Bei den Besprechungen im Corona-Krisenstab des Robert-Koch-Institutes (RKI) ging es um das Schicksal der Geschäftsleute, der Kinder, der Pflegeheim-Bewohner – kurz: um jeden Einwohner Deutschlands. Folglich gehen die Inhalte der Sitzungen aufgrund der bis heute nachwirkenden Folgen der „Pandemie-Politik“ auch alle etwas an. Doch was die Experten dort festhielten, sollte die Öffentlichkeit nie erfahren.
Daß die Protokolle der Sitzungen nun vom Internetportal „Multipolar“ freigeklagt werden mußten, scheint dafür zu sprechen, daß der Staat Entscheidungswege aus den Corona-Jahren im verborgenen belassen wollte. Und daß Tausende Stellen geschwärzt wurden – vor allem, wenn es um die Impfstoffe geht –, scheint dem Persönlichkeitsschutz zu widersprechen, mit dem Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) die Unkenntlichmachungen zunächst begründete. Jetzt ist er zurückgerudert, aber wann und ob das RKI welche Schwärzungen zurücknimmt, bleibt unklar.
Das Wort „Impfpflicht“ ist auf den rund 2.000 Seiten bisher nur einmal in einem banalen Zusammenhang zu finden. Dabei beherrschte die Debatte um die Zwangsvakzinierung monatelang die Öffentlichkeit. Es ist kaum vorstellbar, daß dies in dem Gremium anders war.
Ignorierte die Bundesregierung bewußt wissenschaftlichen Rat?
Eine gründliche Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen in einer Enquete-Kommission oder gar einem Untersuchungsausschuß lehnt die Bundesregierung ab. Mit der Veröffentlichung der RKI-Protokolle hat sie nun jedoch gegen ihren Willen und ohne ihre Kontrolle begonnen. Einige Journalisten und Privatleute durchforsten die Dokumente, bringen Ungeheuerlichkeiten zutage und verbreiten sie in den sozialen Netzwerken. Die Deutungshoheit der Politik, von der Regierung ausgewählter Wissenschaftler und der meisten Medien über den angeblichen Gesundheitsschutz der Corona-Maßnahmen geht verloren.
Lauterbach möchte die Debatte darüber mit dem bisher vor allem aus totalitären Staaten bekannten Argument abwürgen, es handele sich um die „Einmischung fremder Regierungen“, die „Verschwörungstheorien in sozialen Medien entstehen lassen“ wollten. Indes: Keine der von der JUNGEN FREIHEIT angefragten Behörden konnte oder wollte die Verschwörungstheorie des Politikers bestätigen – nicht einmal sein eigenes Gesundheitsministerium und auch nicht der Verfassungsschutz.
Unterstützung erhält Lauterbach von einem Verbündeten aus den Corona-Jahren. Der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen spricht im Zusammenhang mit den RKI-Protokollen „von wahrheitswidrigen Gerüchten“, die „Ergebnis der Einflußnahme ausländischer Nachrichtendienste ist, um unsere Gesellschaft vor dem Hintergrund von Rußlands Krieg gegen die Ukraine weiter zu spalten und Politik handlungsunfähig zu machen“. Ob es mit diesem Narrativ gelingt, eine Aufklärung dessen, was mehr als zwei Jahre in Deutschland geschah, zu verhindern?
Im Kern sagen die Dokumente vor allem eines: Die Bundesregierungen sowohl unter Angela Merkel (CDU) als auch unter Olaf Scholz (SPD) und die Ministerpräsidentenkonferenzen handelten gegen die Erkenntnisse des Experten-Gremiums. Sie wußten, daß Lockdowns „schwerere Konsequenzen als Covid selbst“ hatten. Sie wußten, daß FFP2-Masken nicht gegen die Übertragung des Virus schützten. Sie wußten, daß Schulschließungen nicht zur Eindämmung der Krankheitswelle beitrugen. Sie wußten, daß die meisten mit und nicht an Corona starben. Sie wußten, daß „normale Grippewellen“ tödlicher sind als die sogenannte Pandemie – alles festgehalten in den Protokollen. Und sie wußten vermutlich auch, daß die Impfstoffe weder vor passiver noch vor aktiver Ansteckung schützten. Das hat der weltweit anerkannte Virologe Klaus Stöhr jetzt zu den Erkenntnissen aus den Dokumenten ergänzt.
Je länger die massive Einschränkung der Grundrechte zurückliegt, um so deutlicher wird, daß die Kritiker der Corona-Politik von Anfang an richtiglagen. Doch sie wurden vom Staat bekämpft, friedliche Demonstranten niedergeprügelt, Wohnungen aufgebrochen, in den Menschen zusammen kochten, Jugendliche durch Parks gejagt, weil sie sich umarmt hatten – und sie wurden als rechtsextrem bezeichnet.
Die Papiere zeigen, wie ein Viertel des Landes geächtet werden konnte
Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang (CDU) führte noch unter Merkel und Innenminister Horst Seehofer (CSU) die neue Kategorie „Delegitimierung des Staates“ ein. Wer die Zwangsmaßnahmen in Frage stellte, war damit ab 2021 ein Verfassungsfeind. Ausdrücklich erweiterte Haldenwang den Begriff damals schon auf Kritiker der Klimapolitik. Abweichende Meinungen sollen generell sanktioniert werden. Die waren jedoch im RKI-Krisenstab sogar in der Mehrheit. Nur durfte das nicht nach außen dringen.
Beispiel Schulschließungen: Am 4. Dezember 2020 sprach sich das Gremium dagegen aus. An den Bildungseinrichtungen werde das Infektionsgeschehen nicht vorangetrieben, heißt es im Protokoll. Grundlage dafür war die Analyse der Lage aus anderen Staaten. Denn für Deutschland erhob niemand belastbare Daten – was sich bis zum Ende der Grundrechtseinschränkungen nicht nennenswert ändern sollte. Nur fünf Tage später hieß es im selben Gremium plötzlich, das Ausmaß der Kontaktbeschränkungen „reiche nicht aus“, um die Fallzahlen einzudämmen. Es müßten auch die Schulen geschlossen werden.
Wer gab den Ausschlag für diese 180-Grad-Wende? Das wird aus den Protokollen nicht klar, weil Namen geschwärzt sind. An einer Stelle heißt es: Die erhöhte „Risikobewertung wird öffentlich, sobald (Name unkenntlich gemacht) ein Signal dafür gibt“. Daß die Schulschließungen trotzdem nicht der wirklichen Meinung der Teilnehmer entsprachen, machten die Experten kurioserweise sofort im nächsten Satz mit einem eklatanten Widerspruch klar: „Schulen sind nicht das Mittel, um die Pandemie einzudämmen, das zeigen auch andere Länder.“
Der von Medien und Politik hofierte Virologe Christian Drosten verkündete einen Tag darauf, am 10. Dezember, einen „signifikanten Effekt von Schulschließungen“. Da hatten Merkel und die Ministerpräsidenten soeben beschlossen, eine halbe Woche später zum zweiten Mal in jenem Jahr alle Kitas und Bildungseinrichtungen dichtzumachen. Die Worte Drostens dienten als Geleitschutz für die folgenreiche Entscheidung, die Hunderttausende Schüler bis heute aus der Bahn geworfen hat. Schon zu diesem Zeitpunkt litt laut einer Studie jedes dritte Kind unter psychischen Störungen der ersten Schulschließung im Frühjahr 2020.
Beispiel Lockdowns: Am 16. Dezember 2020 hielt der RKI-Krisenstab fest: „Lockdowns haben zum Teil schwerere Konsequenzen als Covid selbst.“ Die Gaststätten mußten da schon seit dem „Lockdown light“ vom 2. November geschlossen bleiben. Am Tag, als die Experten ihre Einschätzung abgaben, begann der zweite harte Lockdown mit Ausgangssperren, Schließung des Einzelhandels, Kontaktverboten usw. Zunächst sollte er nur bis Januar dauern, wie Merkel verkündete. Dann wurde die Abriegelung eines ganzen Landes schrittweise immer weiter verlängert, bis er im Mai 2021 endete.
Beispiel Ausgrenzung Ungeimpfter: Im März 2021 hieß es im RKI-Krisenstab dazu, solche Maßnahmen seien „fachlich nicht begründbar“. Doch am 24. November 2021 führte die Politik die 3G-Regel ein, wonach nur Geimpfte, Getestete und Genesene weiterhin am öffentlichen Leben teilnehmen durften. Kurz darauf wurden auch die negativ Getesteten ausgeschlossen; es galt 2G. Diese in der Geschichte der Bundesrepublik erstmalig praktizierte Ächtung einer Bevölkerungsgruppe von rund 25 Prozent dauerte vier Monate an, obwohl es dafür laut den Experten keine Grundlage gab.
Beispiel FFP2-Masken: Die Pflicht zum Tragen dieser Mund-Nasen-Bedeckungen hielten die RKI-Krisenstäbler für falsch. Erstmals stellten sie am 30. Oktober 2020 fest, es gebe „keine Evidenz für die Nutzung von FFP2-Masken außerhalb des Arbeitsschutzes, dies könnte auch für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Bei 13 weiteren Sitzungen untermauerten die Experten diese Ansicht. Trotzdem führten Politiker das Tragen dieser Masken als Pflicht ein. Wer sich dieser widersetzte, erhielt von der zum Teil scharf kontrollierenden Polizei eine Anzeige.
Die Fragen, die die Dokumente nicht beantworten, lauten: Warum haben Bundesregierung und Ministerpräsidenten entgegen den Ratschlägen des direkt dem Gesundheitsministerium unterstellten Robert-Koch-Instituts anders gehandelt? Warum haben sie ein ganzes Land in Quarantäne gesteckt und Schwerkranke in Pflegeheimen ohne Angehörige sterben lassen? Und warum haben sie ihren Bürgern die laut Verfassung unumstößlichen Grundrechte entzogen? Während ein Weimarer Richter, der die Maskenpflicht – zu Recht, wie wir durch die RKI-Protokolle nun wissen – an einer Schule aufhob, im August 2023 mit zwei Jahren Gefängnis und Berufsverbot belegt wurde, müssen die politisch Verantwortlichen keine Sanktionen fürchten.
Das Bundesverfassungsgericht wies noch während der Pandemie alle Klagen gegen die unbegründeten Zwangsmaßnahmen ab, verschleppte sie oder behandelte sie erst gar nicht. Der Verfassungsschutz machte aus Menschen, die aus dem Grundgesetz vorlasen oder es nur hochhielten, Verfassungsfeinde. Der Schutz der Grundrechte, das haben die Corona-Jahre gezeigt, ist von diesen Institutionen trotz anderslautender Namen wohl auch in der Zukunft nicht zu erwarten.