Kommendes Jahr soll der Rundfunkbeitrag auf 18,94 pro Monat steigen, ein Plus von 58 Cent. Doch angesichts der sich hinziehenden Debatte um eine Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) und jüngster Umfragemehrheiten gegen eine Erhöhung (JF 15/24) brodelt es in Mitarbeiterkreisen und in mehreren Bundesländern, insbesondere im Osten, wo dieses Jahr drei Landtagswahlen anstehen.
Über die Netzseite meinungsvielfalt.jetzt haben zahlreiche Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio ein „Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland“ veröffentlicht und parallel dazu eine Petition auf openpetition.de gestartet. Die Initiatoren, zu denen unter anderem Ole Skambraks gehört (Porträt Seite 3), schätzen zwar den ÖRR „als wesentliche Säule unserer Demokratie, der gesellschaftlichen Kommunikation und Kultur“ und sind „von seinen Grundsätzen und dem Programmauftrag überzeugt“, beides sei „jedoch in Gefahr: Das Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nimmt immer stärker ab. Zweifel an der Ausgewogenheit des Programms wachsen“. Daher müßte der Rundfunk „zu seinen Grundsätzen zurückkehren“ und „mehr Meinungsvielfalt, Pluralität und Ausgewogenheit“ in den Programmen bieten.
Auf JF-Anfrage gibt Meinungsvielfalt.jetzt an, daß „an dem Manifest viele Dutzende Kollegen“ beteiligt waren, „etwa 100 Leute“ haben es „namentlich gezeichnet“ und „mehr als 30 anonym“. Das Prozedere lief dabei dezentral: „Es haben sich an vielen Standorten von ARD, ZDF und Deutschlandradio Gruppen gebildet, die sich wiederum zu einer Manifest-Gruppe formiert haben. Unter permanenter Abstimmung und Beratung mit den Landes-Gruppen, mal persönlich, mal digital, entstand dieses Konsenspapier.“
Zu den Erstunterzeichnern gehören ehemalige wie aktive Journalisten, Sprecher, Techniker, Freie, Musiker und Schauspieler. Sie betonen, seit geraumer Zeit „eine Eingrenzung des Debattenraums anstelle einer Erweiterung der Perspektive“ zu verzeichnen. „Meinungsmache und Berichterstattung verschwimmen zusehends auf eine Art und Weise, die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht.“ Mit Kampfbegriffen wie „Querdenker“, „Schwurbler“, „Klima-Leugner“ oder „Putin-Versteher“ werde versucht, „Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen“. Innerbetriebliche Praktiken „wie die schon vor Dreh- beziehungsweise Reportagebeginn feststehende Kernaussage von Beiträgen“ genügten nicht mehr „journalistisch-ethischen Standards“. „Innere Pressefreiheit existiert derzeit nicht in den Redaktionen“, halten die Initiatoren warnend fest.
Ein neuer „öffentlich-rechtlicher Rundfunk von morgen“ würde dagegen zwar am „Prinzip der Rundfunkbeitragszahlung“ festhalten, jedoch die Unabhängigkeit sichern. Finanzflüsse, Ressortverteilungen und Gehälter müßten „transparent und öffentlich einsehbar“ sein. „Petitionen und Programmbeschwerden seitens der Gebührenzahler werden vom neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ernst genommen“, das Führungspersonal soll zudem verpflichtet werden, „jährlich einen öffentlichen Transparenzbericht vorzulegen“.
Das Manifest will „die Dringlichkeit aufzeigen, einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs zur Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu starten“. Zusammen mit der deutschen Akademie für Fernsehen (DAfF) und mehr als 40 weiteren Verbänden und Initiativen fordern die ÖRR-Mitarbeiter „ein umfassendes Beteiligungsverfahren zur Reform des öffentlich-rechtlichen Systems“. Hauptaugenmerk solle dabei laut Internetpräsent daff.tv ein „dialogischer Prozeß“ mit den Beitragszahlern und Medienschaffenden sein, anstatt die Suche nach Umbauideen „hinter verschlossenen Türen“. Eine „Road Map“ sieht vor, daß 1. ein „losbasierter Bürgerrat“ die „Sichtweisen der Konsumenten erarbeitet“, 2. ein „Konvent der Medienschaffenden“ umfassendes Praxiswissen beisteuert, während 3. eine „digitale Plattform“ beide Prozesse begleitet und den Bürgern eine Diskursbeteiligung ermöglicht. Die so erarbeiteten Ergebnisse sollen dann 4. in eine „Konsensuskonferenz“ münden, die eine „Grundlage für den anschließenden politischen Prozeß zur Verfügung“ stellt.
Die Kritik an den Manifest-Verfassern ließ nicht lange auf sich warten. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Redakteursausschüsse (AGGA) widerspricht „in wesentlichen Punkten“. „Der Eindruck, daß in den Sendern nur vorgegebene Meinungen diskutiert und verbreitet würden und nur ‘Mainstream’-Themen und -Berichterstattung stattfinden könnten, ist falsch.“ Vielmehr gebe es „überall eine lebhafte Streitkultur, bei der alle Meinungen geäußert werden“.
DJV-Chef Mika Beuster erkennt „durchaus berechtigte Kritikpunkte, die auch wir vorbringen“, betont allerdings, es sei ein „urjournalistisches Grundprinzip, kritische Berichte, Stellungnahmen und Kommentare mit dem eigenen Namen zu kennzeichnen“. Neben dem Manifest wurden mehrere Interna-Statements etwa zu einem „Klima der Angst“ oder einem „engen Debattenraum“ in den Anstalten publiziert, teilweise anonym.
Gegenwind auch aus östlichen Landesparlamenten
Dabei kommt Gegenwind nicht nur aus den eigenen Redaktionsstuben. Bereits Ende März haben sich die Präsidenten der Landesparlamente in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in einem gemeinsamen Positionspapier für „grundlegende inhaltliche und strukturelle Reformen“ des Rundfunksystems ausgesprochen. Diese sollen dazu geeignet sein, die „Glaubwürdigkeit und Akzeptanz seitens der Bürgerinnen und Bürger zu sichern“. Zwar bekennen sich die Parlamentsspitzen zum ÖRR als wesentlichem Bestandteil der Demokratie der Bundesrepublik, zugleich stehe er allerdings „aufgrund aktueller Vorfälle in einzelnen Sendern, aber auch grundsätzlich zunehmend in der Kritik der Bevölkerung“. Die Landtagspräsidenten fordern daher eine stärkere Ausrichtung am Informations-, Kultur- und Bildungsauftrag, mehr einheitliche technische Standards wie eine gemeinsame Online-Plattform, professionellere Kontrollgremien, eine ausgewogenere Berichterstattung im Sinne einer Vielfalt der Meinungen und eine effizientere Verwendung der Mittel, beispielsweise durch eine Reduzierung der Senderanzahl oder eine gemeinsame Verwaltung der Anstalten.
Immer wieder versuchen ARD & ZDF gerade bei letzterem guten Willen und erste konkrete Schritte vorzuspielen. So verkündete die ARD kürzlich stolz, seit Anfang des Jahres 140 Accounts in den sozialen Medien gelöscht zu haben. Was sich erstmal viel anhört, erscheint bei Betrachtung der immer noch übriggebliebenen über 500 Profile bei YouTube, Instagram, Facebook, X und TikTok schnell in einem anderen, ernüchternden Licht. Ernst gemeinte Kuren sehen anders aus, zumal die auswuchernden Auftritte des Jugend-Online-Netzwerks Funk dabei nicht einmal mitgerechnet wurden und das ZDF laut epd Medien von gut 90 Kanälen lediglich acht geschlossen hat. Und die Streichung des ZDF-Hauptkontos bei X beruht vielmehr auf Abneigung gegen Elon Musk und seine Stärkung der Meinungsfreiheit auf der Plattform als auf Sparumsetzungen.
Sich wieder von Medien, (Bundes-)Politik und dem Verfassungsgericht unter Druck setzen und vor den Karren einer schnell durchgewunkenen Beitragserhöhung spannen zu lassen, wollen die Bundesländer verhindern. In ihrem Schreiben betonen die Präsidenten nicht nur die Beitragsstabilität als oberste Priorität, sondern eine stärkere Einbindung der Parlamente und deren Ausschüsse bei den Reformprozessen. Sie fordern, daß die Landtage „ihre zentrale Rolle bei der Beschlußfassung über Auftrag, Ausgestaltung und Beitragshöhe stärker als bisher wahrnehmen“ sollen.
Kurz vor dem starken Signal aus den Landtagen hatte die CDU in Sachsen-Anhalt angekündigt, eine Anhebung der Zwangsgebühr ab 2025 wie 2020 blockieren zu wollen. „Wir werden uns erneut gegen eine Beitragserhöhung stemmen“, kündigte der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Markus Kurze, im Plenarsaal in Magdeburg an. „Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist in seinem Bestand und seiner Akzeptanz gefährdet, wenn wir so weitermachen.“ Seine Partei wolle zuerst Reformen sehen.
Fotos: Markus Kurze, Medienpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion in Magdeburg; Ulrike Liedtke, Präsidentin des Brandenburger Landtages, Gunnar Schellenberger, Präsident des Landtages von Sachsen-Anhalt; Matthias Rößler, Landtagspräsident in Sachsen und Birgit Pommer, Landtagspräsidentin in Thüringen: Offenes Schreiben für klare Reformen