Anläßlich des islamischen Fastenmonats wurde erstmals in diesem Jahr die Frankfurter Innenstadt an zentraler Stelle mit einem hell beleuchteten, mit Halbmonden und Sternen versehenen Schriftzug beschmückt, der die Worte „Happy Ramadan“ trägt. Die mit 75.000 Euro aus deutschen Steuermitteln finanzierte Beleuchtung stehe laut Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) „für ein friedliches Miteinander aller Menschen in Frankfurt“.
Die Partei, welche bereits das Aussprechen traditionell-christlicher Veranstaltungen („Wintermarkt“ statt „Weihnachtsmarkt“, „Laternenfest“ statt „Sankt Martins-Umzug“) als diskriminierend ansieht und aus Neutralitätsgründen christliche Kreuze aus öffentlichen Einrichtungen entfernen läßt, sieht in dem öffentlichen Bekenntnis zum islamischen Fastenmonat und dessen medienwirksamer Zelebrierung keinerlei rechtliche oder gesellschaftliche Probleme. Ganz im Gegenteil wird in blumigen Worten verkündet: „Es sind Lichter des Miteinanders, gegen Vorbehalte, gegen Diskriminierungen, gegen antimuslimischen Rassismus und auch gegen Antisemitismus.“
Nach dem staatlichen Neutralitätsgebot in religiösen Angelegenheiten verhält es sich so, daß der Staat den Glauben seiner Bürger nicht bewerten und er schon gar nicht bestimmen darf, wer welchen Glauben zu haben oder nicht zu haben hat. Das staatliche Neutralitätsgebot verlangt insofern eine Offenheit gegenüber weltanschaulich-religiösen Anschauungen, was dem allgemeinen Pluralismus der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entspricht. Dabei verlangt die staatliche Neutralität jedoch nicht eine distanzierende, sich von den eigenen religiösen Überzeugungen abwendende Haltung. So verstanden würde der Staat nämlich gerade nicht neutral handeln, sondern durch den Rückzug und die Leugnung seiner eigenen Werte seine Neutralität grob mißachten.
Ebenso darf ein christlich geprägtes Land in Übereinstimmung mit seinen traditionellen und kulturellen Werten seinen christlichen Glauben leben. Wie das Bundesverwaltungsgericht voriges Jahr in zwei – von der „Kartellpresse“ aus verständlichen Gründen wenig beachteten – Entscheidungen klargestellt hat, gibt es auch keinen „Konfrontationsschutz“ Angehöriger anderer Religionen, die christliche Bekenntnisse in öffentlichen Räumen insofern hinzunehmen haben.
Denn das in den Entscheidungen streitgegenständliche Aufhängen christlicher Symbole, vorliegend das Kruzifix in bayerischen öffentlichen Gebäuden, stehe der Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen nicht im Weg. Ob der Umstand, daß Bürger dieses Landes sich dadurch in ihren Rechten verletzt sehen und sogar klageweise dagegen vorgehen, daß ein christliches Land im Einklang mit jahrhundertealten Bräuchen und Gepflogenheiten allgemein anerkannte religiöse Symbole öffentlich zeigt, nicht eher massive Integrationsdefizite der Kläger offenbart, soll an dieser Stelle offenbleiben.
Die Identifikation einer christlich geprägten Gesellschaft mit ihren Traditionen einschließlich ihrer christlichen Werte und Symbole stellt jedenfalls auch nach Ansicht des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts keine Diskriminierung dar – sondern ist in einem christlich geprägten Land schlicht normal. Eine Überzeugung, die von der weit überwiegenden Mehrzahl sowohl der hier lebenden christlichen als auch nicht-christlichen Bevölkerung bereits vor Urteilsverkündung als völlige Selbstverständlichkeit angesehen worden sein dürfte – jedenfalls außerhalb der links-grünen Blase.
Die dezidierte Bekennung zum Islam durch öffentliche Stellen eines christlichen Landes ist vor diesem Hintergrund in rechtlicher und gesellschaftlicher Hinsicht also erklärungsbedürftig. Denn zum einen läßt ein solches Vorgehen die von Wokisten in bezug auf andere stets geforderte Sensibilität in bezug auf die christliche Mehrheitsgesellschaft vermissen, die eine derartige Aktion als eine unsachliche Unterwerfung ihrer Religion unter den Islam deuten könnte. Die demonstrative Identifikation mit dem Ramadan könnte zum anderen aber auch die Gefühle zahlreicher Anhänger nicht-christlicher Religionen verletzen, die im Vertrauen auf das staatliche Neutralitätsprinzip berechtigterweise davon ausgehen, daß ein christlich geprägtes Land keine für ihn „fremde“ Religion oder Kultur selektiv bevorzugt.
Da eine entsprechende Beleuchtung etwa anläßlich des chinesischen, persischen bzw. kurdischen Neujahrfests jedoch nicht beabsichtigt bzw. hiervon jedenfalls nichts bekannt ist, könnten sich auch in Deutschland vertretene religiöse bzw. ethnische Minderheiten also ebenfalls benachteiligt sehen – was die woken Eliten jedoch auch nicht zu stören scheint: Denn was eine Diskriminierung ist und was nicht, bestimmt allein Rot-Grün.
Dabei ist die offenkundig willkürliche Auslegung, mit der grün-woke Protagonisten ihre Vielfalts- und Toleranzbekundungen pflegen, mittlerweile kaum mehr zu überbieten: Käme etwa ein deutscher Christ auf die Idee, in einem islamisch geprägten Land ein „Licht des Miteinanders“ zu zünden, um im Namen der Vielfalt und Toleranz das Feiern des christlichen Osterfestes zu ermöglichen, würde er von eben jenen als eifernder Missionar und rassistischer Kolonialist diffamiert und kübelweise mit Haß und Hetze übergossen werden. Eine derart unterschiedliche Interpretation ein und desselben Sachverhalts, der sich allein durch seine unterschiedlichen „Vorzeichen“, sprich Glaubensrichtungen, voneinander abgrenzt, zeigt einmal mehr, daß sich woke Protagonisten weder religiös neutral verhalten wollen und es ihnen auch nicht auf die von ihnen beschworene gleichberechtigte Vielfalt und Toleranz ankommt.
Immer wieder tappen links-grüne Wokisten in die als Tocqueville-Paradox bekannte Falle, wonach das gefühlte Unverständnis einer Gesellschaft für noch bestehende Ungerechtigkeiten mit zunehmender Gleichberechtigung innerhalb dieser Gesellschaft nicht etwa ab-, sondern zunimmt. Anstatt sich – wie die überwältigende Mehrheit der in- und ausländischen Bevölkerungsgruppen – an den bundesrepublikanischen Errungenschaften wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und dem Gleichbehandlungsgrundsatz zu erfreuen, werden namentlich grüne Politiker trotz zunehmender Gleichberechtigung immer paranoider für tatsächliche und konstruierte Ungleichheiten, um diese dann mit sachwidrigen Erwägungen als diskriminierende oder gar rassistische Ungerechtigkeiten hochzustilisieren.
In diesem Sinne wird im Rahmen der sogenannten Identitätspolitik der Schutz immer neuer Opfergruppen gefordert, die es ohne deren Akteure überhaupt nicht gäbe. Im Rahmen immer umfassenden „Demokratieförderprogramme“ können sich auf diese Weise selektiv ausgewählte links-grüne Ideologen der „Zivilgesellschaft“ moralisch überhöhend als väterliche Retter und Beschützer selbst imaginierter Opfergruppen darstellen.
Was ein mittlerweile einträgliches Geschäft geworden ist – und zwar sowohl für die Opfer als auch deren selbstdeklarierte Schutzpatrone. Links-grüne Wokisten können auf diese Weise moralische Image- und Egopflege betreiben und unter von ihnen selbst definierten Moralmaßstäben nach eigenem Ermessen schier grenzenlos gegen jeden vorgehen, der anderer Ansicht ist.
Aber auch die Angehörigen der als vulnerabel determinierten Opfergruppe profitieren von dem ihnen zugeschriebenen Status, da er ihnen eine besondere emotionale Wertschätzung, eine medial priorisierte Aufmerksamkeit sowie nicht selten auch einen Zugang zu politischen Posten und monetären Ressourcen verschafft. Gänzlich unberücksichtigt bleibt hierbei jedoch der Umstand, daß die Gesellschaft dadurch bewußt und gewollt gespalten und in immer mehr Gruppen und Untergruppen atomisiert wird.
Die Traditionen, Gepflogenheiten und Bräuche der Mehrheitsgesellschaft werden dabei immer weiter marginalisiert und letztlich verdrängt. Jedwede diesbezügliche Fragestellung, sofern sie von woken Sittenwächtern nicht im Rahmen der von ihnen mittlerweile bis zur Perfektion gepflegten Empörungskultur unterdrückt oder gleich gecancelt wird, wird mit stereotypen moralischen Totschlagargumenten beantwortet.
In der vorliegenden Situation dürfte etwa das Gaukelbild herhalten, wonach der sich seiner Religion und Tradition bewußte weiße Mensch als pauschal zu verdammender Täter die Ursache aller – wenngleich nur von Wokisten wahrnehmbaren – menschenfeindlichen Unterdrückungen und Diskriminierungen in Vergangenheit und Gegenwart gesetzt habe, weshalb es mehr als gerechtfertigt sei, wenn er nunmehr in Bußhaltung seine eigene Kultur verleugne.
Das selektive Bekenntnis zum Islam durch links-grüne Politiker läßt sich vor diesem Hintergrund also auch so interpretieren, daß im Sinne einer derart identitätspolitischen Weltvorstellung Angehörige der muslimischen Glaubensgemeinschaft per se als Opfergruppe anzusehen seien, die aufgrund der ihnen innewohnenden Schwäche einer besonderen staatlichen Zuwendung der christlichen Mehrheitsgesellschaft bedarf.
Diese insofern als kraftlos und unfähig zur eigenen Artikulation angesehene Religion bedürfe daher eines besonderen Schutzes, den sie – anders als andere nicht christliche Religionen, die durch den Staat nicht vergleichbar in den Vordergrund gestellt werden – insofern aufgrund der ihr unterstellten eigenen Unfähigkeit dringend benötige. Ein solcher Ansatz aber offenbarte ein äußerst bemitleidenswertes und die muslimische Religion als erbärmlich hilflos darstellendes Verständnis, das weder von der Mehrheit der Christen geteilt und schon gar nicht dem – berechtigten – Selbstbild von Muslimen entsprechen dürfte.
Der wohl grundlegendste Denkfehler woker Politik ist es, anzunehmen, daß das Bekenntnis zur eigenen Religion die automatische Abwertung anderer Religionen beinhaltet – ebenso wie die Verbundenheit zu einem Land die zwingende Verachtung anderer Nationen bedeute. Nichts ist unzutreffender. Im Gegenteil dürfte die von links-grün praktizierte Abwertung der eigenen Tradition und Kultur gerade nicht den Gemeinsinn fördern, sondern das wohl größte Integrationshemmnis für Zuwanderer schlechthin darstellen. Denn wer möchte gerne Teil eines neuen Gemeinwesens sein, das sich selbst so verachtet? Einer so stolz und traditionsreichen Glaubensrichtung wie dem Islam sollte durch ein christlich geprägtes Land daher auf Augenhöhe mit einem ebenso stolzen und traditionsreichen Bekenntnis zum Christentum begegnet werden.
Ebensowenig wie man es Christen unterstellen darf, daß sie staatlichen Nachhilfeunterricht in Sachen religiöser Toleranz bedürfen, sollte man Muslimen unterstellen, daß sie Angehörige einer zu bemutternden Minderheitsreligion darstellen, die mit beleuchteten Sternchen und Halbmöndchen unterstützt werden müßten. Die große Anzahl der Anhänger beider Glaubensgemeinschaften ist reifer, erwachsener und verständnisvoller, als es infantile Wokisten einem immer wieder einzureden versuchen.
Für ein abendländisch geprägtes Land wäre es daher ein Zeichen des Miteinanders, sich selbstbewußt zu seinem christlichen Glauben zu bekennen und unter Berücksichtigung der staatlichen Neutralitätspflicht keine Religion von den hierzu veranstalteten Feierlichkeiten auszugrenzen. Eine Vorstellung, die eigentlich selbstverständlich ist – die es aber bei den woken Eliten in Deutschland in dieser Form trotzdem schon lange nicht mehr zu geben scheint.
Dr. André Kruschke, Jahrgang 1980, ist Rechtsanwalt und Publizist. Er veröffentlicht laufend Beiträge zu aktuellen rechtlichen und gesellschaftlichen Themen. In der JUNGEN FREIHEIT hat er zuletzt über das Demokratiefördergesetz geschrieben (JF 13/23).