© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/24 / 05. April 2024

Mit Macheten gemetzelt
Vor 30 Jahren erschütterte ein Völkermord der Hutu am Volk der Tutsi den afrikanischen Kleinstaat Ruanda
Thomas Schäfer

Der letzte große Völkermord des 20. Jahrhunderts ereignete sich in dem kleinen ostafrikanischen Binnenstaat Ruanda. Er begann am 6. April 1994 und dauerte etwa einhundert Tage, in deren Verlauf zwischen 800.000 und einer Million Menschen starben. Letztlich wurden rund 75 Prozent der Minderheit des Volkes der Tutsi massakriert – ihr Leben verloren aber auch zahllose Angehörige der Hutu-Mehrheit, welche den Genozid nicht mittragen wollten. Damit kulminierte ein Konflikt zwischen den beiden ethnischen Hauptgruppen in Ruanda, dessen Wurzeln bis in die Zeit vor Beginn der deutschen Kolonialherrschaft zurückreichten.

Unter König Kigeri IV., der bis 1895 regierte, begannen die nomadischen Tutsi über die vorwiegend Ackerbau treibenden Hutu zu dominieren und ein System der Zwangsarbeit zu etablieren. Dies nahm die deutsche Kolonialverwaltung ab 1899 zum Anlaß, sich vor allem auf die Tutsi zu stützen, wenn es um die Übertragung von Machtbefugnissen ging. Ganz genauso verfuhren dann auch die Belgier, nachdem sie 1923 vom Völkerbund mit dem Mandat über Ruanda betraut worden waren. Dadurch zementierten sie die Unterschiede und somit auch die Rivalitäten zwischen den Hutu und Tutsi.

Zu einer Radikalisierung beider Gruppen kam es allerdings erst im Vorfeld der zu erwartenden Dekolonisation in den 1950er Jahren. Die Tutsi wollten die Fortführung ihrer Monarchie, während die Hutu nach der alleinigen Macht im Rahmen einer Republik strebten. Im Ergebnis dessen ereigneten sich ab November 1959 erste große Gewaltausbrüche. Die belgische Kolonialmacht reagierte mit einer demonstrativen Bevorzugung der Hutu, womit sie noch Öl ins Feuer goß. Am Ende stand die sogenannte Hutu-Revolution, die nach der Unabhängigkeit Ruandas im Jahre 1962 zu massiven Repressalien gegen die Tutsi führte, von denen letztlich etwa 600.000 in die Nachbarländer Uganda, Burundi und Kongo flohen. Das bot den Nährboden für die Entstehung der Tutsi-Rebellenarmee Front Patriotique Rwandais (FPR), welche die zunehmende politische Schwäche des Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana nutzte, um am 1. Oktober 1990 von Uganda aus in Ruanda einzumarschieren. Damit begann ein Bürgerkrieg, der erst mit dem militärischen Sieg der FPR endete, womit dann auch der Massenmord an den Tutsi gestoppt wurde.

Zunächst freilich konnte die ruandische Armee die Tutsi-Rebellen in Schach halten. Außerdem gründeten die Hutu zwei Milizen namens Impuzamugambi und Interahamwe, welche immer wieder Tutsi und auch gemäßigte Hutu attackierten und bereits vor dem Genozid von 1994 Tausende Menschen töteten. Anfang 1992 gelang der FPR dann ein bedeutender Sieg, als sie die nördliche ruandische Präfektur Byumba eroberte, woraufhin die Regierung in Kigali in Friedensgespräche einwilligen mußte. Allerdings wuchs der Haß auf die Tutsi damit noch mehr. So forderte Léon Mugesera, einer der Anführer der Präsidentenpartei Mouvement Républicain National pour la Démocratie et le Développement (MRND), am 22. November 1992 öffentlich die Auslöschung der Tutsi, während Oberst Théoneste Bagosora vom Verteidigungsministerium die Ausgabe von Schußwaffen an die Hutu-Milizen organisierte. Außerdem initiierte er die Erstellung von Todeslisten, welche dann später auch zum Einsatz kamen.

Anwesende Uno-Blauhelme griffen nicht in die Massaker ein

Als Vorwand für den also von langer Hand geplanten Völkermord vor dreißig Jahren diente ein dramatisches Ereignis am Abend des 6. April 1994. Beim Landeanflug auf die ruandische Hauptstadt Kigali wurde die Dassault Falcon 50 von Präsident Habyarimana von zwei Kurzstrecken-Boden-Luft-Raketen des sowjetischen Typs Igla getroffen, wobei das ruandische Staatsoberhaupt und dessen ebenfalls an Bord der Maschine befindlicher burundischer Amtskollege Cyprien Ntaryamira sowie ein Großteil der Armeeführung Ruandas starben. Dieser bis heute nicht vollständig aufgeklärte Anschlag ging mit allergrößter Wahrscheinlichkeit auf das Konto radikaler Hutu, welche den gemäßigten Habyarimana aus dem Weg räumen und einen Anlaß zum Losschlagen gegen die Tutsi schaffen wollten. Letzteres erfolgte dann tatsächlich unmittelbar nach dem Abschuß, als der ruandische Regierungssender Radio-Television Libre des Mille Collines die Tutsi des Attentates beschuldigte und die Parole „Tötet die Tutsi-Kakerlaken!“ herausgab.

Verantwortlich für das gigantische Ausmaß der Mordorgie in Ruanda waren allerdings nicht nur Hutu-Fanatiker, sondern auch die Vereinten Nationen, mehrere westliche Staaten und China. Die Uno, welche zu Beginn des Massakers über 2.000 Blauhelme der United Nations Assistance Mission for Rwanda (UNAMIR) im Lande verfügte, unterließ es, Maßnahmen gegen das Gemetzel zu ergreifen und verkleinerte statt dessen das UNAMIR-Kontingent. Ebenso passiv blieben Großbritannien und Belgien, obwohl sie über erheblichen Einfluß auf die Hutu-Regierung verfügten. Parallel dazu lieferte die Volksrepublik China ohne jegliche Bedenken Millionen von Macheten nach Kigali, welche dann unter den Hutu verteilt und als Haupttatwaffe bei den Massakern benutzt wurden. Noch problematischer war freilich das Handeln Frankreichs. Paris rüstete das Hutu-Regime seit 1990 militärisch auf, wodurch die Armee Ruandas innerhalb von drei Jahren von 5.200 auf 35.000 Mann wuchs und auf moderne Waffen zurückgreifen konnte. Dazu kamen Einsätze französischer Fallschirmjäger gegen Tutsi-Rebellen. Motiv für die Unterstützung der Hutu war der Umstand, daß die Kämpfer der FPR umfangreiche Hilfe aus den USA erhielten, womit eine Herauslösung Ruandas aus dem französischen Einflußbereich in Afrika drohte. 



Fotos: Französische Interventionstruppen an der Seite der Hutu-Milizionäre, die zuvor die Tutsi abschlachteten, Juli 1994: Die Rolle Frankreichs war besonders unrühmlich