Kriege sind kein unabänderliches Schicksal. Sie können verhindert werden, wenn sie drohen. Und sie können unvermittelt abgebrochen werden, wenn sie ausgebrochen sind. Voraussetzung ist immer, daß die Beteiligten ihr Gesicht wahren und zumindest vorgeben können, ihre Interessen seien gewahrt.
Abgesehen vom Streit um Taiwan, der die Welt noch lange beschäftigen wird, stehen zwei Konflikte im Fokus: der Krieg in der Ukraine, der mit dem russischen Angriff am 24. Februar 2022 begann, und der sich seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 zuspitzende Konflikt im Nahen Osten. Daß der eine Krieg schon im Frühjahr vor zwei Jahren hätte beendet werden können, ist belegt: Bereits am 28. Februar 2022 begannen die russisch-ukrainischen Verhandlungen in einer Residenz des weißrussischen Machthabers Alexander Lukaschenko. Am 10. März trafen sich die Unterhändler beider Kriegsgegner im türkischen Antalya. Und am 29. März einigten sie sich in Istanbul auf ein Kommuniqué: Kiew akzeptierte einen permanent neutralen Status außerhalb der Nato, Moskau einen Beitritt zur EU. Über die Zukunft der Krim sollte im Verlauf der kommenden zehn bis 15 Jahre verhandelt werden. Am 15. April 2022 sah es so aus, als sei der Friedensvertrag in trockenen Tüchern, Ende Mai scheiterten die Verhandlungen – auch weil sich London und Washington nicht interessiert zeigten.
Ganz anders verlief in diesem April der Showdown zwischen dem Iran und Israel. Er hatte sich bedrohlich verschärft, nachdem der jüdische Staat am 1. April ein Nebengebäude der iranischen Botschaft in Damaskus angegriffen und sieben Kommandeure der Revolutionsgarden getötet hatte. Die Führer in Teheran schworen Rache, die Israelis würden wie gewohnt zurückschlagen, es drohte der lange befürchtete Flächenbrand im Nahen Osten mit verheerenden Folgen für die Ölpreise und die Weltwirtschaft.
Aus amerikanischer Sicht mußte der Konflikt unter Kontrolle gehalten werden. Der unvermeidliche iranische Gegenschlag mußte so ablaufen, daß beide Seiten damit leben konnten und daß ein Grund für eine weitere Eskalation entfiel. So kam es. Als der Iran am 13. April über 300 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen auf Israel abfeuerte, nahmen die Dinge eine wundersame Wendung. Kein einziges Ziel in Israel wurde getroffen. Das Spektakel glich der Erfindung eines Krieges, in dem nichts zerstört wird und niemand stirbt. Ein simulierter Krieg? US-Präsident Joe Biden ermahnte die Israelis sogleich, sich mit ihrem „Sieg“ zufriedenzugeben („to take the win“) und eine Reaktion, die den Nahen Osten in einen großen Krieg stürzen könnte, noch einmal zu überdenken. Auch der Iran zeigte sich hochzufrieden. Präsident Ebrahim Raisi verkündete, man habe den Zionisten eine Lektion erteilt. Seine Militärs sprachen von einem großen Erfolg.
War alles ein abgekartetes Spiel? Das jedenfalls behauptet der Investigativjournalist Seymour Hersh unter Berufung auf US-Quellen. Das Pentagon habe die Initiative ergriffen, Moskau kontaktiert und einen hochrangigen russischen General veranlaßt, die Führung in Teheran einzuweihen. „Die wollen nur Rache“, habe der Russe über die Iraner gesagt, „und sie wollen zeigen, daß ihre ‘Dicks’ genauso groß sind wie die der anderen“. Hersh faßt den Plan so zusammen: „Warum nicht die Luftwaffe unserer Alliierten in Europa und im Nahen Osten dazu bringen, unter amerikanischer Führung zusammenzuarbeiten und mit Zustimmung des Irans die Überlegenheit unserer Luftabwehr dazu zu nutzen, um die Ayatollahs ihre Raketen abfeuern und ihre Vergeltung haben zu lassen, während wir wissen, daß unsere Luftstreitkräfte alle erfassen und zerstören würden?“
Die Rechnung ging auf, weil genug Zeit blieb, die Luftabwehr zu organisieren und weil sich der Angriff mit einer Dauer von neun Stunden so in die Länge zog, daß die alliierten Maschinen auf nahe gelegenen Flugplätzen auftanken konnten. Am Ende stand kein iranischer Sieg, sondern eine Demonstration der Überlegenheit amerikanischer Waffentechnik.
Für die These eines fingierten Waffengangs sprach dann auch der ebenfalls unvermeidliche Gegenschlag der Israelis zum Ende der vergangenen Woche. Er blieb symbolisch, primäre Ziele wie die iranischen Nuklearanlagen wurden nicht attackiert. Teheran bemühte sich sogleich, den Angriff herunterzuspielen. Ebenfalls irrelevant und nur von symbolischem Wert waren die neuen Sanktionen, die die USA und die EU umgehend gegen Teheran verhängten. Deeskalation war und ist das Gebot der Stunde.
Die Interessen und das militärische Potential der verfeindeten Parteien lassen die Annahme zu, daß die Lage im Nahen Osten beherrschbar bleiben könnte. Wie jedes Regime will auch das in Teheran vor allem überleben. Im Ernstfall böte die iranische Luftverteidigung, die teilweise noch aus der Schah-Zeit stammt, keinen Schutz gegen die israelische Luftwaffe. Die Iraner haben aus der existentiellen Bedrohung durch den brutalen Angriffskrieg Saddam Husseins, der von 1980 bis1988 tobte, den Schluß gezogen, sich ein Vorfeld zu sichern und eine Einflußzone aufzubauen, die bis in den Libanon reicht. Und sie spielen mit der Option, Atommacht zu werden. Seit 2012, als Netanjahu vor der Uno-Vollversammlung die Gefahr an die Wand malte, stehen sie angeblich immer wieder einmal davor, die Bombe zu haben. Selbst wenn sie sie hätten, behielte Israel auch dank der von Deutschland gelieferten U-Boote seine Fähigkeit zum Zweitschlag. Daß die Mullahs ihren und ihres Landes Untergang riskieren würden, ist schwer vorstellbar.
Oft trügt der Schein im Orient. Die Annäherung der sunnitischen Saudis sowohl an den jüdischen Staat als auch an den schiitischen Iran illustriert, daß Pragmatismus eine Chance haben kann. Vielleicht ist es sogar möglich, irgendwann zu dem von Donald Trump aufgekündigten Nuklearabkommen mit Teheran zurückzukehren. Auch dann werden die Feindschaften bleiben. Sie werden schließlich benötigt und geschätzt, um die jeweils eigene Machtstellung zu legitimieren.