Präsidiale Geschichtspolitik. Auch beim jüngsten Auftritt, als Redner auf der Buchmesse in Leipzig, machte Bundespräsident Steinmeier seinem Namen als „Frank-Walter der Spalter“ alle Ehre. In übelster Manier vereinnahmte der bis 1990 als Gegner der Wiedervereinigung aufgetretene Sozialdemokrat die mitteldeutsche Protestbewegung, die das SED-Regime wegfegte, um es auf eine Stufe zu stellen mit regierungsfrommen Aufmärschen „gegen Rechts“. Auf welchem unterirdischen Niveau sich Steinmeier bewegt, ergibt sich aus dem Vergleich mit seinen Vorgängern, den der Jenaer Zeithistoriker Norbert Frei mit seiner Darstellung über „Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit“ nun ermöglicht. Allerdings beschränkt sich Frei darin auf die Staatsoberhäupter der Bonner Republik. Unter denen sich der publizistisch rührige Bildungsbürger Theodor Heuss, Gustav Heinemann sowie Richard von Weizsäcker, dessen Rede zum 8. Mai 1985 eine vorsichtige, wissenschaftlich aber vertretbare Annäherung an die Kollektivschuldthese riskierte, sich am stärksten volkspädagogisch engagierten. Das gelungenste Kapitel in Freis Revue widmet sich Heuss als bienenfleißgem Mit-Herausgeber des Sammelwerks „Die großen Deutschen“, das von einem heute schon märchenhaften Glauben an die identitätsstiftende Kraft eines Kanons historisch-kulturell bedeutsamer Gestalten kündet. (wm)
Norbert Frei: Im Namen der Deutschen. Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit. Verlag C.H. Beck, München 2023, gebunden, 377 Seiten, Abbildungen, 28 Euro
Freiheitlich. Die Politiker Jörg Haider, Heinz-Christian Strache oder die FPÖ als solche dürften jedermann geläufig sein. Während Haider aus der FPÖ in den 1990ern eine erfolgreiche rechtspopulistische Partei mit Wahlergebnissen von weit über 20 Prozent machte, knüpfte Strache in den 2000er und 2010er Jahren mit seiner HC-Image-Strategie und genauso zahl- wie erfolgreichen Social-Media-Kanälen daran an. Wahlergebnisse von erneut über 20 Prozent und sogar die Vizekanzlerschaft belohnten Strache und die Freiheitlichen – bis HC auf Ibiza an seiner Schwäche für schöne Frauen und Partynächte scheiterte. Soweit kennt die Geschichte der Freiheitlichen fast jeder. Doch die Geschichte des Dritten Lagers in Österreich ist sehr viel älter und vielschichtiger. Heinrich Sickl, Herausgeber des Freilich-Magazins, hat mit dem Historiker Lothar Höbelt darüber gesprochen und präsentiert im vorliegenden Buch eine spannende Reise von den Ursprüngen der Freiheitlichen im 19. Jahrhundert bis zur heutigen FPÖ, die sich unter Herbert Kickl erneut anschickt, Regierungsverantwortung in Österreich zu übernehmen. (bb)
Lothar Höbelt: Freiheitlich. Die Geschichte des Dritten Lagers. Freilich Medien GmbH, Wien 2023, gebunden, 234 Seiten, 29,90 Euro