© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/24 / 26. April 2024

Boeing ist abgestürzt
Luftfahrt: Anhaltende Pannenserie beim US-Flugzeugbauer /Lufthansa und Ryanair kaufen dennoch weiterhin dort ein
Fabian Schmidt-Ahmad

Was der Flugzeughersteller Boeing mit seinen 140.000 Mitarbeitern derzeit an Schlagzeilen produziert, würde Stoff für mehrere Hollywood-Blockbuster liefern. Die neue 737 Max beispielsweise, der nach zwei Absturzkatastrophen mit Hunderten Toten erst einmal die Musterzulassung entzogen wurde, bot zuletzt den Passagieren des Alaska-Airlines-Flug 1282 einen ungewohnten Blick in den Januarhimmel, als ein Teil des Rumpfes wegflog. Später stellte sich heraus, daß Monteure schlicht vergessen hatten, diesen festzuschrauben.

Als entsetzte Ermittler der US-Flugaufsichtsbehörde FAA die Produktionskette überprüften, deckten sie unglaubliche Schludrigkeiten auf. Bei 89 Audits rasselte Boeing in 33 Fällen durch die Qualitätssicherung. Auch beim Zulieferer Spirit Aero Systems, der Rumpfelemente anfertigt, führte die Behörde stichprobenartige Untersuchungen durch. Das Subunternehmen fiel gleich in sieben von 13 Fällen durch die Prüfung. Immer mehr verdichten sich die Hinweise, daß die Konzern-Führung vorsätzlich die Sicherheit vernachlässigt hat.

Dieser Meinung war der Ex-Mitarbeiter John Barnett, der Jahrzehnte für den Konzern arbeitete, zuletzt als Manager für Qualitätskontrolle im Boeing-Werk in Charleston. Immer wieder geriet er mit Vorgesetzten aneinander, als er auf Produktionsfehler hinwies und diese später gegenüber der BBC öffentlich machte. Tatsächlich gaben spätere Untersuchungen Barnett teilweise recht. Ausgerechnet am Abend vor einer wichtigen Anhörung Ende Februar fand ihn die Polizei erschossen in seinem Auto auf. Ob Mord, ob Selbstmord – damit ist die Boeing-Geschichte zum Thriller geworden.

Doch wie konnte das einstige Vorzeige-Unternehmen derart tief sinken? Viele sehen den Sündenfall im Jahr 1997. Bis dahin war Boeing der „deutscheste“ aller US-Großkonzerne, was weniger an den Wurzeln des Firmengründers William Boeing liegt, als an der Unternehmenskultur. Anders als in den meisten anderen amerikanischen Konzernen hatten bei Boeing Ingenieure und nicht Kaufleute das Sagen. Das änderte sich mit dem Antritt von Philip Condit und der kostspieligen Übernahme des einstigen Erzrivalen McDonnell Douglas.

Obgleich selbst langjähriger Boeing-Ingenieur, zwang Condit dem Konzern eine radikale Umstrukturierung à la Shareholder Value auf. Äußerlich ist dieser Bruch an dem Umzug der Konzernführung vom Stammwerk in Seattle nach Chicago und später Arlington zu sehen. Damit einher ging ein innerlicher Riß zwischen diesem und der zu einem Befehlsempfänger degradierten Produktion. Mit der Folge, daß die Konzernführung inmitten der Glaspaläste der anderen Unternehmen katastrophale Fehlentscheidungen traf.

„Cash Cows“, „Lean Production“ – was das Handbuch des Turbokapitalismus hergab, die Teppichetage von Boeing setzte es um. Die aufwendige Entwicklung eines 737-Nachfolgers wurde mit den bekannten Folgen verschlafen. 2003 entschloß sie sich mit der 787 endlich ein neues Modell zu entwickeln um die 767 zu ersetzen. Doch zur Demütigung von Boeings Ingenieuren wurden sowohl Entwicklung wie auch Produktion aus Kostengründen weitgehend ausgelagert. Teilweise entstanden eigene Unternehmen wie eben Spirit Aero Systems.

Für die Endfertigung ein Alptraum. Der Boeing-Ingenieur Sam Salehpour sagte nun vor dem US-Senat, die verschiedenen Zulieferer für die Rumpfteile der 787 hätten in zahlreichen Fällen die Maßtoleranzen überschritten. Trotz seiner Warnungen seien die Teile dennoch ohne Nachbehandlung zusammengebaut worden. „Ich habe im Unternehmen wiederholt meine Sorge geäußert. Ich wurde ins Abseits gedrängt, mir wurde gesagt, ich solle den Mund halten, ich wurde körperlich bedroht.“ Eine mögliche Folge sei eine vorzeitige Materialermüdung – mit vielleicht katastrophalem Ausgang.

Daran wird sich so schnell nichts ändern. Zu gründlich wurde der Konzern umgekrempelt. Als Condit 2003 über eine Affäre stolperte, wurde Jim McNerney sein Nachfolger– und machte alles schlimmer. Ursprünglich Unternehmensberater, war er zuvor Chef bei 3M, wo McNerneydie Losung ausgab, ältere Mitarbeiter zu entlassen, da diese mehr kosten und öfter krank seien: „Ich sehe eine überbewertete Erfahrung und eine unterbewertete Führung.“ Ingenieure, die sich mehr um die technische Integrität als den Aktienwert kümmerten, beschimpfte er als „phänomenal begabte Arschlöcher“. Das Ergebnis findet dennoch seine Käufer. Erst im Februar bestätigte Lufthansa-Chef Carsten Spohr die Bestellung von 737 Max 8, womit nach Jahren der Abstinenz wieder auf diesen Typ gesetzt wird. Auch Turkish Airlines stockt seinen 737-Bestand auf. Der Billigflieger Ryanair, der ganz auf Boeing setzt, orderte gleich 300 Flugzeuge aus dieser Modellfamilie. Wohl zu Schnäppchenpreisen. 

 www.boeing.com/commercial/787/quality-info