Technisch rüsten Schulen in Deutschland immer weiter auf: „Whiteboards“ haben fast flächendeckend die alte Tafel und Kreide ersetzt, und statt mit Füller in Papierhefte schreiben Schüler heute auf Ipads, die sie von der Schule kostenlos gestellt bekommen. Kaum ein Schüler ist heute noch ohne Smartphone, das oft auch während der Schulzeit heimlich genutzt wird. Immerhin flossen mittels der Förderung DigitalPakt Schule rund 6,5 Milliarden Euro an Fördermitteln an die deutschen Schulen. Die Hardware ist also da.
Doch wie sieht es mit der Software aus? Können Schüler mit der Überfülle der Information, die sie aus den Medien geliefert bekommen, umgehen? Eine rhetorische Frage, zugegeben, denn oft können dies auch Erwachsene nicht ausreichend. Beschränkte sich früher das Kapitel Medien meist auf die Aktion „Zeitung in der Schule“, kommen heute die sozialen Medien dazu, die neuen Medien im Internet und die ausufernden Video-Spots, sowie Anwendungen wie ChatGPT. Und damit die Frage: Was kann ich noch glauben?
Da drängt sich die Frage nach dem Unterrichtsfach Medienkompetenz auf. In Berlin und Brandenburg hat dazu die Medienanstalt Berlin-Brandenburg 2019 das Programm „Journalismus macht Schule“ aufgelegt. Dabei gehen waschechte Journalisten von Zeitungen, Radio und Fernsehen an Schulen und veranstalten sogenannte „Werkstattgespräche“. Dabei geht es zum Beispiel darum, wie man professionell für einen Artikel in der Schülerzeitung recherchiert, wie man „Fake News“ erkennt oder was es mit dem Vorwurf der „Lügenpresse“ auf sich hat. Der Journalist erzählt dabei – was die Schüler meist spannend finden – aus seinem Arbeitsalltag und den Schwierigkeiten bei der Recherche. Eine Workshopeinheit beträgt 90 Minuten, Zielgruppe sind meist Klassen ab der Stufe 9. Der Mitbegründer der Initiative, Klaus Ott, spricht von einem Grundproblem: „Von außen ist in der Regel nur das Ergebnis unserer Arbeit sichtbar. Aber nicht, welche und wie viele Schritte es bis zu einer Veröffentlichung sind. Das müssen wir transparent machen!“ Ott spricht dabei auch von der Wichtigkeit des Vertrauens, das Medien manchmal wieder zurückerobern müßten. Er fordert, ein Fach „Medienkunde“ flächendeckend an allen Schulen einzuführen.
Daß das nicht einfach ist, wird klar, wenn man sich die Komplexität des deutschen Schulsystems vor Augen hält. Da wären zum einen die Bildungsministerien der Länder, die für die Finanzierung zuständig sind. Ihnen unterstellt sind die Schulträger. Dann wären da die Landesmedienanstalten, die über Medienpädagogen verfügen, die an Schulen eingesetzt werden können. Und als ob dies nicht genug wäre, sind da noch die Medienkompetenzzentren in den einzelnen Bundesländern, die bei der Medienbildung an Schulen ihr Wörtchen mitzureden haben.
Weil in der Bundesrepublik Deutschland die Schulbildung föderal gehandhabt wird, wird es aller Voraussicht nach auch lange dauern, bis jedes Bundesland mit seiner jeweiligen Bildungspolitik eigene Schritte hinsichtlich Medienbildung plant und umsetzt. So wollte ein Lehrer einer Berliner Oberschule (Name der Redaktion bekannt) einen Journalisten als Leiter für einen dreistündigen Workshop im Bereich „Einordnung Neue Medien im Internet“ gewinnen. Allein die Formalitäten der Workshopkonzeption und der Verträge, die laut Schulamt auf dem Postweg zugestellt werden müssen, nahmen mehr als drei Monate in Anspruch, da das Schulamt derartige extracurriculare Unterrichtseinheiten genauestens prüft. Ob der Workshop tatsächlich zustande kommt, ist derzeit noch unklar. Dem Lehrer ist die Lust auf Schulungen dieser Art wegen des immensen Aufwands erst einmal vergangen.
Nur wenige Lehrkräfte sind im Bereich Soziale Medien geschult
Das vielleicht größte Problem ist die Rekrutierung von geschulten Lehrkräften, die sich im Bereich soziale Medien und neue Medien im Internet auskennen. Für die rund 900 Schulen in Thüringen gibt es beispielsweise derzeit nur zehn Medienpädagogen. Die sind natürlich schon für Monate im voraus ausgebucht.
In Sachsen ist die Medienbildung an den Schulen theoretisch schon recht weit gediehen. „Medienbildung soll in jedem Fach erlebbar und ganz selbstverständlich sein“, führt Susann Meerheim vom Sächsischen Staatsministerium für Kultur aus. „So sollen Schüler zum Beispiel im Fach Deutsch Klasse 7, Gymnasien, Strategien zur Informationsbeschaffung lernen, sich mit journalistischen Texten beschäftigen, dabei journalistische Stilformen kennenlernen und die Anforderung einer Nachricht erfahren.“ Meerheim betont, daß die Medienbildung fester Bestandteil der Lehrkräftebildung ist, außerdem wurde die Medienbildung in den Fachlehrplänen gestärkt. In der Theorie ist Sachsen also vorbildlich. Inwieweit die ehrgeizigen Programme in den Schulen flächendeckend umgesetzt werden, dazu konnte Meerheim allerdings nichts Konkretes sagen. „Wir müssen realistisch sein. Es wird und muß auch nicht gelingen, die gesamte Lehrerschaft digital fit zu machen. Ich denke, es sollte eine gesunde Mischung geben, die Raum läßt für verschiedene digitale Kompetenzgrade“, beschreibt es Meerheim etwas blumig.
Michael Lange, der als Bildungsreferent beim Landesfachverband Medienbildung Brandenburg tätig ist, weist auf die fachintegrative Verankerung der Medienbildung im Rahmenlehrplan Teil B hin. Diese sei „gut gedacht“, so Lange, „führt aber teilweise zu einer Verantwortungsdiffusion. Wo jedes Fach ein bißchen Medienbildung macht, fehlt möglicherweise die Vertiefung, fachunspezifische Themen kommen zu kurz.“ Sein Urteil über Medienbildung in Brandenburg ist geteilt: „Einige Schulen machen hervorragende medienbildnerische Arbeit, bei anderen kommt die Medienarbeit zu kurz“, so sein Fazit. Lange bemängelt die fehlende Fortbildungspflicht bei Lehrkräften in puncto Medienbildung. „Wer sich nicht fortbilden will, muß es nicht“, so Lange. Er fordert daher eine Art Medienbildungsexperten an jeder Schule als Schnittstelle zum Träger. Die Technik, die für viel Geld an den Schulen beschafft wurde, kann laut Lange nur wenig eingesetzt werden, weil Wartung und Installation nicht entsprechend mitgedacht wurden.
Genau den gleichen Befund macht Stoyan Radoslavov vom Institut für Medienpädagogik in Berlin. Das Institut beschäftigt in Deutschland rund 120 Medienpädagogen, die schulisch und außerschulisch arbeiten. „Viele Schulen sind mit der Technik überfordert“, so Radoslavov, „ganz davon abgesehen, daß einige Schulen noch nicht einmal über WLAN verfügen.“ Das Lehramtsstudium bereite seiner Meinung nach nur mangelhaft auf Medienbildung vor. Radoslavov sieht „gewaltige Lücken“ in der Medienbildungsarbeit an Schulen. „Gerade im Nachmittagsbereich, wo man auf Schüler individuell eingehen könnte und im Beziehungsbereich arbeiten könnte, mangelt es schlicht und einfach an Personal.“
Und was sagt ChatGPT zum Stand des Umgangs mit künstlicher Intelligenz an deutschen Schulen? „Bis zu meinem letzten Wissenstand im Januar 2022 gab es in Deutschland Anstrengungen, den Umgang mit künstlicher Intelligenz in Schulen zu fördern, aber es kann sein, daß sich die Situation seitdem geändert hat.“ Aha.