© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/24 / 26. April 2024

Verzichten ist edel
Die aufkommende Diskussion über „Suffizienz“ ist nur die neue grüne Begleitmusik zur Talfahrt Deutschlands
Hans Hofmann-Reinecke

Die Sprache von Regierenden und Medien ist heute der systematische Mißbrauch von Begriffen, die eigens zu diesem Zweck laufend neu erfunden werden. Vokabeln wie divers, nachhaltig und klimaneutral sind die Begleitmusik zur Talfahrt Deutschlands, ohne daß sie irgendwie hilfreich wären. Dazugekommen ist jüngst die „Suffizienz“. Dadurch soll der Verlust der Lebensqualität, der durch eine verfehlte Politik unvermeidlich wird, als noble und freiwillige Geste des Verzichts interpretiert werden. So soll der Niedergang als wohlkontrolliertes, strategisch geplantes Projekt dargestellt werden, und nicht als die notwendige Folge falscher Zielsetzungen und fehlender Kompetenz der Regierung.

Suffizienz ist ein Thema mit großer Anziehungskraft. Professorinnen neugeschaffener Lehrstühle  erklären wortreich die einzelnen Aspekte und kommen zu der Erkenntnis, daß das, was die Grünen predigen, genau das Richtige sei. Auch der 1971 von der rot-gelben Bundesregierung eingerichtete Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) greift das Thema auf und veranstaltet hierzu am 29. April eine Konferenz, auf der nicht nur das neueste SRU-Papier „Suffizienz als ‘Strategie des Genug’: Eine Einladung zur Diskussion“ in Anwesenheit der grünen Staatssekretäre Sven Giegold (Wirtschaft) und Stefan Tidow (Umwelt) vorgestellt wird, sondern wo auch „Personen der Zivilgesellschaft und Wissenschaft“ ihre Beiträge zum besten geben.

Was hierbei zu erwarten ist, verrät ein Blick in das Papier „Die Potentiale von Suffizienz-Politik heben“, welches vom Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) erstmals 2021 veröffentlicht wurde. Der BUND lebt zwar primär von Spenden, wurde aber für diese Arbeit vom Umweltbundesamt (UBA) und vom damals SPD-geführten Umweltministerium „unterstützt“. Beklagt wird primär der zu hohe Flächenbedarf. Die Schäden an Natur und Umwelt durch Versiegelung und Zerschneidung sind erheblich und zumeist nicht oder nur mit großem Aufwand umkehrbar. Siedlungsflächen und Straßen kosten Lebensraum, behindern auch Wanderungsbewegungen von Tieren und Pflanzensamen, verändern Boden- und Wasserhaushalt und beeinträchtigen damit die biologische Vielfalt.

Kein Problem scheint für den BUND, daß bis 2030 die installierte Solarkapazität auf 215 Gigawatt (GW) erweitert werden soll? Da wären dann über 2.000 Quadratkilometer (km²) mit PV-Modulen zugepflastert. Das entspricht fast der Fläche des Saarlandes, fünf Millionen Schrebergärten oder dem Flächenbedarf von Autobahnen einer Gesamtlänge von 40.000 Kilometern. Deutschland hat derzeit weniger als 13.500 Kilometer. Beeinträchtigt die Photovoltaik den Boden- und Wasserhaushalt sowie die biologische Vielfalt nicht? Letztere reduzieren ja bereits die etwa 30.000 Windgeneratoren. Und bei Nacht, Wolken und im Winter erzeugt PV keinen Strom. Ist das nachhaltig? Ist das Suffizienz? Das ist „nicht oder nur mit großem Aufwand umkehrbar“ – wie der Ausstieg aus der Kernenergie. Diese Fehlentscheidung verursacht viele Probleme und löst kein Klima- und Umweltproblem.

Thesen im BUND-Papier passen der Bundesregierung ins Konzept

Diese gigantische Flächenverschwendung durch Wind und Solar soll nun dadurch kompensiert werde, daß andere „Siedlungsflächen“ am Wachstum gehindert werden, wodurch nicht nur die Knappheit an Wohnraum noch verschärft wird. Auch das wird im BUND-Papier beklagt: Die Menschen in Deutschland nähmen Jahr für Jahr eine immer größere Wohnfläche für sich in Anspruch. Waren es 1991 noch knapp 35 m² Wohnraum pro Kopf, belief sich dieser im Jahr 2019 im Schnitt auf 47 m². Besonders viel Wohnraum nähmen „Rentner*innen und Pensionär*innen“ ein, deren Kinder schon aus dem Haus sind: Sie beanspruchen bis zu 82 m² pro Kopf. Die Gründe für die Zunahme der Wohnfläche liegen unter anderem in einer gestiegenen Lebenserwartung bei gesunkener Geburtenrate und der Individualisierung in der Gesellschaft.

Aber wo sollen wir dann die jährlich Hunderttausenden an Geflüchteten und Fachkräfte sowie ihren kommenden Familiennachzug unterbringen? Die Mieten pro m² werden weiter steigen, und über kurz oder lang wird man sich von diesem Luxus verabschieden müssen. Und die Alten mit ihren langfristigen Mietverträgen? Da dürfte demnächst ein neues Gesetz fällig werden. Und die Menschen wollen auch heizen – trotz unserer „Klimakrise“?

Deutschland ist derzeit für weniger als zwei Prozent der globalen CO₂-Emissionen verantwortlich. Wird das verdoppelt oder auf null reduziert, es hat auf das Klima keinerlei Einfluß. Allein 2023 wurden laut Global Energy Monitor weltweit neue Kohlekraftwerke mit insgesamt 69,5 GW Leistung in Betrieb genommen – das ist mehr als die übliche Spitzenlast in Deutschland. Das zeigt einerseits, wie unbedeutend Deutschlands CO₂-Politik ist, und andererseits, wie wenig sich der Rest der Welt um seine auf UN-Konferenzen verkündeten Lippenbekenntnisse in Sachen CO₂ kümmert.

Man kann davon ausgehen, daß die Thesen im BUND-Papier weitgehend die Haltung der Bundesregierung wiedergeben. Wie kommen die Autoren dazu, den „Menschen“ vorzuhalten, daß sie zuviel Wohnraum in Anspruch nehmen, daß sie zu warm duschen, zuviel reisen und zu oft Fleisch essen? Wer gibt ihnen das Recht dazu? Wer gibt ihnen das Recht, sich in die Lebensgewohnheiten von Familien einzumischen? Sind die „Menschen“ jetzt dazu da, die grünen Fehlentscheidungen auszubaden? Und soll dieselbe Ideologie, die all die Probleme geschaffen hat, diese jetzt lösen?

Die Minister und der Kanzler haben ja einen Eid abgelegt: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde.“ Es ist höchste Zeit, daß die Politiker diesen Eid ernst nehmen, und daß die „Menschen“ das einfordern, denn niemand kann sie dazu zwingen, auf die Früchte der eigenen harten Arbeit oder die ihrer Vorfahren zu verzichten, weil ihnen gewisse Individuen die Freude am Leben nicht gönnen. Der Vorwurf an „die Menschen“, sie nähmen zu viel Raum in Anspruch, ist gespenstisch, insbesondere, wenn er von Personen kommt, die weder Raum noch sonst etwas Nützliches geschaffen haben. Verzicht ist edel, aber nicht, wenn man dazu gezwungen wird, insbesondere von Personen, die selbst dazu niemals bereit wären.


Dr. Hans Hofmann-Reinecke ist Publizist und arbeitete in der kernphysikalischen Forschung und für die Internationale Atomenergiebehörde. Sein neuestes Sachbuch „Ein grünes Requiem: die Politik der unerwünschten Folgen“ erschien 2023.  think-again.org/blog


Umweltrat: Suffizienz ist die „Strategie des Genug“

Für den Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) bedeutet Suffizienz, den Verbrauch an Gütern und Dienstleistungen mit schädlichen Umweltauswirkungen zu reduzieren. Dies sei eine „strukturelle Aufgabe, die entsprechende politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen“ erfordere. Deshalb haben die sieben SRU-Mitglieder – darunter die Umweltmedizinerin Claudia Hornberg (Uni Bielefeld) und die Ökonomin Claudia Kemfert (DIW) – 16 Thesen ausgearbeitet, die nicht nur Politik und Wirtschaft, sondern jeden Bürger betreffen. Dabei wird mit den „planetaren Belastungsgrenzen“ und Fragen der globalen „Gerechtigkeit“ argumentiert. Das dient dem SRU dann als Grundlage, sämtliche Lebensbereiche drastisch zu regulieren: Das gewachsene „Freiheitsverständnis“ bedürfe „einer Weiterentwicklung, um einen angemessenen Umgang mit den neuartigen ökologischen Herausforderungen zu finden“. Die „Bewältigung der ökologischen Krisen“ bedinge „tendenziell eine stärkere Rolle des Staates, als es einem verbreiteten liberalen Staatsverständnis entspricht“. (fis)

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