Im Jahre 1963 war der Film „Die Vögel“ von Alfred Hitchcock ein Straßenfeger. Die Tiere begannen plötzlich Menschen, Gebäude und Sachen anzugreifen. Die Szenerie endete im absoluten Chaos: Blutende Menschen, zerstörte Häuser und eine brennende Tankstelle. Der Film spielt geschickt mit der Urangst, von der Natur überwältigt zu werden und nicht mehr Herr des Geschehens zu sein. Danach folgten zahlreiche ähnlich geartete Filme wie „Der weiße Hai“ oder „Arachnophobia“. Die US-Fernsehserie „The Last of Us“ aus dem Jahr 2023 beschreibt nun eindrucksvoll eine Apokalypse durch Pilze, die die befallenen Menschen zu bissigen Zombies mutieren lassen. Doch was ist dran an diesem spannenden Plot?
Pilze (Fungi) sind mit einem Zellkern ausgestattete Lebewesen. Da Pilze seßhaft, also an einen Standort gebundene Lebewesen sind, wurden sie lange zu den Pflanzen gerechnet. Sie können aber keine Photosynthese betreiben, also nicht durch Sonnenlicht Nährstoffe erzeugen, sondern sie müssen sich durch die Aufnahme organischer Substanzen, die sie in gelöster Form aus der Umgebung aufnehmen, ernähren. Somit sind Pilze den Tieren näher verwandt als den Pflanzen. Sie spielen eine wichtige Rolle als Müllabfuhr der Erde, denn sie verwandeln abgestorbene Lebewesen in wertvollen Humus und sorgen so für eine gesunde Umwelt.
Das Klima ändert sich seit Bestehen unseres Planeten
Pilze verließen wahrscheinlich vor einer Milliarde Jahren das Wasser, also noch vor den Pflanzen. Früheste Fossilien mit für Pilze typischen Merkmalen sind 2,4 Milliarden Jahre alt. Der Vormensch Australopithecus lebte vor zwei Millionen Jahren in Afrika. Die Pilze sind auch größer als der Mensch: So wird als das größte Lebewesen der Welt ein Hallimasch-Pilz im US-Westküstenstaat Oregon betrachtet. Dieser Pilz erstreckt sich über eine Fläche von 965 Hektar, ist ca. 600 Tonnen schwer und geschätzt 2.400 Jahre alt. Noch älter sind Bakterien, die seit 3,7 Milliarden Jahren existieren, und man geht davon aus, daß Viren bereits die erste existierende Zelle der Erdgeschichte infiziert haben.
Der Mensch hat sich also in eine Welt von Bakterien, Viren und Pilzen hineinentwickelt. Um in dieser Umwelt zu überleben, hat der menschliche Körper ein einzigartiges komplexes Immunsystem aufgebaut. Bei einem Neugeborenen entwickelt sich das Immunsystem in den ersten neun Monaten nach der Geburt so, daß es eigenständig auf äußere Angriffe reagieren kann. Etwa zum Zeitpunkt der Pubertät ist das Immunsystem so ausgereift, daß es fast alle Angriffe von außen abwehren kann. Vor Pilzen bewahrt uns unsere Körpertemperatur von 37 Grad Celsius; Pilze fühlen sich am wohlsten im Temperaturbereich von zehn bis zwanzig Grad Celsius. Pilze befallen deshalb maximal unsere Schutzbarrieren wie Haut und Schleimhäute. Am verbreitetsten sind zum Beispiel Fußpilz und Schleimhautpilze wie der Scheidenpilz Candida albicans.
Wie bei bakteriellen oder viralen Erkrankungen können bei Menschen mit einem geschwächten Immunsystem Pilzerkrankungen auch innere Organe befallen. Häufig sind dies die neuerdings so genannten „vulnerablen Gruppen“, wie alte, multimorbide Menschen, Patienten nach einer Operation, einer Transplantation, einer Chemo- oder Antibiotikatherapie (unsere natürlichen Darmbakterien halten die Pilze in Schach) oder Patienten mit Immunschwächekrankheiten. Etwa 1,5 Millionen Menschen sterben pro Jahr weltweit an einer Pilzerkrankung (Mykose).
Es steht außer Frage, daß der Mensch seit jeher in einer Welt des Wandels lebt. Auch das Weltklima ändert sich seit Bestehen des Planeten Erde. Es ist richtig und wichtig, daß sich Wissenschaftler mit den Auswirkungen und Folgen dieses permanenten Wandels beschäftigen. Im März wurde nun in der Fachzeitschrift The Lancet eine Untersuchung unter dem Titel „Auswirkungen von Klimawandel und Naturkatastrophen auf Pilzinfektionen“ veröffentlicht. Die Autoren gehen davon aus, daß Pilze sich an steigende Erdtemperaturen anpassen und dadurch für den Menschen gefährlicher werden.
Diese Untersuchung ist kein Versuch und keine Studie, sondern eine Literaturauswertung. Sie weist auf einige tatsächliche Gefahren hin, z. B. einige Pilzgruppen, die besonders bedrohlich für immungeschwächte Personen sind. Dazu zählt Aspergillus, der bei Patienten auf Intensivstationen für zehn bis fünfzehn Prozent der Todesfälle verantwortlich ist. Candida auris ist ein multiresistenter Erreger, der sich weltweit schnell entwickelt und bei immungeschwächten Patienten schwere Erkrankungen mit hoher Sterblichkeit auslöst. Cryptococcus löst weltweit die meisten tödlichen Pilzinfektionen bei immungeschwächten Personen aus.
Durch erhöhte Aufmerksamkeit und verbessertes Patientenmanagement werden diese Erreger jedoch zunehmend zurückgedrängt. Zudem sollen in den nächsten Jahren vielversprechende Medikamente gegen Pilzerkrankungen auf den Markt kommen. So werden aktuell neue pflanzliche Wirkstoffe isoliert, etwa in Jena am Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie. In der genannten Untersuchung werden diese realen Gefahren mit Modellierungen wie durch die Erderwärmung ausgelöste Vulkanausbrüche, Tsunamis und Wirbelstürme vermengt, um einen „Worst-Case“ zu prognostizieren. Das Ergebnis dieser Literaturauswertung und der Modellierungen ist, daß der Klimawandel vermehrt Naturkatastrophen auslöst, in deren Folge Pilzerkrankungen zunehmen. An Modellierungen, also Simulationen und Annahmen wie diesen, lehnt sich dann ein Science-fiction-Film wie „The Last of Us“ an.
Mehr Erkrankungen ausgelöst durch aufgewirbelte Pilzsporen?
Insgesamt verzeichnet The Lancet aktuell 89 Publikationen, die sich mit dem Thema „Ausbruch von Pilzinfektionen durch Erderwärmung bzw. nach Naturkatastrophen“ befassen. Bei den meisten handelt es sich dabei um Modelle und Computersimulationen, teilweise unter Zurhilfenahme künstlicher Intelligenz. So etwa ein Modell, welches die Zunahme von Mykosen bei Corona-Patienten in indischen Kliniken vorhersagen soll. In der Zusammenfassung ergibt sich, daß das für den Versuch gewählte Computer-Berechnungsmodell eventuell ein besseres Patientenmanagement bei Covid-19-Patienten möglich machen könnte.
Ein Großteil der übrigen Untersuchungen beschreibt Pilzerkrankungen ausgelöst durch bei Naturkatastrophen aufgewirbelte Pilzsporen. Zum Beispiel Mykosen bei Feuerwehrleuten nach Waldbränden; eine durchaus reale Gefahr, der man durch effektiven Atemschutz aus dem Wege gehen kann. Der französische Wissenschaftler Henri Poincaré schrieb 1905: „Die Pest war nichts, die Angst vor der Pest war viel gewaltiger.“ Mit anderen Worten: Die Angst vor der Krankheit führt zur Erkrankung.
Sprich: Kümmern wir uns lieber um die Stärkung unseres Immunsystem: Frisches Obst und Gemüse sowie Bewegung an frischer Luft und ausreichend Schlaf bilden die Basis. Schimmelige Wohnungen und Orte sind zu meiden und bei Arbeiten an diesen Plätzen sind selbstverständlich Atemschutzmasken zu tragen. Die Serie „The Last of Us“, die 2025 fortgesetzt werden soll, mag für Genreliebhaber inspirierend sein, real ist das Szenario nicht. Und wenn Sie beim Lesen dieses Artikels gerade ein Brötchen essen oder ein Glas Bier oder Wein trinken, ohne Hefepilze wäre das nicht möglich.
„Impact of climate change and natural disasters on fungal infections“, The Lancet Microbe (3/24):doi.org/10.1016/S2666-5247(24)00039-9