© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/24 / 26. April 2024

In Sorge um die weiche Flanke
Zivilverteidigung: Nicht nur die Bundeswehr, auch der Bevölkerungsschutz ist unzureichend ausgestattet / Experte: „Das muß sich ändern“
Peter Möller

Ist Deutschland krisenfest? Seit der verheerenden Flut im Ahrtal im Sommer 2021 und Rußlands Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 ist diese Frage wieder in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit gerückt. Was Experten seit Jahren wußten, wird jetzt offenbar – und hat die politisch Verantwortlichen aufgeschreckt: Nicht nur die militärischen Fähigkeiten der Bundesrepublik wurden in den vergangenen 30 Jahren abgebaut, auch der Katastrophen- und Zivilschutz, also der Schutz und die Versorgung der Bevölkerung in Kriegs- und Krisenzeiten.

Der langjährige Präsident des Technischen Hilfswerks (THW), Albrecht Broemme, der mittlerweile Vorstandschef des Berliner Thinktanks „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit“ ist, zeichnet ein schonungsloses Bild: Deutschland sei träge geworden und habe den Zivilschutz fallengelassen wie eine heiße Kartoffel, zog Broemme in der Welt Bilanz. „Das wird seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt.“ Ein Grund: „Man war zu feige, der Bevölkerung ein paar ernsthafte Wahrheiten zu servieren. Das Wort ‘Krieg’ wollte niemand auch nur in den Mund nehmen.“ Daher mangele es neben Ausstattung und Infrastruktur auch an ganz Grundlegendem: an Aufklärung, Information, Konzepten und Resilienz, also an Widerstandsfähigkeit. „Katastrophenschutz ist inzwischen salonfähig. Aber der Zivilschutz noch nicht. Das muß sich ändern.“

Fachmann bezeichnet Bunker als „Nebelkerzen“

Wie so häufig im föderal verfaßten Deutschland liegt der Teufel im Detail. Während der Katastrophenschutz vor Hochwasser, Erdbeben oder Sturmschäden Aufgabe der Länder ist, ist der Bund für den Zivilschutz und damit für die Vorsorge für den Kriegs- oder Terrorfall verantwortlich. Für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) und das THW ist wiederum das Bundesinnenministerium zuständig ebenso für den Schutz der Bevölkerung im Verteidigungsfall, der nicht Aufgabe des Verteidigungsministeriums ist. Um die staatlichen Lebensmittel-Notreserven kümmert sich dagegen das Bundeslandwirtschaftsministerium.

Besonders deutlich wird die Vernachlässigung des Zivilschutzes mit Blick auf die Zahl der öffentlichen Schutzräume. Von einst 2.000 haben 579 die Sparrunden nach dem Ende des Kalten Krieges überdauert. Doch ob wirklich noch alle bestehenden Schutzräume tatsächlich genutzt werden können, ist zweifelhaft. Geht es nach Experten wie dem Professor für Krisen- und Katastrophenforschung an der Freien Universität Berlin, Martin Voss, sind Bunker eh nicht mehr als „Nebelkerzen“. Schon immer seien Schutzräume vor allem ein Beruhigungsmittel gewesen. Selbst zu Hochzeiten des Kalten Krieges hätten darin allenfalls zwei bis drei Prozent der Bevölkerung Zuflucht gefunden, sagte er der Welt.

Auch ein Blick auf die Ausgaben des Bundes zeigt, daß beim Zivilschutz eine durchgreifende Zeitenwende noch auf sich warten läßt. Denn im Haushalt für 2024 sind für Bevölkerungs- und Katastrophenschutz rund 570 Millionen Euro veranschlagt und damit 70 Millionen weniger als noch im Jahr zuvor. Angesichts des Gesamtbudgets des Innenministeriums in Höhe von 13,4 Milliarden Euro wirken die Ausgaben für den Bevölkerungsschutz mehr als bescheiden.

Vor allem die Herausforderungen durch eine hybride Kriegsführung, die mit der Aggression Rußlands seit 2014 als neue Bedrohung in das Blickfeld der Krisenexperten geraten ist, bereitet zunehmend Sorgen:  „Das Spektrum reicht von Desinformation, Spionage und Cyberangriffen über wirtschaftlichen oder militärischen Druck bis zur Instrumentalisierung von Migrationsströmen, radikalen Ideologi­en und Parallelgesellschaften mit divergierenden Loyalitäten“, beschreibt Bundeswehr-Oberst Johann Schmid in der FAZ die Herausforderung.  Entscheidend sei, die Konvergenz dieser Risikofaktoren zu erkennen.

Auch Broemme warnt: Statt uniformierte Einheiten oder Raketen loszuschicken, werde ein Aggressor wohl zunächst per Cyberattacke die Stromversorgung zerstören. „Man kann Stromnetze so manipulieren, daß wichtige Knoten verbrennen“, sagte er der Welt. Wenn dann wichtige Ersatzteile fehlten und über Monate nicht lieferbar seien, gerate ein Land schnell an seine Grenzen. „Das kommt dann einem Kriegszustand schon sehr nahe, ohne daß auch nur ein Schuß gefallen ist.“

Angesichts derartiger Szenarien wird hinter den Kulissen längst schon um eine deutliche Aufstockung der finanziellen Mittel für den Zivilschutz gerungen. Dieser Kernaufgabe, seine Bevölkerung zu schützen, komme der Bund nicht ausreichend nach, lautet die Kritik aus den Ländern, etwa von Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU). Ebenso beklagte die Präsidentin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, es fehle das notwendige Geld im Haushalt. Der andauernde Streit um die Erhöhung der Verteidigungsausgaben läßt erahnen, daß auch das Thema Zivilschutz die Berliner Politik noch lange begleiten dürfte.