Im Zimmer sitzen ältere Männer mit langen weißen Haaren. Andere tragen selbstbewußt Glatze und Bart, einige Frauen noch immer Zopf. Da E., um die riesige Altbauwohnung auch als Rentner noch halten zu können, untervermietet, verjüngen Studenten die Gesellschaft. Dazu die beiden Nachbarfamilien von unten: Friedliche Koexistenz in weiser Voraussicht, falls die Musik zu später Stunde doch zu laut wird.
Im Minutentakt klingelt es an der Tür. Und wenn die Schritte aus dem Treppenhaus lauter werden, wenden sich die Blicke neugierig dem Eingang zu. Wer kommt noch? E. ist dafür bekannt, Menschen einander zuzuführen, die im Alltag kein Wort miteinander wechseln würden oder sich längst vergessen haben.
Spinne man den aktuellen Dissens weiter, ist die Bezeichnung dieses Landes diskriminierend.
Mitunter ungläubige Blicke. Ist das nicht? Dann leuchten Augen auf. Menschen fallen sich in die Arme. Ex-Widerständler und Bonbonträger aus der vorherigen Diktatur, vereint für kurze Wochen im Glauben an einen besseren Sozialismus im Biermannschen Sinne. Jetzt blicken sie auf mehr als drei Jahrzehnte Karriere im vereinten Vaterland und ringen um ihre Muttersprache.
„Schland“, sagt einer kopfschüttend. „Ist Dir aufgefallen, daß die“ – er deutetet auf die aufgereihten Matroschkas auf der Schrankwand – „von Mütterchen Rußland sprechen, wir Deutschen aber nur das Vaterland kennen.“ Wenigstens sei „Heimat“ weiblich.
„Und wir haben unsere Muttersprache“, erinnert der Dichter. „Vergewaltigt und geschändet“, brummt der linke Autor. Wenn man den aktuellen Dissens weiterspinne, dann sei schon die Bezeichnung dieses Staates diskriminierend: Deutsch-Land. Das grenze alle Nicht-Deutschen aus. Oder sei eben eine Lüge, weil es nicht mehr das Land der Deutschen ist, sondern ein Einwanderungsland für alle und jeden.
„Deswegen nannten wir unser Staatsgebilde Bunte Republik“, erinnert ein Weißbärtiger an die kurzzeitige Szenerepublik in Dresdens Äußerer Neustadt. „Mit einem Monarchen an der Spitze“, grinst ein anderer. „Aber der Monarch war ein Poet“, fügt der Dichter hinzu: „Und unsere Fahne war Schwarz-Rot-Gold mit der Mickymaus im Ährenkranz.“
Schräge Töne erklingen. Der Gastgeber stimmt die Geige: „Bunte Republik Schland – das könnte euch so passen, jetzt werden Studentenlieder gesungen.“
Als Kind dachte ich immer, daß alle Touristen aus Deutschland kommen. Andrea Abreu, spanische Schriftstellerin (*1995)