© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 15/24 / 05. April 2024

Richtig, aber nicht so wichtig
Exklusive Insa-Umfrage für die junge freiheit: Eine Mehrheit der Deutschen hält den Verfassungsschutz grundsätzlich für sinnvoll – sieht aber die Gefahr des politischen Mißbrauchs
Henning Hoffgard

Bisher waren die Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz eher zurückgezogen arbeitende, in sich gekehrte Beamte, die das Licht der Öffentlichkeit scheuten. Wurde nicht gerade ein neuer Verfassungsschutzbericht vorgestellt, hielten sich die Verfassungsschützer an einen alten Rat von Geheimdienstlern: nur ja nicht zu viel Aufhebens drum machen. Bisher hießen die Chefs des Verfassungsschutzes allerdings auch Richard Meier, Heinz Fromm oder Peter Frisch. Der jetzige heißt Thomas Haldenwang. Und der sucht wie kein anderer vor ihm das Licht der Öffentlichkeit. 

Vielleicht auch deswegen, weil die ihm mittlerweile extrem skeptisch gegenübersteht. Spätestens mit seinen Äußerungen, seine Behörde nehme auch Meinungsäußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“ ins Visier, wenn diese das „Staatswohl“ gefährdeten, zog Haldenwang scharfe Kritik auf sich. Insbesondere weil seine Dienstvorgesetzte Innenministerin Nancy Faeser (SPD) eifrig sekundierte: „Diejenigen, die den Staat verhöhnen, müssen es mit einem starken Staat zu tun bekommen.“ Denn: Den Staat zu verhöhnen ist nicht verboten und war bis zur Erfindung der verfassungsschutzrelevanten „Delegitimierung des Staates“ auch keine Kernaufgabe des Verfassungsschutzes. Also macht Haldenwang das, was bisher kaum einer seiner Vorgänger machte: Er griff zur Feder. In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung rechtfertigt sich der Behördenleiter. „Um eines unmißverständlich klarzustellen: In Deutschland herrscht Meinungsfreiheit – und das ist gut so!“ Warum das ein Präsident einer Bundesbehörde klarstellen muß, liegt am dicken „aber dennoch“, das postwendend folgt: „Auch die Meinungsfreiheit hat Grenzen.“ Auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und „unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang“ sein, schreibt Haldenwang. Sofern auch nicht justitiable Äußerungen darauf ausgerichtet seien, „die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen“, müsse der Verfassungsschutz hinschauen. 

Bei der Wahl zählt der Verfassungsschutz nicht

Und die Meßlatte hängt tief. Es reicht schon, die „Menschenwürde von Angehörigen bestimmter gesellschaftlicher Gruppen oder politischer Akteure“ zu verletzen. Auch wenn „zulässige Kritik und demokratischer Protest in Teilen umschlägt, eskaliert und zu aggressiver, systematischer Delegitimierung staatlichen Handelns wird“, müsse der Inlandsgeheimdienst schon mal genauer hinschauen. Die Kritik an seiner – verglichen mit allen seinen Vorgängern – opulenten Öffentlichkeitsarbeit kann er in seinem Gastbeitrag nicht nachvollziehen. „Denn das Aufklären der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen und Gefahren für die Demokratie sowie über diesbezügliche Verdachtsfälle, um schon unterhalb von Verboten eine informierte politische Auseinandersetzung zu ermöglichen, ist Bestandteil unseres gesetzlichen Auftrags als Frühwarnsystem.“ Seine Behörde sei grundsätzlich auch politisch neutral, betont Haldenwang und schiebt nach: „Aber nicht gegenüber denen, die gegen unsere freiheitliche Demokratie agieren und agitieren.“

Doch wie sehen eigentlich die Bürger die Arbeit des Verfassungsschutzes? Und welche Rolle spielen seine Einschätzungen für die Wahlentscheidung? Das Insa-Meinungsforschungsinstitut befragte dazu im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT in den vergangenen Tagen mehr als 2.000 repräsentativ ausgewählte Bürger. Und die Ergebnisse überraschen: 77 Prozent der Deutschen halten es für sehr wichtig oder eher wichtig, daß eine Institution wie der Verfassungsschutz existiert. Lediglich 13 Prozent finden die Behörde unwichtig oder eher unwichtig. 

Dabei geht die Zustimmung quer durch die Altersschichten – mit zunehmender Tendenz. Finden 70 Prozent der 18- bis 29jährigen die Behörde wichtig, sind es bei den über 70jährigen 84 Prozent. Lediglich bei den Parteianhängern gibt es eine auffällige Abweichung. Während bei allen anderen Parteianhängern 71 Prozent (BSW) bis 93 Prozent (SPD) den Verfassungsschutz wichtig finden, sind es bei der AfD 57 Prozent. Doch auch das ist eine Mehrheit. Unterschiede zeigen sich innerhalb der politischen Selbstverortung der Befragten. Personen, die sich selbst rechts der Mitte einsortieren, erachten die Arbeit des Verfassungsschutzes seltener als wichtig (69 Prozent) als Personen der Mitte (83 Prozent) oder des linken Spektrums (85 Prozent).

Anders sieht es schon aus, wenn die Bürger gefragt werden, ob eine Einstufung als extremistisch durch die Haldenwang-Behörde Einfluß auf ihre eigene Wahlentscheidung habe. 43 Prozent der Befragten gaben an, eine Extremismus-Einstufung würde die Wahlwahrscheinlichkeit deutlich oder eher senken. 18 Prozent sagten, es würde sie sogar bestärken, eine Partei zu wählen, wenn der Inlandsgeheimdienst sie als extremistisch brandmarkt. 25 gaben an, dies habe keinen Einfluß auf die eigene Wahlentscheidung. Wenig überraschend geben vor allem AfD-Anhänger wenig auf die Meinung von Haldenwang und Co. 51 Prozent von ihnen gaben an, eine Extremismus-Einstufung ändere nichts an der Wahlentscheidung, 28 Prozent sehen sich dadurch sogar bestärkt. 

Bemerkenswert ist das Ergebnis bei den FDP-Wählern. Hier gaben 32 Prozent an – Rekordwert unter allen Parteisympathisanten – ein Extremismus-Stempel erhöhe die Wahrscheinlichkeit, eine Partei zu wählen. Bei den anderen Parteien liegt dieser Wert bei 14 Prozent (BSW) bis 22 Prozent (Union). Auch zwischen Ost- und Westdeutschen gibt es in der Frage signifikante Unterscheide. Auch wenn beide Gruppen mit relativer Mehrheit angeben, eine solche Einstufung werde ihre Wahlwahrscheinlichkeit senken, ist dieser Anteil bei Einwohnern der östlichen Bundesländer mit 37 Prozent geringer als bei den Westdeutschen (45 Prozent). Entsprechend geben Ostdeutsche häufiger an, daß eine solche Einstufung keine Auswirkungen hätte (Ost: 29 Prozent / West: 24 Prozent), oder daß dies ihre Wahlwahrscheinlichkeit erhöhen würde (Ost: 23 Prozent / West: 17 Prozent). 

Nur eine Wählergruppe traut der Haldenwang-Behörde

Abweichungen gibt es auch bei der politischen Selbstverortung der Befragten. Dabei gilt: Je politisch rechter sich eine Person einschätzt, desto weniger interessiert sie sich für den Verfassungsschutz. 39 Prozent der Befragten, die sich rechts der Mitte einordnen, ist eine Extremismuseinstufung durch die Behörden egal. Bei Linken liegt dieser Wert bei 18 Prozent. Dieser Verlust der Deutungshoheit über politische Debatten, die Haldenwang selbst immer wieder beklagte, schlug sich auch in einer anderen Insa-Umfrage nieder, über die zuerst das Nachrichtenportal „Nius“ berichtet hatte. 

Demnach  bewertet eine Mehrheit von 42 Prozent der Deutschen die Arbeit des Verfassungsschutzes als schlecht. 37 Prozent attestieren ihm eine gute Arbeit. Einer der Hauptvorwürfe der AfD gegen die dem Innenministerium unterstellte Behörde trifft dagegen auf fruchtbaren Boden. 48 Prozent der Deutschen waren der Meinung, die Haldenwang-Behörde würde für politische Zwecke Mißbraucht. 31 waren anderer Ansicht. Dies sehen mit einer knappen relativen Mehrheit auch die Anhänger von SPD (43 Prozent) und der Union (41 Prozent) so. Am größten ist der Anteil der Befragten, die glauben, der Verfassungsschutz werde politisch mißbraucht mit 74 Prozent beziehungsweise 62 Prozent bei Wählern von AfD und FDP. 

Einzig die Anhängerschaft einer Partei glaubt mit einer knappen relativen Mehrheit von 45 Prozent, der Verfassungsschutz werde nicht instrumentalisiert: die der Grünen.

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