© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/24 / 05. April 2024

Millionen Koffer sind gepackt
Italien: Roms Kampf gegen die illegale Migration ist kein Sprint, sondern ein Marathon
Fabio Collovati

Lampedusa, die kleine italienische Insel im Herzen des Mittelmeers vor der Küste des italienischen Festlandes, ist zum Synonym der gescheiterten europäischen Migrationspolitik geworden. Zuletzt hatten die 6.500 Einwohner eine kurze Atempause. Doch die Zahlen aus der vorigen Woche zeigen, daß die Migrationskrise nicht besiegt ist, im Gegenteil. Allein am vergangenen Wochenende kamen mehr als 1.700 Bootsflüchtlinge aus Afrika an. Karfreitag rettete die italienische Küstenwache 44 Migranten, die Schiffbruch vor Lampedusa erlitten hatten.  Drei Migranten und ein neugeborenes Mädchen wurden als vermißt gemeldet. 

Breite Kritik an Melonis Kooperation mit General Haftar

Kurz zuvor weilte die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni mit allerlei EU-Prominenz in Ägypten, um weitere Abkommen mit afrikanischen Ländern zu unterzeichnen, die die Migration eindämmen sollen. Mehr als sieben Milliarden Euro läßt sich die EU das Ganze kosten. „Mein Ziel ist, in Afrika zu arbeiten und die Abfahrten in Afrika zu stoppen. Dazu gehört die Möglichkeit zu erwägen, Hotspots in Afrika einzurichten, um dort zu entscheiden, wer das Recht und wer nicht das Recht hat, nach Europa zu kommen“, sagte Meloni wiederholt. 

Doch ob ihre bisherige Politik wirklich erfolgreich ist, läßt sich derzeit schwer sagen. Sicher, auf der einen Seite hat sich der Migrationsdruck zumindest temporär von Lampedusa wegbewegt. Auf der anderen Seite verlangsamen sich die Zuwanderungsströme nach Europa nicht. Nach dem jüngsten Bericht der europäischen Agentur Frontex haben diese sich auf eine noch tödlichere Route verlagert, nämlich von der afrikanischen Küste hinauf zu den Kanarischen Inseln.  „Vergangenes  Jahr war die Elfenbeinküste an der Spitze, in diesem Jahr ist sie fast auf null gesunken“, sagte der italienische Innenminister Matteo Piantedosi kürzlich: „Dies ist der Initiative zu verdanken, die wir ins Leben gerufen haben und die Kontrollpunkte für die Grenzen geschaffen hat.“ 

Doch es gibt Experten, die die Flüchtlingsbewegung mit einem reißenden Strom vergleichen. Errichtet man einen Staudamm an einer Stelle, bahnen sich die Massen an anderer Stelle ihren Weg. 

Allein im Sudan sollen sieben Millionen Menschen auf ihre Auswanderung warten. Durch die verschiedenen Abkommen haben sich die Probleme teilweise verlängert und kehren auch wieder zurück. Nachdem Meloni einen durchaus kostspieligen Deal mit Tunesien eingefädelt hatte, gehen nun die Schlepper wieder verstärkt von Libyen aus in See. 

So trafen sich im vergangenen Jahr Meloni und Außenminister Antonio Tajani mit Khalifa Haf-tar, dem Befehlshaber der in Tobruk stationierten Libyschen Nationalarmee (LNA), in Rom, um die Migrationsströme aus dem nordafrikanischen Land nach Italien zu erörtern.  Auch Innenminister Matteo Piantedosi reiste kürzlich nach Benghazi, um der Familie Haftar seine Anerkennung auszusprechen, und lobte die Rolle der LNA „bei der Bekämpfung von Terrorismus und Extremismus und für ihre bedeutenden Anstrengungen zur Reduzierung der illegalen Einwanderung“. Bald darauf begannen neue Schnellboote der sogenannten Tariq-Ben-Zeyad-Brigade unter der Führung von Haftars Sohn Saddam mit der Verfolgung von Migrantenbooten, die Libyen in Richtung Italien verließen.

Auch vereitelten libysche Sicherheitskräfte nach Angaben des Onlinedienstes Migrant Rescue Watch vergangene Woche einen Bootsüberfahrtsversuch im Gebiet Shatt al-Sha‘ar und nahmen 81 undokumentierte Migranten bangladeschischer und ägyptischer Staatsangehörigkeit fest. Unter der Gruppe befanden sich laut Migrant Recue Watch auch Kinder unter 15 Jahren. Alle seien bis zur Benachrichtigung der Abteilung für die Bekämpfung der illegalen Migration (DCIM) an das Sicherheitsdirektorat von Tobruk weitergeleitet worden.

Vor kurzem hatte die DCIM, Außenstelle Tobruk, bekanntgegeben, daß im Jahr 2023 7.706 irreguläre Migranten aus der Stadt abgeschoben worden seien. Darunter 5.292 Personen aus dem Sudan, 1.045 Ägypter, 510 Pakistaner, 481 Tschadier, 193 aus Bangladesch, 104 Syrer und 70 Nigerianer sowie fünf Jemeniten, vier Ghanaer, drei Inder, ein Tunesier, ein Äthiopier und ein Eritreer.

Gerichte werfen Meloni immer wieder Steine in den Weg

Melonis Regierung versucht sich in Härte, greift teilweise gegen selbsternannte Hilfsorganisationen rigoros durch und erregt dadurch Unmut. Vor rund drei Wochen meldeten sich mehrere zivile „Seenot-retter“ mit einer flammenden Anklage zu Wort. Rom habe drei unter deutscher Flagge fahrende NGO-Rettungsschiffe blockiert und sie zur Umkehr gezwungen. Vorausgegangen waren Absprachen, auch finanzieller Art, zwischen Italien und Libyen. 

Kürzlich bestätigte auch der Kassationsgerichtshof, daß Libyen kein sicheres Land sei und die Rückführung von Migranten dorthin ein Verbrechen darstelle, da ein hohes Risiko bestehe, unmenschliche und erniedrigende Behandlung zu erleiden. Zudem wurden Zweifel an der Legitimität der libyschen Küstenwache geäußert. 

Italiens Regierungschefin hat sich unterdessen wohl darauf eingestellt, daß ihr ein Marathon und kein Sprint bevorsteht. Angesprochen, ob sie die bisher abgeschlossenen Abkommen für ausreichend erachtet, antwortete sie: „Wenn Sie mich fragen, ob ich zufrieden bin, sage ich nein. Aber wenn sie mich fragen, ob ich davon ausgehe, daß ich am Ende der Legislaturperiode zufrieden sein werde, dann sage ich Ihnen: Das ist genau das, an dem ich arbeite.“ Italienische Medien berichteten in den vergangenen Tagen, daß Meloni und ihre Verbündeten auf europäischer Ebene Abkommen mit Marokko, Senegal, Mauretanien und Gambia anstrebten.

Einen Erfolg hat Meloni allerdings schon zu verbuchen. Angaben der Agentur Ansa zufolge veröffentlichte die Präfektur von Rom die Ausschreibungen für drei italienische Migrantenzentren in Albanien, die im Rahmen einer Vereinbarung zwischen Meloni und ihrem albanischen Amtskollegen Edi Rama vereinbart worden waren. Die Bekanntmachung beziehe sich auf zwei Hotspots für Migranten und ein Zentrum zur Aufnahme von Migranten, die auf ihre Rückführung warten, mit Gesamtkosten von fast 34 Millionen Euro pro Jahr. Laut Ansa sollen die Zentren bis zum 20. Mai in Betrieb genommen werden.

 Das Abkommen, das im November unterzeichnet wurde, sieht die Aufnahme von bis zu 3.000 Migranten und Flüchtlingen vor, die von italienischen Schiffen pro Monat gerettet werden. Ältere Menschen, Kinder oder Schwangere und Migranten, die von NGO-geführten Schiffen gerettet wurden, sowie Menschen, die direkt auf italienischem Boden landen, sind von der Vereinbarung ausgeschlossen.


Fotos: Edi Rama (l.) und Giorgia Meloni: Einig über Migrantenzentren in Albanien, Mit Hilfe der NGO „Mediterranea Saving Humans“: Freude über die Ankunft in Europa