© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/24 / 12. April 2024

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weissmann

Happy Ramadan auch in Großbritannien. Um ein Zeichen für „Diversität“ und „Inklusion“ zu setzen, wurde auf den Anzeigetafeln des Londoner Bahnhofs King’s Cross der „Hadith des Tages“ präsentiert, das heißt eine der mündlichen Mitteilungen Mohammeds, zusammen mit den Gebetszeiten, die der Gläubige einhalten soll.

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Die traditionsreiche katholische Zeitschrift Concilium präsentiert sich in neuem Gewand und mit neuer Agenda, um „einen Beitrag zur Transformation der Welt und der Kirche im Licht des Evangeliums zu leisten. Die Zeitschrift verpflichtet sich besonders der Kritik von Unterdrückungs- und Diskriminierungsstrukturen und einer Theologie aus der Perspektive der Opfer von sozialer, ökonomischer und ökologischer Ungleichheit. Sie unterstützt damit eine neue Vision von Kirche jenseits von Patriarchat, Klerikalismus, Rassismus, Anthropozentrismus, monokultureller Hegemonie und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen.“ – Das läßt nichts Gutes ahnen.

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Das Problem mit der Frage „Cui bono?“ ist, daß sie nur als rhetorische gestellt wird.

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Der Philosoph Jörg Phil Friedrich hat in der Welt (Online-Ausgabe vom 31. März) einen Text unter dem Titel „Jesus und die AfD“ veröffentlicht, in dem er sich mit den kirchlichen Verdammungsurteilen gegen die Alternative auseinandersetzt. Bemerkenswert daran ist vor allem, daß Friedrich – anders als die Berufschristen – theologisch argumentiert, also nicht in Verteidigung der besten Demokratie im freiesten Land, das wir je hatten, und im Kampf gegen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“, sondern unter Rekurs auf die Bibel. Was er da heranzieht, ist nicht immer überzeugend – etwa wenn er AfD-Anhänger summarisch mit Zöllnern und Sündern gleichsetzt –, aber entscheidend wirkt doch, daß hier überhaupt jemand thematisiert, welche Verlogenheit hinter Stellungnahmen steckt, die die eigene Gottesfurcht und Toleranz und Großherzigkeit feiern und Gemeindeglieder aburteilen, ohne sie gehört zu haben oder – was man doch sonst immer wie eine Monstranz vor sich herträgt – mit ihnen ins Gespräch gekommen zu sein. Es ist wahrscheinlich klug, daß Friedrich an dieser Stelle nicht deutlicher wird, aber in der Sache wäre noch zu ergänzen, daß das organisierte Christentum seit je die Schwäche hatte, sich auf die Seite der Etablierten zu schlagen und denen irgendwelche frommen Argumente zur Dekoration ihrer Machtgelüste zu bieten. In der Vergangenheit konnte man das immerhin aus gesicherter Position tun. Davon ist heute keine Rede mehr, es bleiben nur Opportunismus und Urteilslosigkeit und schlimmstenfalls das Wirken derer, „die in Gottes Namen auftreten und falsche Lehren verbreiten! Sie kommen zu euch, getarnt als Schafe, aber in Wirklichkeit sind sie reißende Wölfe.“ (Lukas 7.15)

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„Das Geheimnis des Menschseins liegt nicht darin, einfach zu leben, sondern für etwas zu leben. Ohne die zwingende Vorstellung eines Zweckes, für den er zu leben habe, wird der Mensch nicht einwilligen zu existieren. Er wird sich eher das Leben nehmen, als zwecklos auf der Welt auszuharren, wenn auch in Bergen von Brot.“ (Fjodor M. Dostojewski)

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In Deutschland eher unbemerkt bleibt eine symbolische Konterrevolution, die sich in den USA vollzieht. Erste Anzeichen wurden erkennbar, als in Städten und Gemeinden Elternvertretungen ihren Einfluß nutzten, um nicht nur alle möglichen „woken“ Lehrinhalte aus der Agenda der Schulen zu entfernen, sondern auch erreichten, daß das Hissen der Regenbogenfahne der LGBTQ+-Bewegung unterblieb. Als entscheidender Erfolg ist aber zu werten, daß Präsident Joe Biden eine drohende Haushaltssperre durch den Kongreß nur abwenden konnte, indem er ein Gesetz unterzeichnete, das es den amerikanischen Botschaften verbietet, irgendeine andere Fahne als das Sternenbanner zu zeigen. Damit hat sich – bis auf weiteres – die seit 2021 übliche Praxis erledigt, im „Pride Month“ auch die „Pride Flag“ aufzuziehen.

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Wer dieser Tage Paris bereist, kann den Optimismus derjenigen kaum verstehen, die meinen, daß man bei Beginn der Olympischen Sommerspiele am 26. Juli alle Bauten fertiggestellt, mehr Grün in die Betonwüste gebracht, die logistischen Probleme bewältigt und das Erscheinungsbild der Stadt in einen präsentablen Zustand überführt haben wird. Abgesehen vom Zentrum und den wichtigen touristischen Bereichen sind die Folgen des Bevölkerungsaustauchs ebenso unübersehbar – Paris dürfte längst die größte schwarzafrikanische Ansiedlung außerhalb Afrikas sein – wie der latente Verkehrskollaps, die Dysfunktion der Infrastruktur – es arbeiten nicht einmal mehr die Fahrscheinautomaten und die Zugänge der Metro verläßlich – und die soziale Verwahrlosung.

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Stufen moderner Kontemplation im öffentlichen Nahverkehr: Blicklos vor sich hin starren – Auf einen Bildschirm starren – Auf einen Bildschirm starren, Stöpsel in den Ohren – Auf einen Bildschirm starren, Kopfhörer aufgesetzt.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 26. April in der JF-Ausgabe 18/24.