Nicht nur Vögel und Insekten sind gefährdet, sondern auch Anwohner, Landwirte auf ihren Feldern, spielende Kinder, Wanderer und Autofahrer. Ende Februar geriet in Rechenberg-Bienenmühle (Sachsen) eine Windenergieanlage (WEA) bei Reparaturarbeiten in Brand. Es habe große Gefahr durch herabfallende brennende Teile bestanden, teilte die zuständige Polizeidirektion mit. Die WEA stand frei auf einer Wiese, was aber, sie hätte im ausgetrockneten Wald gestanden? Was, wenn der Wind brennende Rotorenteile in eine nahe Siedlung oder auf eine Autobahn geblasen hätte?
Eine Woche zuvor wäre das in Dornstadt im württembergischen Alb-Donau-Kreis fast passiert, als bei Sturm ein 15 Tonnen schwerer Flügel von einer 100 Meter hohen WEA abbrach und Wrackteile auf einen Acker nahe der A8 und einer Bahnstrecke fielen. Im vergangenen Herbst war im Landkreis Rotenburg in Niedersachsen ein Windpark durch die Behörden stillgelegt worden, nachdem bei mehreren Windrädern Flügel abgebrochen waren. Den Landwirten wurde untersagt, ihre Felder zu betreten. In NRW stürzte eine WEA auf einen Feldweg.
Im Windpark Thomasburg im Landkreis Lüneburg wurde im März Schlimmeres verhindert: Zwei erst 2023 eingeweihte WEA des ostfriesischen Herstellers Enercon stehen vorerst still. Die Rotorblätter weisen auf unerklärliche Weise schon Risse auf. Produktionsfehler? Transportschaden oder beim fehlerhaften Aufbau entstanden? Die WEA-Betreiber stehen vor einem Rätsel, sind aber nicht allein: Auch in Bayern wurden bei einem Windpark der Elektrizitätswerke Schönau (EWS) beim gleichen WEA-Modell ähnliche Risse festgestellt. WEA-Qualitätsprobleme bei Siemens Gamesa sorgten 2023 für einen Milliardenverlust bei der deutsch-spanischen Firma (JF 43/23).
Die WEA werden immer höher und die Flügel immer länger. 1993 lag ihre Turmhöhe unter 70 Metern, die Leistung lag bei 0,5 Megawatt (MW) – heute sind sie 160 Meter hoch, die Maximalleistung liegt bei über vier MW. Doch die Technik kommt dabei offenbar nicht mit: So wurden schon 2018 Risse in 75 Hybridtürmen – Konstruktionen aus Beton und Stahl – festgestellt. Die WEA-Leistung mußte daher aus Sicherheitsgründen von 4,2 auf 0,5 MW abgesenkt werden. Bei über 28.000 WEA an Land (Onshore) ist das für den Bundesverband Windenergie (BWE) kein Problem: Schadensereignisse und Unfälle ließen sich eben nicht völlig ausschließen.
98 Prozent der WEA würden in der Regel sicher laufen – das heißt aber auch: Bei über 500 WEA gebe es Probleme. Eine offizielle Statistik darüber, wie viele Anlagen wegen Materialfehlern, Bränden oder sonstigen Einwirkungen zu Schaden kamen, gibt es bislang nicht – was bei den zunehmend mehr als 160 Meter hohen Betonbauten mit mächtigen Rotoren an der Spitze beunruhigt.
Treibhausgas Schwefelhexafluorid sei ein „echter Problemstoff“
Zumal Recherchen von T-Online ergeben haben, daß es zwischen 2015 und 2019 zu mindestens 62 schwerwiegenden Vorfälle bei WEA kam, Bund und Länder aber lediglich in 26 Fällen davon Kenntnis hatten. Der TÜV geht von 50 schweren Unfällen an Windkraftanlagen pro Jahr aus und fordert regelmäßige Kontrollen. „Im Vergleich mit anderen Erzeugungsanlagen verursacht die Windkraft geringe Kosten, sofern alle Möglichkeiten berücksichtigt werden, um negative Auswirkungen auf Mensch und Natur zu vermeiden“, argumentiert der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), dem CO₂-Vermeidung über alles geht.
So stimme zwar der Vorwurf, daß Vögel und Fledermäuse von den Rotorblättern geschreddert werden könnten, aber es komme nur selten vor, daß sie gegen den Mast fliegen. Überdies würden WEA von Zugvögeln inzwischen häufig umflogen. Ähnlich wird bei Insekten argumentiert: 1.200 Tonnen würden jährlich durch WEA vernichtet – 450.000 Tonnen hingegen von Vögeln in Waldgebieten gefressen. Letztlich sieht der BUND lediglich einen kleinen schwarzen Fleck auf der weißen Weste der WEA: Das Treibhausgas Schwefelhexafluorid (SF6), das zur Isolation in elektrischen Schaltanlagen eingesetzt werde, sei ein „echter Problemstoff“, der aber im Normalfall sicher in der WEA verbleibe.
Erneuerbare Energien sind ein überragendes öffentliches Interesse
Der Bundesrechnungshof (BRH) sieht das in seinen 58seitigem Sonderbericht zur Energiewende (JF 12/24) allerdings nicht so „locker“ wie der BUND. Der Ausbau erneuerbarer Energien (EE) sei „für eine treibhausgasneutrale Energieversorgung und damit für den Klimaschutz von überragender Bedeutung“, aber zugleich „liegen der Bundesregierung zahlreiche Erkenntnisse zu negativen Umweltwirkungen“ der EE vor. Dazu zählten beispielsweise „die Inanspruchnahme von knappen Flächen und Ressourcen, aber auch die Beeinträchtigung der Biodiversität“, heißt es gleich zu Beginn des zwölfseitigen Kapitels über die „Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“. Und: „Im Zuge der Energiekrise wurden umweltschutzrechtliche Verfahrensstandards abgesenkt. Dies erhöht das Risiko, daß einzelne Schutzgüter mehr als nötig beeinträchtigt werden.“
Der BRH sieht daher – anders als grüne Vorfeldorganisationen wie der BUND, das AKW-feindliche Öko-Institut oder die Wärmepumpen-Lobby der Agora Energiewende – das „Ziel einer umweltverträglichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität“ nach Paragraph 1 Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) als „gefährdet“ an. Und um welche „Schutzgüter“ geht es eigentlich? „Die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und Biodiversität, Fläche, Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft sowie das kulturelles Erbe und sonstige Sachgüter“ werden im Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) genannt. Das UVPG gibt es seit 1990, und es wurde seither mehrfach verschärft – und unter der Ampel erstmals spürbar gelockert. Warum? In ihrem Koalitionsvertrag „Mehr Fortschritt wagen“ hatten sich SPD, Grüne und FDP das Ziel gesetzt, den EE-Ausbau „drastisch zu beschleunigen und alle Hürden und Hemmnisse aus dem Weg zu räumen“.
Man könnte auch sagen: „Wo gehobelt wird, fallen Späne!“ Oder im Ampel-Koalitionssprech: „Wir werden Planungs- und Genehmigungsverfahren erheblich beschleunigen“, denn WEA und Solaranlagen „liegen im öffentlichen Interesse und dienen der Versorgungssicherheit“. Bei der Schutzgüterabwägung müsse es „bis zum Erreichen der Klimaneutralität“ einen „befristeten Vorrang“ für die EE geben: „Wir schaffen Rechtssicherheit“, unter anderem „durch die Anwendung einer bundeseinheitlichen Bewertungsmethode bei der Artenschutzprüfung von Windenergievorhaben“, heißt es im Koalitionsvertrag. Aber das reiche nicht: „Für die Windenergie an Land sollen zwei Prozent der Landesflächen ausgewiesen werden.“ Bei 349.000 Quadratkilometern Landfläche wären das knapp 7.000 Quadratkilometer – ein Drittel der Fläche Hessens oder zehn Prozent von Bayern.
Dabei hätten die Flächenbelegungen schon „mit dem Voranschreiten der Energiewende seit dem Jahr 2000 zugenommen“, kritisiert der BRH. „Dies beeinträchtige die Schutzgüter Fläche, Boden und Landschaft sowie indirekt (durch Lebensraumverluste) die Schutzgüter Tiere, Pflanzen und Biodiversität.“ Die Anzahl von WEA „in Schutzgebieten“ habe sich im Zeitraum 2010 bis 2020 verdoppelt: „Nur wenige Anlagen unterlagen Abschaltauflagen zum Schutz von Tieren.“ Der BRH verlangt daher ein „Monitoring der tatsächlichen Umweltwirkungen des Energiesystems anhand klar definierter Ziele“. Sprich: Mensch und Natur sind vielleicht wichtiger als CO₂-Phobie und Klimapanik.
BRH-Sonderbericht zur Energiewende: bundesrechnungshof.de/SharedDocs/DownloadsDE/Berichte/2024/energiewende-volltext.pdf