© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 18/24 / 26. April 2024

Ländersache: Rheinland-Pfalz
Ländersache: Rheinland-Pfalz
Christian Schreiber

Es ist eine Bilanz des Grauens. 136 Menschen starben im Sommer 2021 in der Flutnacht in Rheinland-Pfalz. Tausende Häuser wurden zerstört, Tausende Familien wurden obdachlos. Die Zahl der Verletzten lag bei mehreren hundert, eine Person wird immer noch vermißt. Es gab und gibt zahlreiche Prozesse, Untersuchungsausschüsse. Nachdem die damalige Umweltministerin von Rheinland-Pfalz, Anne Spiegel (Grüne), ihr späteres Amt als Bundesfamilienministerin aufgrund der Ereignisse niederlegen mußte, ebenso wie der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD), stellte sich jetzt die Frage nach strafrechtlicher Schuld.

Nach mehr als zweieinhalbjähriger Ermittlungsarbeit wurde nun das Verfahren gegen den ehemaligen Landrat des Kreises Ahrweiler, Jürgen Pföhler, und einen engen Mitarbeiter aus dem Krisenstab, eingestellt. Die Staatsanwaltschaft untersuchte, ob Pföhler zu spät vor der Gefahr gewarnt hatte. Das hätte als fahrlässige Tötung durch Unterlassen und als fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen im Amt strafbar sein können. In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 fielen bis zu 240 Liter Regen auf den Quadratmeter, in den Flüssen explodierten die Pegel. Kritiker sagen, die Katastrophe sei vermeidbar gewesen. Andere sprechen von höherer Gewalt. Fest steht, daß die Infrastruktur dem Ausmaß der Naturkatastrophe nicht gewachsen war. 

Doch hat das menschliche Versagen eine juristische Dimension? Zumindest im Fall Pföhler verneinte die Staatsanwaltschaft das in der vergangenen Woche. „Wir wissen, wieviel Trauer und Erschütterung die Katastrophe ausgelöst hat“, sagte der leitende Oberstaatsanwalt Mario Mannweiler, und daß es nicht leicht gewesen sei, sich von diesen Gefühlen freizumachen. Aber: „Ein hinreichender Tatverdacht hat sich nicht ergeben.“ Voraussetzung für eine fahrlässige Tötung oder fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen sei zunächst das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtwidrigkeit, erklärte Mannweiler. Hierbei müsse man sich die Frage stellen: „Was wird in solch einer Situation von einem normalen Menschen erwartet?“ Die Staatsanwaltschaft habe nicht darüber zu befinden, ob jemand charakterlich versagt habe. Beide Männer seien keine Katastrophen-Experten gewesen, anhand der Wetterprognose sei das Desaster für sie nicht erkennbar gewesen. Im Zweifel für den Angeklagten also. 

Pföhler selbst wollte sich zu der Verfahrenseinstellung nicht äußern, ließ über einen Anwalt ausrichten, es gehe ihm den Umständen entsprechend gut. „Wir haben während der gesamten Dauer des fast dreijährigen Ermittlungsverfahrens viel Zuspruch aus der Bevölkerung erfahren.“ Die Menschen hätten mittlerweile erkannt, daß insbesondere die Landesregierung versuche, sich aus der Verantwortung zu stehlen, teilte der Jurist mit. Für den Oberbürgermeister der besonders betroffenen Gemeinde Bad Neuenahr ist das nur ein schwacher Trost: „Ich bin mehr als enttäuscht. Eine andere Entscheidung der Staatsanwaltschaft wäre aus meiner Sicht ein wichtiges Signal für die Menschen der Region gewesen“, sagte Verwaltungschef Guido Orthen.