Nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt – und vor allem vor dem nächsten FDP-Bundesparteitag. In solchen Lagen pflegt Christian Lindner zur Höchstform aufzulaufen. Seine Etatplanung sieht vor, bevorzugt in den von Grünen geführten Ministerien Ausgabenposten zusammenzustreichen. Den Bürgern verspricht er rückwirkende Steuersenkungen, den Unternehmen eine „Wirtschaftswende“, seinen Parteifreunden ein zweistelliges Ergebnis bei der nächsten Bundestagswahl und außerdem einen Bürokratieabbau. Und der beste Bürokratieabbau ist der Verzicht auf neue Behörden.
Lindners jüngster Vorstoß richtete sich direkt gegen die grüne Familienministerin Lisa Paus, die auf die neue Behörde mit 5.000 Stellen für die Einführung der Kindergrundsicherung und am besten auf die Grundsicherung selbst verzichten soll. Die Grünen reagierten erbost, der nächste Koalitionskrach zeichnet sich ab.
Paus hält an ihrem Entwurf fest, rudert aber leicht bei der Zahl der neu zu schaffenden Stellen zurück. Die seien nur am Beginn der Kindergrundsicherung Anfang 2025 wegen der zu erwartenden hohen Antragsmengen notwendig, später nicht mehr so viele.
In der neuen Sozialleistung sollen alle Leistungen für Kinder (Kindergeld, Kindergeldzuschlag und Leistungen aus dem Bürgergeld) zentral zusammengefaßt und verbessert werden. Für Paus bleibt die Kindergrundsicherung „das größte sozialpolitische Reformprojekt der Ampel“. FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer hält dagegen: Der Gesetzentwurf sei „handwerklich schlecht, nicht zu Ende gedacht und hat juristische Lücken“.
In der Tat sind die 5.000 zusätzlichen Stellen das kleinere Problem. Viel bedeutsamer ist die Frage, was die Kindergrundsicherung tatsächlich kosten wird. 2,4 Milliarden Euro stehen in der mittelfristigen Finanzplanung für 2025, wenn die Kindergrundsicherung starten soll. Das war ein politischer Kompromiß bei der Haushaltsaufstellung. Die Ausgaben durften nicht aus dem Ruder laufen. Nach Schätzungen könnten die zusätzlichen Ausgaben jedoch eher bei zwölf statt 2,4 Milliarden Euro liegen. Darauf haben weder Paus noch Lindner eine Antwort, auch wenn der Finanzminister in einem Rundschreiben für die Haushaltsaufstellung verlangt, Abweichungen von der bisherigen Finanzplanung könnten „nicht akzeptiert werden“.
Allerdings muß sich der gerade als liberaler Napoleon aufspielende Lindner darauf einstellen, daß es die Grünen nicht hinnehmen werden, wenn ihr sozialpolitisches Lieblingsprojekt zusammengeschossen wird. Der Finanzminister hat eigene Projekte, mit denen er seine Erfolgsbilanz zur nächsten Bundestagswahl verschönern will. Dazu gehört in erster Linie ein neues Bundesfinanzkriminalamt, das die Lücken bei der Geldwäschebekämpfung schließen soll. Die Maßnahme ist notwendig, da Deutschland im internationalen Vergleich als „Paradies für Geldwäsche“ gilt. Die Grünen blockieren seit Wochen Lindners Gesetzentwurf. Außerdem stieß die Ankündigung des Finanzministers, den steuerlichen Grundfreibetrag für alle Bürger rückwirkend zum 1. Januar zu erhöhen, auf massive Gegenwehr in der Koalition, wo SPD und vor allem Grüne Druckpotential gegen Lindner aufbauen, damit er schließlich doch umfällt und der Kindergrundsicherung zustimmt.
Zur Wahrheit gehört auch, daß die FDP, die jetzt gegen die neue Behörde Sturm läuft, einem Teil der dafür notwendigen Stellen längst zugestimmt hat. Im Haushalt 2024 stehen 1.650 Planstellen für die neue Einrichtung bereit. Sie sind allerdings so lange gesperrt, bis der Gesetzentwurf vom Bundestag beschlossen ist.