnende G. der zeitweilig SPD-Mitglied war, von sich aus Informationen über staatliche chinesische Akteure geliefert haben, die in Deutschland gegen Exil-Chinesen vorgingen. Erst Jahre später bekamen die Sachsen dann einen Hinweis vom Bundesamt für Verfassungsschutz, daß es sich bei G. um einen Doppelspion handeln könnte, berichtet das Blatt weiter.

2015 und 2016 sei G. dann direkt von der Spionageabwehr des Verfassungsschutzes beobachtet und von den Geheimdienstlern dann auch zum Verdacht befragt worden. Allerdings konnten die Ermittler ihm nicht rechtssicher nachweisen, auch für China spioniert zu haben. Als Verdachtsfall wurde er weiter geführt, bevor er 2018 endgültig vom Verfassungsschutz als Informant abgeschaltet wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte G. bereits Kontakt mit Krah aufgenommen und arbeitete seit 2019 als dessen Mitarbeiter im EU-Parlament. Trotz des Spionageverdachts erhält der Chinese den deutschen Paß und konnte die Sicherheitsprüfung im EU-Parlament bestehen.

Die Spionageabwehr ist Kerngeschäft des Verfassungsschutzes. Was das Amt macht, wenn es Informationen erhält, daß Mitarbeiter von deutschen Abgeordneten im Verdacht stehen, für fremde Mächte zu spionieren, weiß der frühere Amtschef Hans-Georg Maaßen genau, der zwischen 2012 und 2018 an der Spitze des Inlandsgeheimdienstes stand. „Es ist nicht selten, daß Mitarbeiter von Abgeordneten im Verdacht stehen, für ausländische Geheimdienste zu arbeiten. In aller Regel handelt es sich nicht um sogenannte ‘Spione’, denn die Informationen, über die Parlamentarier verfügen, sind regelmäßig nicht so geheim, als daß es sich lohnen würde, Agenten einzusetzen“, sagte Maaßen der JUNGEN FREIHEIT. Es handele sich vielmehr „um sogenannte Einflußagenten, die durch die Beeinflussung ihrer Abgeordneten Einfluß auf deren Entscheidungen nehmen wollen“, berichtet Maaßen. „China ist seit jeher ein problematischer Staat, der aus meiner Wahrnehmung ziemlich robust Einflußagenten in der Politik einsetzt, um Politik und Agenda im Sinne Chinas zu beeinflussen.“

Und was, wenn sich die Hinweise verdichten? „Liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, daß Mitarbeiter von Abgeordneten für einen ausländischen Geheimdienst arbeiten, führt der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, sein Vertreter oder im Verhinderungsfall der Chef der Spionageabwehr Sensibilisierungsgespräche mit den Abgeordneten durch“, erläutert Maaßen. Bei Landtagsabgeordneten seien die Landesämter zuständig. Ziel solcher Gespräche sei es, „die Abgeordneten zu sensibilisieren, daß ein operativer geheimdienstlicher Angriff gegen sie stattfindet, sie sich deshalb so verhalten müssen, daß der betreffende Mitarbeiter keinen Einfluß und keine relevanten Informationen mehr erhalten kann und sie an einer weiteren Sammlung von Beweisen gegen den Mitarbeiter mitwirken“. 

Er selbst, berichtet Maaßen, habe während seiner Dienstzeit als Präsident des Verfassungsschutzes „mehrfach solche Gespräche mit Abgeordneten geführt“. Stehe der Abgeordnete selbst im Verdacht, „dann finden solche Gespräche mit dem Fraktionsvorsitzenden oder dem Parteivorsitzenden statt“.

Die JUNGE FREIHEIT fragte beim Verfassungsschutz nach: Seit wann war G. Beobachtungsobjekt? Wurden Krah oder andere Funktionäre der AfD, wie etwa die Partei- und Fraktionsvorsitzenden, vom Bundesverfassungsschutz gewarnt? Wurden Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) im Bundestag über den Verdacht informiert? In diesem Gremium, das für die Kontrolle der Nachrichtendienste des Bundes zuständig ist, ist die AfD nicht mehr vertreten, weil die anderen Fraktionen im Bundestag die Kandidaten der Partei nicht wählten.

Die Antwort der Kölner Behörde fällt – für einen Geheimdienst nicht ungewöhnlich – schmallippig aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz nehme „zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung“. Schiebt aber nach, daß es „zu entsprechenden Themen insbesondere der Bundesregierung und den zuständigen, geheim tagenden Gremien des Deutschen Bundestages“ berichte. Also beispielsweise dem Parlamentarischen Kontrollgremium.

Es liegt nahe, daß dessen Mitglieder noch vor der Festnahme von Krahs Mitarbeiter über den Fall informiert waren. Haben sie vielleicht Erkenntnisse vorab auch an gewogene Medien durchgestochen? Auszuschließen ist das nicht, da bereits kurz nach der Festnahme von G. in Dresden bei mehreren Medien umfangreiche Artikel erschienen. Einige wurden sogar noch vor der offiziellen Mitteilung des Generalbundesanwalts über den Vorgang publiziert.

Hat der Verfassungsschutz also – wie es Maaßen zufolge normalerweise üblich ist – die AfD oder Krah gewarnt? Aus dessen Büro heißt es, zu keinem Zeitpunkt sei der Abgeordnete über den Verdacht informiert worden. Und die Partei- und Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla? Ein Sprecher der Partei verneint dies. „Nein, eine solche Information kam nicht aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz.“ Weder bei Weidel noch bei Chrupalla.

Gewarnt hätte die Partei dennoch sein können. Seit Jahren wird in der AfD nicht nur hinter vorgehaltener Hand über Krahs Mitarbeiter gesprochen. „Nicht koscher“ und „nicht vertrauenswürdig“, hieß es über G. schon recht früh nach seiner Anstellung bei Krah. Es ist die gleiche Einschätzung, zu der auch der Verfassungsschutz Jahre zuvor gelangte. Spätestens 2023 waren die Vorwürfe öffentlich. Der European Conservative berichtete unter der Überschrift „Beschwerden über Europaabgeordneten Maximilian Krah tauchen auf“ umfangreich über Krahs chinesischstämmigen Mitarbeiter. Dieser errege den „Verdacht seiner Kollegen wegen seiner mangelnden Englisch- und Deutschkenntnisse, seiner aggressiven pro-chinesischen Lobbyarbeit und seiner regelmäßigen Verbindungen zu unbekannten chinesischen Delegationen im Parlament“, schrieb das Magazin damals. Krah tat dies damals als „Verleumdungsgeschichte“ ab und erhob im Gegenzug Rassismusvorwürfe gegen Kritiker. 

Es waren aber nicht die einzigen Hinweise auf eine mindestens problematische Rolle des Krah-Mitarbeiters. So soll G. sich beispielsweise vor der im Dezember 2020 beschlossenen Resolution „Zwangsarbeit und die Situation der Uiguren im Uigurischen Autonomen Gebiet Xinjiang“ im Büro eines anderen Abgeordneten der ID-Fraktion gemeldet und nach dem Abstimmungsverhalten gefragt haben. Auf die erstaunte Gegenfrage, warum ihn das interessiere, habe Krah-Mitarbeiter G. nach einigem Herumdrucksen geantwortet: „Die chinesische Botschaft will das wissen.“ 

Im April 2022 wurde dem AfD-Bundesvorstand ein Schreiben vorgelegt, in dem sich Abgeordnetenkollegen aus dem Europaparlament über Krahs „schwer erträgliche Video-Propaganda für die Kommunistische Partei Chinas“ beklagen, die innerhalb der eigenen Fraktion in Brüssel „Italiener, Franzosen, Österreicher, Spanier und andere“ sehr irritiert habe.  

Unterdessen sind für die AfD die geheimdienstlichen Vorgänge rund um die aktuelle Affäre ein Hinweis, daß es sich hier um eine Kampagne handelt, die der Partei im Wahlkampf schaden soll. Nach außen versucht man, Geschlossenheit zu wahren. Hinter den Kulissen sieht es zuweilen anders aus. Der AfD gehe es an die Substanz, soll die Vorsitzende Alice Weidel in der Fraktionssitzung geäußert haben, als die aktuellen Vorgänge zur Sprache kamen. Denn neben den mutmaßlichen chinesischen Einflußversuchen köcheln die Vorwürfe auch gegen den Europa-Listenplatz-Zweiten Petr Bystron weiter, dem die Annahme von Geldzahlungen eines prorussischen Netzwerks vorgeworfen wird, was er strikt bestreitet. Doch daß nun ausgerechnet eine Partei, die im Wahlkampf mit dem Slogan „Unser Land zuerst!“ antritt, als „Landesverräter“ beschimpft wird, hebt nicht gerade die Stimmung. 

Der offizielle Wahlkampfauftakt am Sonnabend fand ohne die beiden in die Schußlinie geratenen Kandidaten statt. Es „geht um die Partei und nicht um die Person“, betonte Parteichef Tino Chrupalla. Das klang schon wie eine leise Absetzbewegung. „Wer nachweislich käuflich ist, muß gehen“, sagte der AfD-Vorsitzende ebenfalls. Das kann man als deutliche Warnung verstehen. Informationen der jungen freiheit zufolge hat die Partei Werbespots mit Krah zumindest in Teilen aus dem Verkehr genommen. Spitzenkandidat bleibt er formal weiter. Daß er die künftige Delegation in Brüssel anführen wird, gilt in Parteikreisen als höchst unwahrscheinlich. Daß man ihm ein Gutteil der Verantwortung dafür zuschieben wird, sollte die AfD die seit dem Europa-Parteitag geltende Zielmarke unterschreiten, ist dagegen so gut wie sicher.