© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/24 / 26. April 2024

Gesicht gewahrt und nicht gesiegt
Israel-Iran-Konflikt: Nach dem Vergeltungsschlag ist vor dem nächsten asymmetrischen Krieg
Marc Zoellner

Immerhin einen positiven Nebeneffekt hatten die israelischen Vergeltungsschläge auf iranische Militäranlagen für den Iran. Die Beziehungen zum Nachbarland Pakistan zeigten sich nie so gefestigt wie derzeit. So lobte der pakistanische Außenminister Ishaq Dar den Staatsbesuch des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi als „Wendepunkt“. 

Anläßlich des Vabanquespiels um eine israelische Vergeltung des iranischen Luftangriffs auf den Staat Israel am 13. April war der Iran förmlich in Zugzwang, auch außenpolitisch ein deutliches Zeichen zu setzen. Nicht zuletzt, da sich neben der israelischen Luftwaffe auch mehrere arabische Staaten aktiv daran beteiligt hatten, iranische Drohnen und Raketen abzufangen. Die Isolation des Iran im Nahostumfeld schien komplett – und die Einladung Raisis nach Pakistan ein rettender Strohhalm. Denn mit einem jährlichen Export-überschuß von zuletzt 600 Millionen US-Dollar ist Pakistan einer der letzten lukrativen Handelspartner, der der Teheraner Theokratie wichtige Deviseneinkünfte verschafft.

Die Unterstützung der Hisbollah ist preisgünstiger für Teheran

Daß der Iran seit der Wiedereinführung der US-Sanktionen im August 2018 in einer schweren Wirtschaftskrise steckt, ist kein Geheimnis. Wie tief diese hingegen geht, verdeutlichte zuletzt Lotfollah Siahkali. „Die Taschen der Leute sind zerrissen“, mahnte der Abgeordnete aus der Provinz Qazvin in der Debatte um weitere iranische Angriffe auf Israel. „Wir haben bislang das Geld des Volkes verwendet. Das ist nun nicht mehr möglich.“ Siahkalis Mahnung fruchtete offenbar: So lobte Raisi in einer TV-Ansprache kurz nach den israelischen Luftschlägen zwar erneut „die Autorität, den eisernen Willen und die Einheit“ des iranischen Volkes. Zur Auswirkung der Luftangriffe erklärte Raisi jedoch lediglich, es sei „kein Schaden“ entstanden; die Täter selbst seien nicht aus Israel, sondern „Eindringlinge aus dem Iran“ gewesen.

Die bisher einsehbaren Schadensberichte lassen Gegenteiliges vermuten. So zeigen zwei von der BBC veröffentlichte Satellitenaufnahmen, die über dem iranischen Luftwaffenstützpunkt Isfahan aufgenommen wurden, noch auf dem ersten Foto mindestens vier Flugabwehrraketensysteme russischer Bauart, die auf dem folgenden Foto schlicht verschwunden waren. Ebenso soll eine iranische Radaranlage komplett, eine weitere teilweise zerstört worden sein. „Die Israelis haben getroffen, was sie treffen wollten“, bestätigte eine Quelle aus dem US-Verteidigungsministerium dem US-Nachrichtensender Fox News. Es seien dabei lediglich Raketen und Drohnen eingesetzt worden, gegen welche sich die russischen Luftabwehrsysteme als ineffektiv erwiesen hätten.

Dem Iran sind bezüglich einer offenen zweiten Vergeltung die Hände gebunden: Nicht nur, daß der letzte iranische Angriff auf Israel das schmale Haushaltsbudget des Landes deutlich strapazierte. Eine offene Vergeltung hieße überdies ein iranisches Eingeständnis der Schwäche der eigenen Armee, die nicht einmal zur Verteidigung des iranischen Luftraums genügt. „Ich denke, wenn Historiker die vergangenen zwei Wochen betrachten, ging es darum, eine Krise so zu bewältigen, daß die Abschreckung wiederhergestellt wurde“, zeigte sich auch Brett McGurk, Nahostkoordinator für den Nationalen Sicherheitsrat der USA, überzeugt: „Israel ist tatsächlich deutlich gestärkt aus dieser Situation hervorgegangen.“

Doch gestärkt heißt nicht gesiegt. Als preisgünstig und effektiv für den Iran hat sich inzwischen dessen Unterstützung der schiitischen Hisbollah-Milizen im Süden Libanons erwiesen. Am 8. Oktober 2023 hatte sich die Hisbollah dem Überfall der radikalislamischen Hamas auf Israels Staatsgebiet angeschlossen, bis Mitte März rund 800 Angriffe ausgeführt und dabei 22 Israelis getötet. Mindestens 28 israelische Grenzsiedlungen mußten evakuiert werden, woraufhin Jerusalem rund 4.000 Gegenangriffe auf Hisbollah-Stellungen im Libanon anordnete. Nach mutmaßlichen israelischen Luftschlägen auf zwei Stützpunkte proiranischer Milizen im Irak, die nur einen Tag nach den Vergeltungsschlägen auf den Iran erfolgten, verkündete Hisbollah-Vizechef Hashim Safi Al Din in Irans Nachrichtenagentur IRNA: Seine Miliz stünde nun „bereit für den totalen Krieg gegen das zionistische Regime“. Seit sechs Monaten ist Israels Armee bereits in einen verlustreichen Häuserkampf gegen die Hamas im Gazastreifen verwickelt. Die Eröffnung einer zweiten asymmetrischen Front durch die Hisbollah als verlängerte Arm der iranischen Vergeltung könnte, wie bereits 2006 im Libanonkrieg geschehen, für Israel zwar kein militärisches Desaster, doch eine lang andauernde nationale Abwehranstrengung bedeuten.