Tyler Cowen wurde durch seine Kolumnen in der New York Times oder bei Forbes und seine Podcasts zu einem populären Ökonomen in den USA. Der 62jährige lehrt an der George Mason University in Virginia und seine politischen Präferenzen sind libertär. Und sein neuestes Buch ist eine ausgezeichnete Gelegenheit, sich über Person, Werk und Wirken großer Wirtschaftsdenker zu informieren. Cowen beginnt mit Ökonomen des 20. Jahrhunderts und geht bis ins 18. Jahrhundert zurück. Das Werk wechselt immer wieder den Fokus, von den Menschen zu ihrer Moral (ihrer politischen Korrektheit aus heutiger Sicht) und von der Ideen- zur Wirkungsgeschichte.
Die drei größten Ökonomen sind für ihn: Adam Smith (1723–1790), John Stuart Mill (1806–1873) und Milton Friedman (1912–2006). In die zweite Reihe ordnet er Thomas Robert Malthus (1766–1834), John Maynard Keynes (1883–1946) und Friedrich August von Hayek (1899–1992) ein. Der Schotte Smith unterstellt den Menschen eigennütziges Handeln und eine Neigung zum Tauschen. Beides ermöglicht die Arbeitsteilung. Diese ist produktiv und trägt zum Wachstum bei – bei freier Arbeit. Smith hält Zwangsarbeit für unproduktiv. Eigennutz wird durch die unsichtbare Hand des Marktes neutralisiert, weil man im eigenen Interesse berücksichtigen muß, was Tauschpartner wollen.
Dem Wettbewerb sollte man auch die Universitäten überlassen, damit die Professoren von den Studenten bezahlt werden und sich um sie bemühen müssen. Große Märkte fördern die Arbeitsteilung. Umgekehrt trägt die Arbeitsteilung auch zur Vergrößerung des Marktes bei. Nationen sollten durch professionelle Streitkräfte verteidigt werden. Smith betrachtet Zölle mit Skepsis, läßt aber sicherheitspolitisch bedingte Ausnahmen zu, etwa Navigationsakte, die beim Seehandel den Transport auf eigenen Schiffen fordern. Sicherheit vor äußeren Feinden ist für ihn noch wichtiger als Wohlstand.
Der Engländer Malthus vertritt die Auffassung, daß die Bevölkerungsgröße von der Nahrungsbasis abhängt und daß diese nur langsam verbessert werden kann. Die Bevölkerung kann aber schneller wachsen, und es deshalb muß es zu Hungerkrisen kommen – es sei denn, daß Enthaltsamkeit oder Sexualpraktiken die Geburten verringern. Doch die Bevölkerung wuchs und der Hunger nahm trotzdem ab. Außerdem bedeuten üppigere Lebensbedingungen heute weniger Geburten. Cowen gibt zu bedenken, daß zwar Malthus’ konkrete Theorie falsch ist, aber möglicherweise die Wirtschaftstätigkeit aus ökologischen Gründen künftig zu abnehmenden Erträgen führt und damit zu einer Wiederkehr malthusianischer Probleme.
Die ausgezeichnete Bewertung des Engländers Mills ergibt sich wohl daraus, daß für Cowen die Wirtschaftwissenschaft alle anderen Sozialwissenschaften umfaßt, vor allem Soziologie und Politikwissenschaft. Mills wichtigste Argumente beziehen sich auf Themen wie den Wert der Freiheit, die Unterdrückung der Frau, Charakterbildung und zivilisatorische Entwicklung. Nach Cowen hat er vor seinem Landsmann Keynes die Möglichkeit von Krisen durch Nachfragedefizite erkannt. Cowens Darstellung von Keynes Theorien ist hingegen unbefriedigend. Keynes wichtigster Vorschlag besteht darin, Nachfragedefizite durch fiskalische Stimuli zu bekämpften und dabei Haushaltsdefizite in Kauf zu nehmen. Cowen läßt vor allem die Schwierigkeit erkennen, die sich daraus ergibt, daß Keynes mehrfach seine Auffassungen geändert hat, auch daß es nach ihm so viele Keynesianer mit unterschiedlichen Auffassungen gegeben hat.
Der österreichisch-britische Nobelpreisträger von Hayek hat nach Cowen 1945 den besten jemals veröffentlichten Aufsatz geschrieben. Dort argumentiert er, daß Wissen nicht zentralisierbar ist und deshalb die Planwirtschaft scheitern muß. Wissen muß nicht in Texten oder mathematischen Formeln expliziert sein. Es kann in Arbeitspraktiken implizit sein. Es muß nicht universell gültig sein, also immer und überall. Es kann an Zeit und Raum gebunden sein. Damit das Wissen genutzt werden kann, sind dezentralisierte Entscheidungen und echter Wettbewerb nötig. Hier wendet Cowen ein, daß einige ostasiatische Beispiele zumindest etwas Nutzen von simuliertem Wettbewerb nahelegen.
Der US-Nobelpreisträger Friedman ist vor allem als Monetarist bekannt. Nach seiner Auffassung geht die Weltwirtshaftkrise der 1930er Jahre in den USA auf eine falsche, damals zu restriktive Geldpolitik zurück. Inflation ist für ihn immer monetär bedingt. Sein Vorschlag, die Geldmenge kontinuierlich und langsam, aber nicht diskretionär wachsen zu lassen, ist nirgendwo aufgegriffen worden – im Gegensatz zu seinen Argumenten zugunsten flexibler statt fester Wechselkurse. Nach Friedman hängt der Konsum vom dauerhaften und nicht vom aktuellen Einkommen ab. Wenn es darauf ankommt, dann wird Nachfragebelebung durch fiskalische Stimuli schwer. Gegen den Gedanken, die Arbeitslosigkeit um den Preis der Inflation mit fiskalischen Stimuli zu bekämpfen, wendet er ein, daß das nur bei unerwarteter Inflation gelingen kann.
Cowens Buch ist im Internet kostenlos abrufbar. Es bietet die nützliche Option, Fragen zu stellen, die mit künstlicher Intelligenz beantwortet werden. Was die Frage nach dem größten Ökonomen angeht, darf man kritisch sein, auch was Cowens Kriterien angeht. Aber sein Werk ist gut lesbar und unterhaltsam.
Prof. Dr. Erich Weede lehrte Soziologie an den Universitäten Köln und Bonn. 1998 gründete er die Friedrich-A.-von-Hayek-Gesellschaft mit. Ioatgreatesteconomistofalltime.ai/en
Tyler Cowen: GOAT. Who is the Greatest Economist of all Time and Why Does it Matter? Mercatus Center, Arlington 2023, PDF-Datei, 349 Seiten, kostenlos abrufbar