Große Schlappe für Erdoğan und Co.
ANKARA. Bei den Kommunalwahlen in der Türkei hat die regierende Partei Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) erhebliche Verluste eingefahren. Im Vergleich zu den Wahlen im März 2019 verlor sie knapp neun Prozentpunkte und wurde mit 35,5 Prozent nur noch zweitstärkste Kraft. Auch die sie stützende rechtsextreme Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) büßte noch einmal 2,3 Prozentpunkte ein und liegt mit fünf Prozent hinter der konservativ-islamistischen Neuen Wohlfahrtspartei von Fatih Erbakan mit 6,2 Prozent und der prokurdischen Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie (DEM), die 5,7 Prozent erhielt. Zum ersten Mal seit 20 Jahren übertraf die kemalistisch-sozialdemokratische Republikanische Volkspartei (CHP), die 37,8 Prozent erhielt, die AKP von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Mit dem Gewinn von Bürgermeistersitzen in Großstädten wie Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa und Balikesir avanciert die CHP zu der dominierenden Kraft in der lokalen politischen Arena. Nur zehn Monate nach den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, bei denen Präsident Erdoğan noch einmal einen Sieg gegen den ehemaligen CHP-Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu erringen konnte, ein deutliches Votum. „Ich gratuliere meinen politischen Weggefährten, 14 Großstadtbürgermeistern, 21 Provinzbürgermeistern, 337 Bezirksbürgermeistern und 48 Stadtbürgermeistern, die bei den Kommunalwahlen Erfolge erzielt haben. Ich wünsche allen gewählten Bürgermeistern viel Erfolg“, erklärte der wiedergewählte Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu (CHP). Dessen Wiederwahl erhöht seine Chancen auf eine Präsidentschaftskandidatur im Jahr 2028. (ctw)
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Portugal: Regierung auf tönernen Füßen
LISSABON. In Portugal ist Bewegung in die politische Lage des Landes gekommen. Nach dem knappen Wahlsieg der konservativen Allianz um Luis Montenegro und seine PSD wurde Montenegro am 21. März von Präsident Marcelo Rebelo de Sousa zur Bildung einer Minderheitsregierung aufgefordert und am 2. April offiziell vereidigt. Die neue Regierung steht allerdings auf tönernen Füßen, nachdem Montenegro jede Zusammenarbeit mit der drittplazierten Chega ausgeschlossen hatte. Dabei konnte sich der neue Premier zwar auf den Rückhalt von Präsident de Sousa stützen, der zuvor angekündigt hatte, gegen jede Regierungsbeteiligung der rechten Chega das „ihm Mögliche“ zu tun, doch dürfte Montenegro es nun schwer finden, eine nötige Parlamentsmehrheit für die Haushaltspläne seiner Regierung zu finden. Chega-Chef Ventura kündigte an, gegen Montenegros Entwürfe zu stimmen, sollten mit seiner Fraktion keine Absprachen getroffen werden. Montenegro kündigte ein umfangreiches Programm aus Steuersenkungen und Ausgabenerhöhungen für Polizei, Schul- und Gesundheitswesen an. Inwieweit er diese Projekte umsetzen kann, bleibt aber fraglich. In der Vergangenheit hatten mangelnde Mehrheiten bei Abstimmungen über Budgetfragen stets zu Neuwahlen geführt. Das dürfte auch dieses Mal nicht anders sein, zumal eine Mehrheit gegen die Chega für die Konservativen kaum zu verwirklichen ist, sofern die Möglichkeit einer großen Koalition ausgeschlossen wird. Anzeichen für eine derartige Lösung liegen allerdings nicht vor. (fha)