Man glaubt seinen Ohren nicht zu trauen: Ausgerechnet im ZDF wird Innenministerin Faeser eine so „erschreckende Unkenntnis, ja Negierung der Meinungsfreiheit“ attestiert, daß „es einem angst und bange um die Demokratie wird“. Der Experte, der dem Sender unlängst diese Dinge sagte, die dort sonst nur als Beispiel für „Rechtspopulismus“ vorkommen, ist der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler.
Seit 2014 Professor für Öffentliches, Medien- und Telekommunikationsrecht an der Universität Oldenburg, hat er sich in den vergangenen Jahren eine einflußreiche Stellung in der öffentlichen Debatte erarbeitet. Kaum ein Medium, das ihn nicht zitiert, im Interview befragt oder wie Zeit, Welt, FAZ oder Cicero als Gastautor druckt. Vor allem seit sich 2020 das Gravitationszentrum der Politik von den Parlamenten in die Corona-Konferenzen des Bundeskanzleramts verlagerte, tritt Boehme-Neßler in Erscheinung.
Boehme-Neßler: Die Idee der „verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung“ erstickt die Demokratie Stück für Stück.
Geboren 1962 im schwäbischen Ludwigsburg, studierte er in Heidelberg und Berlin Rechts- und Politikwissenschaft, wurde 1993 und 1997 in beiden Fächern promoviert. Dazwischen lag eine Tätigkeit als Rechtsanwalt. 1998 übernahm er an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft eine Professur für Europa-, Wirtschafts- und Medienrecht. Spannend klingt das Thema seiner Habilitationsschrift „Unscharfes Recht“: Danach werde das durch klar umrissene Gesetzesbegriffe und die Bewertung ursächlicher Zusammenhänge geformte Recht bei der Konfrontation mit der anders gearteten digitalen Welt „unscharf“. Wodurch seine soziale Steuerungsfunktion sukzessive verlorengehe. Brisant ist das, weil daraus folgt, daß das gesellschaftliche Konfliktpotential steigt. Volker Boehme-Neßler mag also auch Sinn dafür haben, was eine Gesellschaft zusammenhält.
Derzeit besorgen ihn allerdings vor allem die Angriffe auf die Grundrechte des Bürgers. Während der Corona-Maßnahmen pochte er auf ihr klassisches Verständnis als Abwehrrechte gegen den Staat („Status negativus“). Zwar habe dieser elementare Rechtsgüter seiner Bürger, wie die Gesundheit, zu schützen, müsse bei dazu nötigen Grundrechtseingriffen jedoch verhältnismäßig handeln. Das aber sei in der Pandemie versäumt und die essentielle Bedeutung der Freiheitsrechte verkannt worden.
Ebenso markante Akzente setzt Boehme-Neßler nun als Verfechter der freiheitlichen Demokratie, die durch moralisierende Vorgaben der Funktionseliten bedroht sei. Gegen diese Verformung zum Gesinnungsstaat zeigt er klare Kante – was inzwischen offenbar auch von einzelnen ZDF-Redakteuren goutiert wird. Demokratische Willensbildung, sagte er dem Sender weiter, vollziehe sich im Wettstreit grundsätzlich gleichberechtigter politischer Ideen. Eine Regierung aber, deren Inlandsgeheimdienst sich nicht an der Schwelle zur Straftat, sondern an angeblich „verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“ orientiere, „erstickt“ die Demokratie „Zentimeter um Zentimeter“.
„Freiheit, das ist die Gesinnung der Demokratie“, schrieb 1947 Gustav Radbruch, einflußreicher Rechtsphilosoph und SPD-Reichsjustizminister der Weimarer Republik. Zu seinen geistigen Erben zählen nicht mehr viele Sozialdemokraten – wohl aber Volker Boehme-Neßler mit seinem seismischen Gespür und warnenden Wortmeldungen.