© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

„Ein Reif aus Dreck und Letten“
Vor 175 Jahren wies der preußische König Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone zurück. Aus den Händen eines Parlaments wollte er sie nicht entgegennehmen
Erik Lommatzsch

Am 3. April 1849 offerierte eine Deputation von knapp drei Dutzend Abgeordneten der Frankfurter Nationalversammlung, angeführt durch den Parlamentspräsidenten Eduard Simson, dem preußischen König Friedrich Wilhelm IV. die deutsche Kaiserkrone. Dieser lehnte jedoch ab. Er beschied, er würde „Deutschlands Einheit nicht aufrichten“ und sich der „Verletzung heiliger Rechte“ schuldig machen, würde er ohne Einverständnis der Fürsten und der Freien Städte eine „Entschließung fassen, welche für sie und die von ihnen regierten deutschen Stämme die entschiedensten Folgen“ hätte.

Für die kleindeutsche Lösung kam Preußen eine Führungsposition zu

Im nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Schriftverkehr fand der Hohenzollernmonarch Formulierungen, die seine Sicht auf die Dinge wesentlich klarer hervortreten lassen. So etwa schrieb er an seinen Vertrauten Christian Karl Josias von  Bunsen, die angebotene Kaiserkrone sei „verunehrt“ mit dem „Ludergeruch der Revolution von 1848“. Als Zumutung empfand er es, sich als „legitimer König von Gottes Gnaden“ einen solchen „imaginären Reif aus Dreck und Letten [Ton] gebacken“ geben zu lassen. Die Frankfurter Reichsverfassung vom 28. März 1849, deren konstitutiver Bestandteil das Kaisertum war, empfand er als den Versuch, ihm ein „Hundehalsband“ umzuschnallen, das ihn „unauflöslich an die Volkssouveränität fesselte“. Besonders drastisch äußerte sich Friedrich Wilhelm IV. gegenüber seiner Schwester, der Frau des russischen Zaren. Von der „Frankfurter Mensch-Esel-Hund-Schweine-und-Katzen-Deputation“ ist da die Rede. Diese sei von ihm abgefertigt worden, im Sinne von: „Ihr habt mir ganz und gar nicht das Recht, das Allermindeste zu bieten. Bitten, so viel ihr wollt, geben – nein – denn dazu müßtet ihr im Besitz von irgendetwas zu Gebendem sein, und das ist nicht der Fall. Darum seid so gut und wacht auf. Wenn eure Besoffenheit es zuläßt.“ Mit diesem Selbstverständnis war es dem König unmöglich, aus der Hand der Parlamentarier eine Kaiserkrone entgegenzunehmen. Die endgültige Ablehnung von Krone und Verfassung durch Friedrich Wilhelm IV. erfolgte am 28. April 1849.

Im Zuge der im Frühjahr 1848 gewaltsam ausgebrochenen revolutionären Bestrebungen, war am 18. Mai in der Frankfurter Paulskirche die gewählte Nationalversammlung zusammengetreten, das erste gesamtdeutsche Parlament. Eine provisorische Zentralgewalt wurde etabliert und eine Verfassung in Angriff genommen. Ziel war die Schaffung eines geeinten deutschen Nationalstaates.

Zunächst war eine Verständigung über die Grundrechte erfolgt, die Beratungen über die Organisation des Reiches, die am 19. Oktober begannen, waren geprägt von den laufenden politischen Entwicklungen. So stand spätestens mit der oktroyierten Verfassung des Kaiserreichs Österreich vom 4. März 1849 fest, daß Österreich nicht Bestandteil des entstehenden Nationalstaates werden würde. Die großdeutsche Lösung war daran gescheitert, daß sich das Habsburgerreich staatsrechtlich von seinen nichtdeutschen, reichsfremden Teilen hätte trennen müssen. Forciert durch den österreichischen Ministerpräsidenten Felix zu Schwarzenberg bestand diesbezüglich allerdings wenig Aufgeschlossenheit. Damit verblieb die kleindeutsche Lösung, womit Preußen eine Führungsposition zukam. Die Nationalversammlung war bestrebt gewesen, durch die Verfassung eine starke Reichsgewalt zu schaffen. Am Ende hatte sich das Prinzip der allgemeinen, gleichen und geheimen Mehrheitswahl durchgesetzt. An der Spitze sollte als Reichsoberhaupt ein „Kaiser der Deutschen“ stehen, dem ein suspensives, also aufschiebendes Vetorecht zugestanden wurde. Die Kaiserwürde sollte erblich sein. Die Parlamentarier wählten den preußische König mit 290 Stimmen bei 248 Enthaltungen.

Nach der Zurückweisung durch Friedrich Wilhelm IV. versuchten Radikaldemokraten noch, eine Annahme der Verfassung gewaltsam zu erzwingen. Die Revolution wurde endgültig niedergeschlagen, zur deutschen Einheit kam es zunächst nicht. Ein weiterer Versuch unter preußischer Führung, die „Erfurter Union“, endete 1850 erfolglos, Rußland und Österreich hatten entsprechenden Druck ausgeübt. Die wirkmächtige Position Österreichs bei der Beendigung der „Erfurter Union“ dient verschiedentlich als Hinweis auf die realpolitische Seite der Entscheidung Friedrich Wilhelms IV., die Kaiserkrone im April 1849 nicht anzunehmen. Wie hätte Österreich darauf reagiert? Zudem hatten sich zwar 28 deutsche Regierungen der Verfassung angeschlossen, nicht jedoch die Königreiche Bayern, Württemberg, Sachsen und Hannover. Auch war die Zahl der Stimmenthaltungen in der Nationalversammlung, mithin die Zahl der Ablehnungen, beträchtlich. 

Mag all dies eine Rolle gespielt haben, so sind die Gründe für die Zurückweisung doch vor allem in der Persönlichkeit des gebildeten, kunstsinnigen, aber zur pragmatischen Regierungsführung nur bedingt fähigen preußischen Königs zu suchen. Rätselhaft gab er sich und erschien wankelmütig. Literarisch-idealisierte Geschichtsbilder dienten ihm als Orientierung. Die nationale Einheit und ein deutsches Kaisertum als Klammer gehörten durchaus zu seinen Bestrebungen, aber vergeben werde die Krone nicht durch Volksvertreter. Derartiges, so der König, „mache ich mit meinesgleichen ab“. 

Geschriebene Verfassung als „papiernen Wisch“ abqualifiziert 

Das Gottesgnadentum war ihm für die Legitimation seiner Herrschaft unabdingbar, gegenüber Ernst Moritz Arndt erklärte er: „Die Revolution ist das Aufheben der göttlichen Ordnung.“ Erzwungene Zugeständnisse infolge der Revolution wie die Verbeugung vor den „Märzgefallenen“ des Jahres 1848 empfand er als zutiefst demütigend. Von ihm ausgehende Signale in Richtung einer Verfassung waren ebenso unfreiwillig, er präferierte ständische  Vorstellungen. Der „Romantiker auf dem Thron“ verstand die geschriebene Verfassung als „papiernen Wisch“ und glaubte an eine quasi natürliche Verbindung von Fürst und Volk. Bunsen mahnte ihn einmal, er solle „die Sprache des Jahrhunderts sprechen“, um nicht als „Alterthumskünstler angesehen zu werden, statt als König und Gesetzgeber des Jahres 1848 oder 1850“.

War an diesem „unzeitgemäßen“ König die Verfassung und das – kleindeutsche – Kaisertum 1849 gescheitert, so verblieb Simson, dem Führer der Deputation, doch die Genugtuung, im zweiten Anlauf eine Kaiserwürde offerieren zu können. Im Dezember 1870 akzeptierte Wilhelm I., und Simson stand wieder an der Spitze der parlamentarischen Abordnung.