Nach der Parlamentswahl sollte es für Polens Linke und Liberale nur noch bergauf gehen. „Den Sieg vom Oktober müssen wir in das Wohl des täglichen Lebens ummünzen“, mahnte Ministerpräsident Donald Tusk. Damit versuchte er, Tausende Sympathisanten des Bündnisses „Bürgerliche Koalition“ um seine Partei, die zentristische Bürgerplattform (PO) vor den Kommunalwahlen zu mobilisieren. Seit langem gehe es in Polen um den Kampf „zwischen Gut und Böse“ – den Demokraten um Tusk und der katholisch-konservativen Vorgängerregierung der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). „Sie dürfen nicht weiter an sich reißen, was sie schon acht Jahre an sich gerissen haben!“ Die Rhetorik brachte wenig. Zum neunten Mal in Folge landete Tusks Bündnis hinter der PiS – obwohl sie nach dem Gang in die Opposition als zerstritten galt. Parteichef Jarosław Kaczyński verbarg seine Freude kaum: „Frei nach Mark Twain – die Nachricht von meinem Tod ist stark übertrieben!“
„Die Bürgerplattform schafft keine Perspektiven für die Jungwähler“
Dabei hatte sich Tusk bemüht, die Partei mit allen Mitteln aus dem Staatsapparat zu entfernen. Als erstes übernahm er die staatlichen Medien (JF 4/24). Nach einigen Anfangsschwierigkeiten konnte er die Kontrolle halten, indem er die Liquidation der Rundfunkanstalten und der Polnischen Presseagentur beantragte. Die versprochene „Entpolitisierung“ blieb aus: So listete etwa der liberale Verein „Demagog“ zahlreiche Verfehlungen des Staatsfernsehens auf. Zum Beispiel ließ eine Fernsehsendung die Kritik des als PiS-nah geltenden Staatspräsidenten Andrzej Duda mit höhnischen Bildern aus dem Netz bespielen: „Ähnliches gab es bei der Konkurrenz nicht.“
Ebenso ließ Tusk einen Wechsel in den Forschungsinstituten einleiten. Jüngst feuerte Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz den Leiter des geschichtswissenschaftlichen „Instituts für das Erbe des Polnischen Nationalgedankens“. Sein Nachfolger: Adam Leszczyński von dem linken Nachrichtenportal „oko.press“. „Nun werden wir auch Gefahren für die liberale Demokratie beobachten“, kündigte der Journalist an. Auch den Namenspatron will er ändern: Anstelle des einflußreichen Nationalisten Roman Dmowski soll der sozialistische Staatspräsident Gabriel Narutowicz treten.
Schwieriger verläuft die Übernahme des Justizwesens. Noch im Februar kündigte Justizminister Adam Bodnar eine harte Gangart an: „Jede für die Zerstörung des Rechtssystems symbolträchtige Person ist für uns von Interesse.“ Wo es Gesetzesänderungen benötigt, kommt er jedoch an seine Grenzen. So teilte das Präsidialamt mit, die geplanten Änderungen an der Wahl zum Landesjustizrat zu blockieren. Demnach sollten die Richter wie vor der PiS-Regierung von den Berufskollegen statt vom Parlament entsandt werden. „Selbst Tusk weiß doch, daß der Präsident das nicht unterschreibt“, sagte Präsidialamtsleiter Marcin Mastalerek.
Unterdessen hält die Regierung an der harten Linie fest. Ende März beantragten die Regierungsfraktionen im Unterhaus, den Zentralbankchef Adam Głapiński vor das höchste Beamtengericht Polens, den Staatsgerichtshof, zu stellen. Głapiński soll unter anderem mit Hilfe von den Anleihenkäufen in Milliardenhöhe das Defizit rechtswidrig finanziert haben.
Ein Vorwurf, den selbst die kritische Konföderation für übertrieben hält. „Geldpolitische Fehler allein sind kein Grund dafür – weil sonst keiner den Job machen würde“, erklärte ein Abgeordneter des rechten Bündnisses, Przemysław Wipler. Die Regierung benötigt mindestens 276 von 460 Stimmen für einen Prozeß. Zusammen mit den Juniorpartnern verfügt die PO-geführte Koalition über 238 Sitze und muß mit der Opposition verhandeln.
Zugleich werden die Wähler ungeduldig. Der Ipsos-Prognose zufolge gingen nur 38,6 Prozent der Wähler unter 30 Jahren zur jüngsten Wahl, prozentual die Hälfte jener vom Oktober. Auch der Jungwähleranteil der Regierungsparteien sank um zehn Prozentpunkte. Der Soziologe Henryk Domański sprach von einem „Warnsignal“. „Das Angebot der PiS war nicht vielversprechend – doch die PO schafft keine Perspektiven“, sagte er der Wochenzeitung Do Rzeczy. Den Wählern seien alltäglichere Themen wichtiger – etwa der Arbeitsmarkt und die Wohnungspolitik.