In den 1980er Jahren testet die Firma Pietsch-Automatisierungstechnik im Auftrag der Bundeswehr die optimale Laufwerksleistung von Panzern. Umsetzbar war das Konzept letztlich nicht. Auch für den mit zwei Kanonen ausgerüsteten Jagdpanzer, den das Bundesamt für Wehrwirtschaft und Beschaffung testen ließ, gab es keine Zukunft. Scheiterte der Laufwerksversuchsträger K-1 am unlösbaren Widerspruch zwischen technisch Machbarem, Alltagstauglichkeit und Massenproduktion, so attestierten die Fachleute den Zwillingskanonen-Panzer eine geringe taktische Flexibilität und kaum erfüllbare technischen Voraussetzungen. Das Fahrzeug sollte ähnlich wie beim Skifahren wedeln und dabei aus seinen Kanonen feuern. Ungeeignet für Angriff und Aufklärung, lautete am Ende das Urteil der Experten.
Zukunftsträchtiger waren die Senkrechtstarter, die die Bundesrepublik Anfang der 1960er Jahre entwickelte. Die überschallschnellen Abfangjäger besaßen schwenkbare Triebwerksgondeln an den Flügelenden und sollten nach einem angenommenen Atomschlag von provisorischen Pisten starten können. Der erste Überschallflug fand am 29. Juli 1964 statt. Drei Jahre später wurde das Projekt eingestellt, weil sich die Nato-Doktrin verändert hatte.
Eine Attrappe der Pilotenkanzel ist aktuell in einer Halle des Militärhistorischen Museums der Bundeswehr in Dresden zu sehen. Ebenso der Laufwerks-Versuchsträger für Panzer und der doppelrohrige Jagdpanzer sowie weitere Waffensysteme, die letztlich als zu teuer, zu fortschrittlich oder zu komplex zu den Akten gelegt wurden.
Im Außenbereich des Museums stehen sich Panzer gegenüber
Bahnbrechendes hatten deutsche Waffentechniker bereits in den letzten Jahren des Zweiten Weltkriegs entwickelt. Neben den Raketenwaffen und neuen Antriebssystem bei Flugzeugen und U-Booten beispielsweise die ab August 1943 eingesetzte funkferngesteuerte Gleitbombe Henschel Hs 293, mit der die Luftwaffe mehr als 30 alliierte Kriegsschiffe beschädigt oder versenkt und die bis zur Einführung der französischen Exocet dreißig Jahre später der erfolgreichste Lenkflugkörper war. In der Erprobung waren sogar eine elektrische Drahtlenkung mit Tonfrequenzsteuerung und eine Fernsehbild-Steuerung – die Kursberechnung sollte mittels der von Konrad Zuse entwickelten Spezialrechner 1 und 2 mit Analog-Digital-Umsetzern erfolgen.
„Zu einer gesellschaftlich prägenden Entfaltung kamen diese Technologien – Raumfahrt, Computer und Düsenflugzeuge – aber erst in der Epoche des Kalten Kriegs“, heißt es in der Sonderausstellung „Overkill – Militär, Technik, Kultur im Kalten Krieg“ des Militärhistorischen Museums. Das Dresdner Haus fährt – auch dank des reichen Bestandes des NVA-Vorgängermuseums – im Außenbereich das gesamte Großgerät auf, das bereits in den beiden sich bis 1990 verfeindet gegenüberstehenden Militärblocks im Einsatz war, dessen grundlegende Konzepte aus den sechziger und siebziger Jahren stammen und die einschließlich des aktuellen Rußland-Ukraine-Krieges – 90 Prozent der dort eingesetzten Waffen stammen aus der Ära des Kalten Krieges – noch immer weltweit im Einsatz sind.
In Dresden stehen sie sich mit sich kreuzenden Rohren im Außenbereich gegenüber: Panzerhaubitzen, Kampf-, Schützen- und Flugabwehrpanzer. Auffallend ist, daß beim reinen Vergleich der Waffensysteme die sowjetischen den westlichen überlegen scheinen. Der Flugabwehrpanzer Schilka, gebaut ab 1968, mit vier eng stehenden 23-mm-Kanonen, Schußfolge 3.600 Schuß pro Minute, wirkt mit 19,4 Tonnen wie ein Leichtgewicht gegenüber dem 47,5 Tonnen schweren Gepard B2L, der über zwei 35-mm-Maschinenkanonen verfügt.
Während es zu Friedenszeiten in keinem der sich verfeindet gegenüberstehenden Militärpakte Verluste an Panzerkampfwagen gab, sind die der fliegenden Atombombenträger Mig-21 und F-104 beträchtlich. Die DDR-Luftstreitkräfte verloren während des Kalten Krieges 126 dieser Jäger (knapp 23 Prozent und mindestens 54 Tote) durch Unfälle, die Bundesluftwaffe sogar 269 F-104 (116 tote Flieger). Der bekannteste deutsche Pilot, der sich per Schleudersitz retten mußte, ist Unterleutnant Sigmund Jähn, der später als „der erste Deutsche im All, ein Bürger der Deutschen Demokratischen Republik“ gefeiert wurde.
Dresden stand auf einer atomaren Vernichtungsliste
Das Wettrüsten von Nato und Warschauer Pakt ist das zentrale Thema der bisher größten Sonderausstellung des Museums. Gezeigt wird nicht nur die Entwicklung und den Wandel von Technologien auf, sondern die Kuratoren hinterfragen auch die Rolle, die Militär, Gesellschaft und Kultur dabei spielten: vom unbedingten Fortschrittsglauben der westlichen Nachkriegsgesellschaften über die Weltuntergangsstimmung, bis zur sich ausbreitenden Skepsis gegenüber den angeblichen Segnungen des technologischen Fortschritts.
„Die Welt im Alarmzustand – Atom, Raketen, Düsenjäger“ heißt es auf einem ausgestellten Plakat in schwarzer und weißer Schrift auf rotem Grund. Zehn Jahre nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen und der mit ihnen verbündeten Streitkräfte – die letzten Kriegsgefangenen waren von Bundeskanzler Konrad Adenauer gerade aus der Sowjetunion zurückgeholt worden – wirbt es für den japanischen Science-fiction-Film „Godzilla kehrt zurück“.
Unter dem Filmtitel sind aus den Ruinen einer Stadt fliehende Menschen zu sehen. Es hätten die Einwohner Dresdens sein können. Denn die von angloamerikanischen Bombern in einem beispiellosen Akt des Luftterrors in der Nacht zum 14. Februar 1945 komplett zerstörte Großstadt stand 1956 später erneut auf einer Vernichtungsliste der US-Amerikaner: Sie gehörte zu jenen 500 Orten in der DDR, die Washington als potentielle Ziele für Atombombenschläge vorgesehen hatte. Geflogen hätten die Einsätze wohl Piloten der Bundesluftwaffe.
„Das Rennen“ haben die Kuratoren jenes Kapitel überschrieben. Das konventionelle und atomare Wettrüsten erreichte letztlich seinen Höhepunkt – die Schau zeigt eine acht Meter lange Atombombe – ohne daß eine der beiden Supermächte einen entscheidenden Vorteil für sich erzielen konnte. Letztlich waren die Arsenale mit atomaren Massenvernichtungswaffen überfüllt. Die angesammelten Atomsprengköpfe reichten aus, die Welt mehrfach zu vernichten – Overkill.
Die Einigung von US-Präsident John F. Kennedy und UdSSR-Regierungschef Chruschtschow leitete eine Etappe ein, die in der Ausstellung „Die Grenze“ überschrieben ist und allgemein als „Gleichgewicht des Schreckens“ bezeichnet wird. Im dritten Ausstellungsteil „Die Reflexion“ werden die erstarkende Friedensbewegung thematisiert, die sich gegen die Stationierung von Pershing- und SS-23-Mittelstreckenrakenten vor allem auf deutschem Staatsgebiet richtet. Andererseits seien durch das Militär beträchtliche Teile des Staatseinkommens in neue Technologien investiert worden – Mobiltelefone, Computer und Satellitennavigation – all diese Innovationen wären ohne den Kalten Krieg nicht da, sagt Museumsdirektor Oberstleutnant Rudolf Schlaffer.
Das Wettrüsten mit den USA stand letztlich die sowjetische Wirtschaft nicht durch, das kommunistische System brach zusammen und die neu entstandenen Staaten erbten riesige, hochmoderne Rüstungsindustrien. Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine, deutsche Waffenhilfe und russische Atomwaffendrohungen sollten Besucher sich die Zeit nehmen, auch die Dauerausstellung über die Kulturgeschichte der Gewalt zu besichtigen, insbesondere jenen Teil mit Prothesen und den Fotos Kriegsversehrter. Und dann natürlich die Spitze des den Museumsaltbau überragenden Libeskind-Keils betreten und über Dresden schauen – eine Kulturstadt, deren vernarbtes Antlitz von dort oben noch immer gut zu erkennen ist.
Die Ausstellung „Overkill“ ist bis zum 30. Juni 2024 im Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden, Olbrichtplatz 2, täglich außer mittwochs von 10 bis 18 Uhr, montags bis 21 Uhr, zu sehen. Tel.: 03 51 / 823-28 50
www.mhmbw.de
Foto: „Stop, Nukleares Inferno in einer sterbenden Großstadt“, Ölgemälde von Heinz Wagner, DDR 1982: Washington hatte 500 potentielle Ziele in der DDR vorgesehen