© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

GegenAufklärung
Karlheinz Weissmann

Die Ausstellung „Wir ist Zukunft“ des Essener Folkwang-Museums hat ihre Pforten geschlossen. Sie stand schon vor der Eröffnung unter keinem guten Stern. Nachdem bekanntgeworden war, daß Anaïs Duplan, einer der teilnehmenden Künstler, zu den Sympathisanten des israelfeindlichen Netzwerks BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) gehört, hatte es scharfe Proteste gegeben, die dazu führten, daß man seine Exponate zum „Afro-Futurismus“ komplett entfernte; der Katalog mußte entsprechend umgestaltet werden und erschien erst kurz vor Ende der Ausstellung. Wahrscheinlich erklären diese Umstände schon die eher verhaltenen Reaktionen. Wichtiger wäre es aber, auf die konzeptionellen Schwächen des ganzen Projekts hinzuweisen. Auch wer nicht erwartet hatte, hier ein Pendant zu der großen und großartigen Ausstellung „Die Lebensreform“ auf der Darmstädter Mathildenhöhe von 2001 geboten zu bekommen, war enttäuscht durch das Fehlen eines überzeugenden Gesamtansatzes und die Distanzlosigkeit der Verantwortlichen gegenüber ihrem Gegenstand. Zumindest alles, was von links kam, aus dem Geist von ’68 oder dem Umfeld der „Neuen Sozialen Bewegungen“ hervorgegangen war, wurde vollkommen kritiklos gezeigt. Das galt im Hinblick auf die pazifistischen Absurditäten: den nach dem Ersten Weltkrieg entwickelten Plan Bruno Tauts, die Alpen insgesamt mit Stahl-Glas-Konstruktionen zu überbauen, oder das New Babylon der Stelzenstädte des Niederländers Constant. Aber es galt auch für die Erd-Heilungs-Bewegung mit ihrer Hippie-Ideologie und erst recht für die merkwürdige Parareligion des „Klarismus“. Entworfen worden war die von dem Maler Elisàr von Kupffer und gedieh auf dem Boden des Europas der vorletzten Jahrhunderwende als esoterischer Mix aus Selbsterlösung, Theosophie, Vegetarismus und Verklärung der Homosexualität. Die in Essen präsentierten großformatigen Bilder Kupffers, die immer etwas schwül und kitischig wirken und aus dem „Tempel“ stammen, den er seinem Glauben errichtete, liefern immerhin einen gewissen Eindruck von der Zeitatmosphäre, aber vor allem eine Bestätigung für Franz Werfels Einschätzung, daß es „immer die gleiche Geschichte“ ist: „Die Geistesmode von gestern wird zur Massenbanalität von heute, um wie gebrauchte Ware in immer tiefere Schichten zu sinken, bis man sie endlich auf dem obskursten Tandelmarkt verschachert.“

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„Die neben Schulpforten angebrachten Slogans wie ‘atomwaffenfreie Zone’ oder ‘Schule gegen Rassismus’ zeigen, daß es in der Schule nicht mehr um Wissen und Können, sondern um Einstellungen geht. Schüler sollen nicht lernen, das von ihnen Erkannte zu bewerten. Sie sollen unter Umgehung von Kenntnissen Einstellungen von gesellschaftlich aktiven Gruppen übernehmen.“ (Volker Ladenthin, emeritierter Professor der Erziehungswissenschaft)

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Wirklich unterhaltsam ist die sittliche Entrüstung jener Teile der Politischen Klasse, die sich mit Störungen ihrer öffentlichen Auftritte konfrontiert sehen. Vergessen die Zeiten, als man noch jede Dreistigkeit und jede Verbalattacke damit rechtfertigte, der Angegriffene könne wohl „keine Kritik vertragen“ oder sei nicht „dialogfähig“ oder müsse eben aushalten, daß andere anderer Meinung seien. Aber da war man auch noch sicher, daß einem selbst dergleichen nie widerfahren werde und die Schützlinge nie die Hand beißen würden, die sie nährt.

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Es wäre eine lohnende Sache, sich mit der Frage zu befassen, wie die Unterhaltungsindustrie zu welchem Zeitpunkt das Thema „Selbstjustiz“ behandelt. Eine gewisse Konjunktur gibt es immer wegen der latenten Spannung zwischen Recht und Rache, aber doch erkennbare Schwankungen, deren tiefere Ursachen man klären sollte. Momentan scheint sich die in die eigene Hand genommene Vergeltung jedenfalls einer breiten Akzeptanz zu erfreuen, soweit es nicht nur gegen Verbrecher geht, die man jenseits der zuständigen Stellen ihrer Strafe zuführt, sondern in auffälliger Häufung gegen Rassisten, Ausbeuter und Frauenfeinde jeder Art, die liquidiert, aber von Fall zu Fall auch mit verstörend sadistischer Tendenz zu Tode gebracht werden.

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„Wir erleben eine merkwürdige Verkehrung der Positionen: Attackierten vor einem halben Jahrhundert besonders linke Forscher staatliche Schutzmaßnahmen wie den ‘Radikalenerlaß’ (es war weder ein ‘Erlaß’ noch ein Beschluß gegen ‘Radikale’) und die ‘Schnüffelpraxis’ des Verfassungsschutzes, befürwortet dieses Spektrum nun prinzipiell weithin den Einsatz des gesamten Instrumentariums der streitbaren Demokratie: Verbotsantrag gegen die AfD oder nur gegen deren ostdeutsche Landesverbände; Ausschluß von staatlicher finanzieller Finanzierung der AfD; Verbot der Jungen Alternative durch die Exekutive; Verwirkung der Grundrechte für Björn Höcke; keine Einstellung von AfD-Mitgliedern in den öffentlichen Dienst. Wird davor zurückgeschreckt, dann aus taktischen Gründen.“ (Eckhard Jesse, emeritierter Professor der Politikwissenschaft)

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Mein Vorschlag wäre, den Gebrauch des Wörtchens „sogenannt“ für die nächsten zehn bis zwanzig Jahre zu verbieten.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 12. April in der JF-Ausgabe 16/24.