© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Der Flaneur
Zwei Freunde des Bargelds
Claus-M. Wolfschlag

An beiden Supermarktkassen herrscht Stau. Jeweils etwa zehn Kunden stehen in langen Schlangen an, und es geht nur schleppend voran. Das ist der Kollateralschaden dafür, zu Penny gegangen zu sein. Und das nur deshalb, weil bei Lidl die Pfandrückgabe-Scanner so oft verklebt sind und deshalb nicht richtig funktionieren. 

Ich stelle mich bei Schlange 1 an und höre, wie an der anderen Kasse die Kassiererin mit einem Kunden zu streiten scheint. Offenbar läßt er seine Einkäufe in einer Tüte bei ihr zurück, um noch einmal in den Markt zurückzugehen. Es ist ein Schwarzer mit der Flagge Somalias auf seiner Baseballkappe, der bald mit zwei Bierdosen zurückkehrt und dann jeden in der langen Schlange Wartenden anspricht. In kaum verständlichem Englisch fragt er danach, vorgelassen zu werden. 

„I have the money“, verstehe ich. Als er vorne ist, geht der Streit erneut los. Die Kassiererin droht, daß sie die Polizei hole. Der Kassierer meiner Kasse schaltet sich ein und nimmt die Einkaufstüte des Schwarzen an sich. Der geht schließlich nur mit den zwei Bierdosen heraus, ohne sich um sein Wechselgeld zu kümmern. Er hatte der Kassiererin einen großen Haufen an 1-Cent-Stücken auf den Tresen geknallt, den sie nun mühsam zählt.

Nur einem waren Widerworte zuzutrauen: ebenfalls ein Schwarzer, groß, mit dicken Oberarmen.

So stehen die anderen Kunden also wartend in ihrer Schlange. Jeder hatte ihn vorgelassen. Schließlich machte er einen seltsamen Eindruck. So bilden sich neue Hierarchien und Privilegien. Auch ich hätte ihm nachgegeben, wenn er an meiner Kasse gefragt hätte. Hätte ich abschätzen können, ob er aggressiv wird? Psychisch krank, Pech gehabt, heißt es dann. Kollateralschaden für die bunte Gesellschaft? Ohne mich. 

Nur einen schätze ich so ein, daß er nicht mitgespielt hätte: Der große Schwarze vor mir mit dem Arnold Schwarzenegger-Bizeps, den Oberkörper nur mit einem dunklen Fitness-Trägershirt bekleidet, der beim Bezahlen wortlos, grimmig ein Bündel 100er-Scheine aus der Hosentasche zieht und davon einen lässig dem Kassier hinwirft.


Vom Ziel haben viele Menschen einen Begriff, nur möchten sie es gerne schlendernd erreichen.

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)