© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/24 / 05. April 2024

Ziemlich schlechteste Freunde
Pläne für Gaza-Offensive: Netanjahus Rhetorik schreckt auch Washington ab / Innenpolitik in beiden Ländern entscheidend
Kuba Kruszakin

Sie wollten die Wogen glätten: Bei dem Treffen am vorvergangenen Dienstag im Pentagon betonten der US-amerikanische Verteidigungsminister Lloyd Austin und sein israelisches Pendant Joaw Galant das Gemeinsame. „Das sicherheitspolitische Band zwischen den Vereinigten Staaten und Israel ist untrennbar“, bekräftigte Austin. Galant zog eine Parallele zu dem gleichzeitig stattfindenden Besuch eines Hamas-Anführers in Teheran und sprach von einem „klaren Zeichen“ eines Krieges zwischen der „freien Welt“ und der „Achse der Terrorunterstützer“.

Gleichzeitig laufen die Drähte zwischen Washington D.C. und Tel Aviv so heiß wie selten zuvor. Stunden vor dem Gipfel hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu seinen Besuch in den USA abgesagt. Dafür sorgte eine Resolution des Uno-Sicherheitsrats, die zu einer „sofortigen“ Feuerpause in Gaza während des islamischen Fastenmonats Ramadan aufruft. Zudem forderte das Gremium auch von der israelischen Regierung, den uneingeschränkten Zugang für die humanitäre Hilfe im Gazastreifen zu gewährleisten.

„Als wenn sie den Alliierten sagen würden: Geht nicht nach Berlin“

Statt, wie üblich, ein Veto einzulegen, enthielt sich daher der US-Vertreter. Netanjahu beklagte, dies sei eine „klare Abkehr“ von der bisherigen Haltung Washingtons: „Sie gibt der Hamas Hoffnung, durch weltweiten Druck einen Waffenstillstand zu erzwingen, ohne unsere Geiseln freizulassen.“ Die amerikanische Seite widersprach und betonte, daß sich die Forderung nach der Freilassung im Beschlußwortlaut findet.

Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht vor allem eine Stadt: Rafah. Bereits am 10. März hatte US-Präsident Joe Biden in einem Interview mit dem Nachrichtensender MSNBC eine seit Wochen geplante Großoffensive dort als „rote Linie“ bezeichnet. „Ich könnte keine weiteren 30.000 toten Palästinenser akzeptieren.“ Netanjahus Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Auch ich habe meine rote Linie: Daß sich der 7. Oktober nicht wiederholt“, erklärte er.

In der im Süden des Gazastreifens gelegenen Stadt warten rund 1,4 Millionen Zivilisten auf ein Ende der Kämpfe. Bereits seit Februar erwägt die israelische Regierung einen Großangriff gegen die Grenzstadt zu Ägypten, weil sich dort vier der übriggebliebenen Hamas-Bataillone befinden sollen. Vor drei Wochen hatte Netanjahu die Pläne offiziell genehmigt. Schon jetzt kommt es zu vereinzelten Luftangriffen, die neben den Kämpfern der islamistischen Miliz Dutzende zivile Opfer fordern.

Die Militärregierung in Kairo weigert sich, Schutzsuchende aus dem Gebiet aufzunehmen. „Wir werden keine Zwangsumsiedlung von Palästinensern zulassen“, sagte Staatspräsident Abd al-Fattah as-Sisi noch Mitte März. Zudem fürchtet Ägypten, daß sich der Konflikt im Fall der Räumung der Stadt ausweiten könnte. Palästinensische Milizen, so die Argumentation, würden das Land als Basis für Angriffe gegen Israel nutzen.

Doch Rafah leidet unter einer Versorgungskrise. Kamen vor dem 7. Oktober rund 500 LKWs mit Hilfsgütern und Importen monatlich in den Gazastreifen, sank die Zahl inzwischen laut Uno auf 150 ohne Lieferungen über den Luftweg. Die Bürokratie, die Infrastruktur vor Ort sowie laufende Kriegshandlungen bereiten zahlreiche Probleme.

Für Biden, der sich vor wenigen Jahren als „Zionist“ bezeichnet und betont hatte, man müßte dafür kein Jude sein, stellt die Lage ein politisches Dilemma dar. Dem Gallup-Institut zufolge lehnen drei Viertel der Demokraten-Wähler das israelische Vorgehen in Gaza ab. Propalästinensische und dem linken Parteiflügel nahestehende Vereinigungen hatten mit der Kampagne „Uncommitted“ dazu aufgerufen, bei den parteiinternen Präsidentschaftsvorwahlen die Option „keiner der Kandidaten“ zu wählen, statt für Biden zu stimmen. Dieser solle sämtliche Unterstützung Israels einstellen, forderten die Initiatoren. Mancherorts zeigte der Vorstoß Wirkung: Bei den Vorwahlen in Minnesota hat sich der Anteil jener, die gegen alle Kandidaten gestimmt haben, gegenüber 2012 verfünffacht.

Den linksliberalen Publizisten und Fachkundigen ist Israels rechte Regierung ohnehin eine Last. „Es braucht ein neues Narrativ, um proisraelische Politik zu rechtfertigen“, mahnte Politikwissenschaftler Steven A. Cook in der Zeitschrift Foreign Policy. Im Gegensatz zum langjährigen Narrativ einer bedrohten Demokratie im Nahen Osten sei die Souveränität Israels dank Diplomatie sicherer denn je, während die Regierung Netanjahu „demokratische Defizite“ aufzeige.

Wenige Tage nach Bidens Interview meldete sich auch der Mehrheitsführer der Demokraten im US-Senat, Chuck Schumer, zu Wort. „Es gibt vier Hürden zum Frieden in der Region, und Netanjahu gehört dazu.“ Es brauche eine Rückkehr zu einer Zweistaatenlösung sowie Neuwahlen in Israel, sobald die Kämpfe ruhen.

Der israelische Ministerpräsident schoß prompt zurück. Er nannte Schumers Appell „völlig unangemessen“ und bekräftigte seine Absage an die Forderungen aus Washington: „Es ist, als wenn man den Alliierten sagen würde, daß sie nicht nach Berlin gehen und das verbliebene Viertel der Wehrmacht unversehrt lassen sollten“, sagte er im Gespräch mit Fox News. Die Hamas habe faktisch einen palästinensischen Staat gehabt, der israelische Bürger angegriffen hätte. Israels Militär müsse daher „den Job fertig machen“ und die Miliz besiegen.

Vier Milliarden US-Dollar an Militärhilfen genehmigt

Netanjahu ist ebenfalls von der innenpolitischen Stimmung abhängig. „Es ist keine Meinung eines Netanjahu und der Randelemente seiner Regierung“, erklärte er bei Fox News. Tatsächlich unterstützen rund drei Viertel der israelischen Juden laut einer Umfrage des Israel Democracy Institute eine Intensivierung der Kämpfe in Rafah. An eine friedliche Koexistenz mit einem palästinensischen Staat glauben den Daten des Pew Research Center zufolge nur noch 35 Prozent aller Israelis, mit nahezu gleicher Ablehnung bei jüdischen und arabischen Bürgern. Gleichzeitig bewerten 57 Prozent der Bürger Netanjahus Leistung als „schwach“ oder „sehr schwach“. Vergangene Woche hatte die Partei „Neue Hoffnung“ sein Kabinett verlassen, da der Kampf nicht schnell genug vorangehe.

Ein endgültiger Bruch zwischen Washington und Tel Aviv zeichnet sich aber vorerst nicht ab. Tage zuvor hatte der Kongreß vier Milliarden US-Dollar (umgerechnet 3,7 Milliarden Euro) an Militärhilfen genehmigt. Und eine Woche nach den Gesprächen im Pentagon gingen beide Staaten erneut aufeinander zu. „Die israelische Seite erklärte sich bereit, die Bedenken zum Vorgehen in Rafah zu berücksichtigen und sie mit den Experten zu diskutieren“, erklärte das Weiße Haus.