Heinrich Hannover (1925–2023) hat als Strafverteidiger in politischen Prozessen die Rechtsgeschichte der Bonner Republik mitgeschrieben. Von durchaus bürgerlicher Herkunft, als Sohn eines deutschnationalen Chirurgen, der das Städtische Krankenhaus in Anklam leitete, als Kriegsfreiwilliger, der in Italien und an der zuletzt in Schlesien und Sachsen verlaufenden Ostfront kämpfte, war es ihm nicht an der Wiege gesungen, KPD-Mitglieder, Ostermarschierer, Demonstranten gegen den Vietnamkrieg, militante APO- und terroristische Aktivisten aus dem Baader-Meinhof-Milieu vor Gericht zu vertreten. Zumal, wie der Rechtstheoretiker Ulrich K. Preuß in einer Würdigung von Hannovers Lebenswerk anmerkt, er schon deshalb „keine Sympathien für Kommunisten“ hegte, weil seine Eltern vor den sowjetischen „Befreiern“ in den Freitod geflüchtet waren und Moskaus SED-Satrapen das ihm vererbte Haus in Anklam enteignet hatten (Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, 1/2024).
Doch mehr als rasch verwehenden Tagesruhm eines unbequemen „Wächters der Rechte politischer Minderheiten und Aufsässigen im Restaurationsprozeß“ des Adenauer-Staates errang sich Hannover mit dem gemeinsam mit der Mutter seiner sechs Kinder, der Historikerin Elisabeth Drück, verfaßten zeitgeschichtlichen Klassiker „Politische Justiz 1918–1933“ (1966). Diese Monographie habe eine ganze Generation, nicht nur von Jura-Studenten, über die Gründe des Niedergangs der Weimarer Republik aufgeklärt, sondern sie für Schwächen der Bonner Demokratie, an deren Funktionseliten die Entnazifizierung weitgehend spurlos vorbeigegangen sei, sensibilisiert.
Die Kernbotschaft des Hannover-Buches über die auf dem rechten Auge blinde Weimarer „Klassenjustiz“ lautet für Preuß, daß ein Rechtsstaat nur dann das menschliche Urbedürfnis nach Sicherheit erfüllt, wenn er Vertrauen in die Beständigkeit des Rechts und dessen unparteiische Anwendung durch unabhängige Richter schafft. Wenn die Gerichte parteiisch sind und keine weltliche Macht mehr Vertrauen in die Gerechtigkeit biete, dann gerate die auch auf der Existenz einer integeren Rechtsprechung beruhende Stabilität moderner Gesellschaften ins Wanken. Ungeachtet aller besonderen Belastungsfaktoren, der Kriegsniederlage von 1918, der wirtschaftlichen Depression, der latenten Bürgerkriegslage sowie einer im Kaiserreich sozialisierten Beamten- und Richterschaft, die fixiert war auf den über den Parteien und der Verfassung stehenden, allein Ordnung und Sicherheit garantierenden „Staat“, sind die von Heinrich und Elisabeth Hannover exemplarisch aus dem Versagen der Weimarer Justiz abgeleiteten Lehren für Preuß unverändert aktuell.
Denn kein Land mit liberal-demokratischer Verfassung könne sich seiner nach 1945 erworbenen Freiheiten sicher sein. Die Gefahr einer Politisierung der Justiz, der Erosion des Rechtsstaats und seiner inneren Transformation hin zum „demo-autoritären System“, will der linksliberale Preuß jedoch nur in „einigen europäischen Ländern“ wie Ungarn und Polen, nicht aber im rot-grünen Ampel-Deutschland erkennen.
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