Ach herrje, hört das denn nie auf? Wer gedacht hatte, mit der Einweihung des Humboldt-Forums im wiederaufgebauten Berliner Stadtschloß endet die jahrzehntelange Auseinandersetzung um den symbolträchtigen Bau in der Mitte der deutschen Hauptstadt, hat die Rechnung ohne die Hartnäckigkeit, ja den Fanatismus seiner Gegner gemacht. Für sie ist die Rekonstruktion der barocken Fassaden der ehemaligen Hohenzollernresidenz, wie überhaupt jeder Wiederaufbau von stadtprägenden Gebäuden, die den Wirren des 20. Jahrhunderts zum Opfer gefallen sind, ein Schritt in die falsche Richtung, weg von einer in hell leuchtenden Farben ausgemalten glas- und betonreichen architektonischen Moderne, hin in die demokratiegefährdende Vergangenheit des europäischen Bauens.
Diese latente Abneigung steigert sich noch, wenn es um Preußen und sein architektonisches Erbe geht (“Militarismus! Untertanengeist!“). Dann ist der Weg von der Ablehnung des neuen Bauens in alten Formen nicht weit bis zur Warnung vor einer architektonischen Verächtlichmachung der Demokratie und dem schädlichen Einfluß von rhythmisch gegliederten Fassaden und des dem Sandstein abgetrotzten Figurenschmucks auf die politische Urteilskraft des bundesrepublikanischen Bürgers: das Ornament als Verbrechen.
Politisch aufgeladener und verkopfter Feldzug
Jüngstes Beispiel für derlei Furor gegen die Reparatur des Städte im allgemeinen und das schöne alt-neue Bauen in Berlin, Potsdam und auch Frankfurt am Main im besonderen ist ein unter der drohenden Überschrift „Eine rechtsextreme Verschwörung?“ stehender Artikel des Feuilletonredakteurs Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die Munition für seine Attacke gegen das Berliner Schloß, deren Anlaß die Aufstellung von acht jeweils drei Tonnen schweren und 3,30 Meter hohen Propheten-Statuen auf der Balustrade der Kuppel Ende Februar war, lieferte der Erzfeind des Palastneubaus, der linke Architekt und Architekturtheoretiker Philipp Oswalt, der seit Jahren einen erbitterten Kampf gegen das Berliner Stadtschloß führt.
Da Oswalt vermutlich weiß, daß es schwer ist, mit abweisenden Glasfassaden und schnödem Sichtbeton gegen barocke Pracht zu argumentieren, versucht er diejenigen zu diskreditieren, die sich für die Rückgewinnung des Hergebrachten engagieren, allen voran den unermüdlichen Streiter für den Wiederaufbau des Stadtschlosses, Wilhelm von Boddin, ohne dessen Hartnäckigkeit und Ideenreichtum, darin dürften Freund und Feind ausnahmsweise übereinstimmen, die Fassaden von Barock-Altmeister Andreas Schlüter nicht wieder neu erstanden wären und dem Oswalt versucht hat Unregelmäßigkeiten bei der Sammlung von Spenden nachzuweisen.
Mittlerweile hat er die Spender selbst ins Visier genommen und unterstellt einigen von ihnen eine böse Gesinnung und unlautere Absichten. Schnell wird alles, was der Ideenwelt des ehemaligen Pressesprechers der Frankfurter Grünen zuwiderläuft, in die Nähe des Rechtsextremismus gerückt und der Einsatz für die Rückgewinnung schöner und harmonischer Architektur umgedeutet zu einem finsteren Plan, die Demokratie zu zersetzen und quasi Haß und Hetze in Sandstein zu meißeln. Bei Seidl klingt das dann so: Als Kritiker könne man schon auf den Gedanken kommen, „daß das Humboldt-Forum bloß die Wand sei, die jetzt von Rechtsextremen beschriftet werde“. Nun ja.
Wie beim Bauhaus-Freund Oswalt kommt auch bei Seidl in diesem politisch aufgeladenen und verkopften Feldzug gegen das klassische Bauen eine entscheidende Dimension der Architektur zu kurz, um nicht zu sagen, sie fällt komplett unter den Tisch: Die Frage, wann Menschen Architektur als schön oder häßlich empfinden, spielt keine Rolle. Vermutlich scheuen die Freunde der modernen Architektur den direkten Vergleich zwischen dem, was war, und dem, was kommen soll. Denn sie wissen: Der Passant auf der Straße, die Touristen in den Städten werden sich mehrheitlich immer für traditionelle Fassaden und gegen die einfältigen und daher mit allerlei Heilsversprechungen aufgeladenen Zumutungen der modernen Architektur entscheiden. Fast schon hilflos versucht Seidl daher den belanglosen DDR-Bau des Potsdamer Rechenzentrums, der bislang noch dem Wiederaufbau des Kirchenschiffs der Garnisonkirche im Wege steht, als spannungsreichen Gegensatz zum fast vollendeten Turm der Kirche zu verklären.
Immerhin gesteht Seidl in einer hellsichtigen Passage ein, daß die ästhetischen Debatten für die Rekonstruktionsgegner „grandios verlorengegangen“ seien – um im selben Atemzug dann doch wieder Rem Koolhaas’ brutalen Berliner Neubau für den Axel-Springer-Verlag, der sich selbstverliebt nicht um architektonische Bezüge zu seinem Umfeld schert, als „monumentalen und sinnstiftenden Quader“ zu loben und als Alternative zur feingliedrigen Fassade des Schlosses in Stellung zu bringen.
Gott sei Dank, möchte man ausrufen, ist dieser Kelch an der deutschen Hauptstadt vorbeigegangen. Wobei der Dank eigentlich dem Deutschen Bundestag gebührt, der 2002 mehrheitlich für den Wiederaufbau des Stadtschlosses mit seiner barocken Fassade und damit gegen einen zeitgenössischen Entwurf gestimmt hatte. Ein lästiges Detail, das die Schloßgegner gern ausblenden, stört es doch ihre Gruselgeschichten von dunklen Mächten, die im verborgenen an barocken Fassaden werkeln, um die Demokratie zu stürzen.
Am Ende gibt dann aber auch Seidl Entwarnung: Von einem „Drink im Schlüterhof“ des Stadtschlosses, versichert er, werde man nicht zum AfD-Wähler. Der Umsturz durch Architektur scheint – vorerst – abgewendet. Da haben wir aber noch einmal Glück gehabt.