© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 16/24 / 12. April 2024

Grüße aus …Bozen
Blaupause für Brüssel
Paul Decarli

Südtirol, wie wir es heute kennen und lieben, wäre ohne die EU ein anderes Land. Viele für den kleinen Fleck an Etsch und Eisack entscheidende Themen wie Verkehr, Tourismus oder Landwirtschaft sind ohne eine orchestrierte Strategie aus Brüssel kaum denkbar für die hiesige Politik zu stemmen. Auch das wichtigste Thema, der Schutz der deutschen und ladinischen Volksgruppe, ist vor Jahren auf dem Schreibtisch in Brüssel angekommen. Und trotz allem bedarf es einer Politik mit starkem Fokus auf das Subsidiaritätsprinzip, sprich die alltäglichen Probleme auf der untersten Ebene priorisiert zu behandeln. 

Unter diesen divergierenden politischen Ansätzen stellt sich die Südtiroler Volkspartei (SVP) seit den ersten Wahlen zum EU-Parlament 1979 stets die Frage, wie der Drahtseilakt gelingen kann. Explizit ist hier die SVP genannt, da sie die einzige Partei ist, welche aus der reinen Anzahl an Südtiroler Stimmen einen Mandatar in das EU-Parlament entsenden konnte. 

In der EVP schaut man auf die Zusammenarbeit zwischen der SVP und den Fratelli d’Italia.

Erschwert wird die Findung des politischen Kurses durch die Vorgaben des Wahlrechts, das für Parteien eine nationale Vier-Prozent-Hürde vorsieht. Für die SVP als regionale Minderheitenpartei bedeutet dies zwangsläufig, auf einer Wahlliste gemeinsam mit einer gesamtstaatlichen Partei anzutreten. Langjähriger Partner war hierbei die Partei des Ex-Premiers Silvio Berlusconi, Forza Italia, welche ein gemeinsames Mitglied in der Europäischen Volkspartei (EVP) ist. 

Demgegenüber favorisierte die SVP bei Parlamentswahlen zumeist ein Linksbündnis. Einmal links, einmal rechts. Das Wahlbündnis mit Forza Italia ist seit der letzten Landtagswahl jedoch nicht mehr in Stein gemeißelt, da durch die bestehende Südtiroler Landesregierung mit den Fratelli d’Italia von der Regierungschefin Giorgia Meloni (EKR-Fraktion) eine realpolitische Alternative im Raum steht. 

Auch in der EVP-Chefetage rund um Manfred Weber schaut man daher bereits auf diese potentielle Zusammenarbeit, da sie, durch die starken Umfragewerte der unterschiedlichen rechtskonservativen Parteien in Europa, eine Blaupause für die höchstwahrscheinlich EVP-geführte EU-Kommission nach der Wahl darstellen könnte. 

Im aktuellen Wahlkampf ist von all diesen verschiedenen Überlegungen und Faktoren fast nichts zu vernehmen. Wünschenswert wäre es allemal, aber zudem vor allem das Bewußtsein für eine geradlinige, weltanschaulich kohärente und ideologisch weitsichtige Politik zu schärfen. Das patriotische Lager wird aufgrund der Wahlhürde kaum eine Möglichkeit haben. Zwar berät sich die Südtiroler Freiheit mit ihrem Bündnis linker Regionalparteien, und die Freiheitlichen hätten mit der Lega (ID-Fraktion) einen politischen Partner, doch Brüssel ist dann von Bozen aus doch weit weg.