Es mag der österlichen Ruhe geschuldet sein, daß ein brisanter Zeitungsbeitrag von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang zur Meinungsfreiheit erst mit Verzögerung beachtet wurde. Dabei war es kein Aprilscherz, als der Chef des Inlandsgeheimdienstes zu Monatsbeginn in der FAZ formulierte: „Die Meinungsfreiheit hat Grenzen“. Und weiter: „Auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.“
Daß die Ampelparteien SPD und Grüne Haldenwangs Äußerungen nicht weiter kommentierten, überrascht nicht, lassen sich diese doch ohne weiteres dem vielbeschworenen „Kampf gegen Rechts“ zuordnen. Immerhin die Ampelpartei FDP übte deutliche Kritik. Wo sei Haldenwangs „öffentlicher Aufschrei“ während der Corona-Zeit geblieben, als bürgerliche Maßnahmekritiker „extrem undifferenziert als ‘Querdenker’ und ‘Covidioten’ gebrandmarkt wurden“, fragte Parteivize Wolfgang Kubicki. Der Bundestagsvizepräsident vermutet, Haldenwang gehe es darum, die behördliche Speicherung seines Amtsvorgängers Hans-Georg Maaßen als Rechtsextremist zu rechtfertigen. Da mangele es aber an „hinreichenden Anhaltspunkten“, ist sich der Jurist Kubicki sicher.
„Haldenwang stellt sich in Tradition der Gestapo“
Auch der altgediente Verfassungsrechtler Rupert Scholz, Kommentator des renommierten Grundgesetzkommentars, meldete sich per Leserbrief zu Wort: „Jenseits des Strafrechts gibt es keine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die im Artikel 5 unseres Grundgesetzes garantiert ist und zum Kernbereich der Verfassung gehört. Wenn die Bundesregierung keine Konsequenzen aus dem Verhalten dieses hohen Beamten zieht, läßt sie selbst Zweifel an ihrem Demokratieverständnis aufkommen“.
Noch härter ging der frühere Stern-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges mit dem Chef des Inlandsnachrichtendienstes ins Gericht: „Haldenwang, der CDU-Mann, betritt das düstere Reich des autoritären Staates und stellt sich selbst in die Tradition der Gestapo“. Die Exekutive habe über Grundrechte nicht zu verfügen, schon gar nicht ein nachgeordneter Geheimdienst. Jörges: „Haldenwang gehört dafür vom Innenministerium dienstrechtlich gemaßregelt. Oder entlassen!“ Der scharfzüngige Jörges gehört neben Peter Voß, dem früheren SWR-Intendanten, zu den wenigen prominenten Journalisten, die Haldenwangs Amtsführung massiv in Frage stellten. Ihn bekümmere „das Schweigen von Journalisten, die einander sonst im Engagement fürs Gute, Wahre und Gerechte überbieten“. „Auch Rechte haben Rechte“, mahnte Voß seine Ex-Kollegen.
Eine Entlassung des obersten Verfassungsschützes hält Volker Boehme-Neßler, Rechtswissenschaftler an der Universität Oldenburg für geboten, da Haldenwang „so wenig Gespür für die Meinungsfreiheit“ habe. „Deutschland schlägt den Weg in den Überwachungsstaat ein“. Im übrigen sei auch die Haßrede von der Meinungsfreiheit gedeckt. Zumindest müsse Haldenwangs Chefin, Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihm den „selbst erteilten Aufgabenbereich ‘Delegitimierung des Staates’ aus der Hand nehmen“. Staatsrechtler halten diesen Begriff für schwammig, ungeeignet für eine Abgrenzung zur zulässigen Kritik, aber geeignet, die Bürger einzuschüchtern.