Nicht nur die Natur ist aktuell verunsichert, auch die Menschen. Befinden wir uns tatsächlich schon im Frühling? Gerade noch ein graues Wolkenbett und ekliger Nieselregen über unter Kapuzen verschwindenden Köpfen, versprechen zarte Sonnenstrahlen in der frischen Morgenluft vielleicht einen anderen Tagesverlauf.
Unbeeindruckt von den Wetterkapriolen zieht – einer Dampflok gleich weißen Rauch ausstoßend – ein dicker Mittdreißiger an seiner E-Zigarette. Er hat deutlich sichtbar auf Frühling gesetzt. Seine kurzen Hosen und das T-Shirt beweisen es. Ein Stück weiter wird ein anderer Mann von seinem Mantel geschützt, aber offenbar zu gut. Denn er schwitzt sichtbar. Irgendwie haben alle etwas falsch gemacht. Wir hätten zu Hause bleiben sollen, statt früh um sechs Uhr morgens auf die S-Bahn zu warten.
Die meisten Menschen am Bahnsteig tragen gedeckte Farben: Schwarz, Dunkelblau, Dunkelgrün, Braun. Die einzigen bunten Tupfer in der farblosen Erwachsenenwelt sind die Kinder in ihren rosafarbenen und hellblauen Jacken. Diese werden, als die S-Bahn einfährt, von sichtlich gestreßten Müttern angeherrscht, nicht zu bummeln, damit die letzten von draußen erspähten freien Plätze nicht auch noch besetzt sind. Und anschließend sollen sie einfach nur den Mund halten.
Das Unterhaltungsprogramm übernehmen zwei Nordafrikaner quer durch den ganzen Waggon.
Das Unterhaltungsprogramm übernehmen zwei Nordafrikaner, die anscheinend quer von einem Ende des Waggons zum anderen miteinander kommunizieren, tatsächlich aber getrennt mit irgend jemandem in einer fremden Sprache telefonieren.
Dann schiebt sich etwas rosafarbenes Wattiertes mit hellblond gefärbten Haaren durch das Einheitsgrau. Schwarzen Stiefeln folgende Leggings lassen die auf den Boden gerichteten Blicke speziell der Männer nach oben gleiten. Knallgelb und blau lackierte Fingernägel werden ebenso registriert wie helle Augen, die in die Ferne gerichtet sind. Trotzdem tut der Anblick gut: Frühlingsfarben.
Dann aber ordnen alle die Frau richtig ein. Die Blicke sacken wieder nach unten. Man denkt an Krieg, Not, Opfer – und den bevorstehenden Arbeitsalltag. Die Frau denkt vielleicht an den Friseurtermin und die Maniküre.
Sie lachen mich aus, weil ich anders bin. Ich lache sie aus, weil sie alle gleich sind.
Kurt Cobain (1967–1994)