© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Popmusik und Lobpreis
Gebetshaus Augsburg: Wie eine junge Bewegung den christlichen Glauben erneuern will
Lorenz Bien

Wuhuu“, jubeln einige junge Frauen aus den hinteren Reihen des Gebetsraums und recken ihre Arme in Richtung der Bühne. Dort steht der Missionar Tobias Braun und lächelt. Man könnte meinen, daß die Reaktionen ihn zum Schmunzeln bringen, tatsächlich aber sitzt es ihm schon im Gesicht, seit er das Mikrofon in der Hand hält. 

Gerade eben hat er die „Fire in the Night“-Veranstaltung erwähnt und damit den Jubel ausgelöst. Bei der Veranstaltung gebe es die einzigartige Möglichkeit, tief in eine der Nachtwachen, also das Gebet während der Nacht, einzutauchen, erklärt Braun: „Es gibt da ja zwei Arten von Menschen. Die einen sind froh, wenn die Zeit der Nachtwachen vorbei ist und sie wieder in ihren normalen Biorhythmus finden. Und dann gibt es die anderen, wenn man da die Nachtwache erwähnt, dann sieht man direkt das Leuchten in ihren Augen.“

Dort wo sonst die hauseigenen Missionare den Herrn lobpreisen, sitzen, knien oder stehen dann jugendliche Besucher. Falten ihre Hände, oder halten sie geöffnet in die Luft, ähnlich wie es orthodoxe Gläubige machen. Denn unbesetzt darf der Gebetsraum nicht bleiben: Seit September 2011 wird dort ununterbrochen gebetet, 24 Stunden am Tag.

Das Gebetshaus wirkt von außen kaum wie ein Ort der Ekstase

Es ist eine unerwartete Frömmigkeit, die hier in einem Industriegebiet im bayerischen Augsburg Einzug gehalten hat. Das „Gebetshaus“, ein grauer, viereckiger Kasten zwischen Autohäusern und -lackierereien, wirkt von außen zunächst kaum wie ein Ort der Ekstase. Fast könnte man es für ein weiteres Gewerbe halten; ein Bürogebäude oder eine Lagerhalle. Doch bereits die Eingangshalle zerstreut diesen Eindruck. Junge Leute wuseln umher, an einer Reihe von Schränken lassen sich Bücher erwerben und etwas weiter hinten bietet ein Café Kuchen, Sandwiches und Pizza an. Das Publikum ist jung, bürgerlich und hip, irgendwo zwischen studentischem Chic und durchschnittlicher Freizeitkleidung. 

Der Gebetsraum ist im ersten Stock. Eine kleine Halle mit niedriger Decke, in Weiß und Gold gehalten und mit abstrakten Ornamenten an den Wänden. Im Jahr 2021 erhielt der Raum eine Ehrenerwähnung der Jury des „German Design Awards“. Der Gründer, der Theologe und Philosoph Johannes Hartl, habe hier eine „bemerkenswerte Designleistung“ und ein „Kloster der Moderne“ geschaffen, befanden die Jurymitglieder.Missionar Braun lacht noch immer und bewirbt weitere kommende Veranstaltungen. Ein Training zum „ganzheitlichen Gebet“ und die von Braun selbst geführte zehnmonatige „Flame-Academy“, deren Erwähnung weiteren Jubel auslöst. 

Zwischendurch: Musik, fast 40 Minuten lang. Christlicher Pop nach amerikanischem Vorbild, mit deutschen und englischen Texten und teilweise etwas penetrant fröhlich-harmonischen Melodien. Die Besucher scheint es zu begeistern, viele kennen die Lieder offenbar komplett auswendig und singen jedes Wort ergriffen mit.

„Vielleicht warst du schon einmal mit einer Gruppe von Leuten auf einem Berg und hast den Ausblick genossen. Spannenderweise kommt irgendwann immer irgend jemand auf die Idee zu sagen ‘Boah, ist das schön’. Warum eigentlich?“, fragt der Missionar in die Runde. „Ich glaube, das ist so, weil wir in dem Moment staunen. Und weil dieses Staunen in uns irgendwann raus muß. Ich glaube, das ist Lobpreisung. Und auch wir treffen uns hier, um zusammen zu staunen.“ Es folgt wieder Musik, verträumte Melodien und Texte über die Gnade Gottes. Irgendwie wirkt das wie moderne Eventkultur, irgendwo aber auch sehr archaisch. Im Gebetshaus steht der Ritus im Zentrum und die persönliche, enge Erfahrung mit dem Göttlichen. 

Daß das nicht nur Pose ist, verraten die Gespräche, die die Besucher zwischen Liedern und Vorträgen miteinander halten. „Ich spüre einfach, daß Gott mich liebt und mich durch Schwierigkeiten hindurchbringt“, erzählt eine etwa Mitte-20jährige Frau ihrer Gesprächspartnerin. „Gottes Liebe ist wie ein körperliches Gefühl“, betont der Träger einiger Rastafari-Locken.

Solche Glaubens-Ekstasen gefallen nicht jedem. Im Jahr 2018 warf die Freiburger Theologin Ursula Nothelle-Wildfeuer der Gruppe eine „sektiererische Ausrichtung“ vor. Es gehe „vorrangig um Lobpreis, um Fasten, um Gebet, um Bekehrung und um Hinwendung zu Gott in einem ganz engen abgekapselten Sinne.“ Solche „Glaubens- und Bekehrungserlebnisse“ würden eine Art „Elitenchristentum“ schaffen, bei dem man „den Verstand an der Garderobe“ abgebe. Hartl widersprach in einem kurzen Interview auf der Nachrichtenseite katholisch.de. Gerade im Gebetshaus lege man Wert auf theologische Bildung, und sich außerhalb der offiziellen Kirche zu organisieren, habe eine lange Tradition im Christentum. Eine Gefahr, sich sektenähnlich zu entwickeln, sehe er nicht. 

„Versektung entsteht dann, wenn man ein starkes Wir-Gefühl aufbaut und die eigene Unfehlbarkeit konstruiert, die sich vom Ganzen des Glaubens abschneidet. Ich wäre sehr dankbar, zu erfahren, wo das Gebetshaus da in Gefahr ist. Ich kann nichts erkennen. Ein Werk, das so ökumenisch zusammengesetzt und keine Kirche ist, wo man nicht einmal Mitglied werden kann, das Christen aus ganz unterschiedlichen spirituellen Provenienzen anspricht, dürfte relativ wenig in Verdacht sein, eine exklusive Einzelgruppe zu bilden.“Beim Gottesdienst ist jetzt jedenfalls erst einmal Elias Glaeser an der Reihe. Der ehemalige Ingenieur soll einen Vortrag halten. Als „Lebemann“ und frommen Christen zugleich stellt ihn Braun vor. Doch statt über Gott zu sprechen, baut Glaeser zunächst aus Bauklötzen einen kleinen antiken Bogen auf sein Sprecherpult. Der Bogen, betont er, sei deswegen ein derart beliebtes Bauelement, weil er von selbst halte – sofern der oberste Stein, der Schlußstein, genau zwischen die anderen passe.

Tue er das nicht, breche die Konstruktion schon bei leichtem Druck zusammen. Ein großer Teil der Menschen sei genau deshalb im Alltag derart fragil: weil sie den falschen Schlußstein einsetze. Es folgt eine Bibelexegese. Den richtigen Schlußstein, den verkörpere in der Christusgeschichte der Jünger Johannes, der verstehe, daß es in erster Linie darauf ankomme, daß Christus ihn liebe. Zerbrechlicher ist da Petrus, der in erster Linie stolz auf die Liebe sei, die er Christus entgegenbringt und die ihn zu Taten ansporne: auf dem Berg der Verklärung baut er drei Hütten und schwört dem Messias kurz vor dessen Verhaftung, notfalls auch für ihn sterben zu wollen. 

Ein Schicksalsschlag brachte ihn intensiver zum Glauben

Doch am Ende erweist sich der bescheidene Weg des Johannes als erfolgreicher. Während Petrus den Herrn dreimal verleugnet und anschließend beschämt flieht, wacht Johannes an den Füßen des gekreuzigten Christus und erkennt ihn nach der Auferstehung als erster. Wichtiger als Gott zu lieben, oder ein guter Christ zu sein, so schließt Glaeser daraus, sei es, sich durch Gott geliebt zu fühlen – das sei der Schlußstein, der alles zusammenhalte. „Mit  der Leistung versuche ich ja immer händeringend, mein Leben zu balancieren. Aber wenn ich weiß, daß ich, bevor ich irgend etwas tue, geliebt bin, dann stehe ich fest.“

„Wenn du etwas wirklich Kopflastiges, Theoretisches willst, mußt du mal kommen, wenn Johannes Hartl vorträgt. Er kann diese komplizierte katholische Theologie sehr gut auf den Alltag herunterbrechen“, erklärt Glaeser später im hauseigenen Café. Mittlerweile arbeitet er seit knapp vier Jahren dauerhaft im Gebetshaus. „Die beste Entscheidung meines Lebens.“ Christlich geprägt sei er auch vorher gewesen, durch die Familie. Aber die wirklich intensive Beschäftigung mit dem Glauben sei erst durch zwei Ereignisse gekommen: er habe die Vorträge von Johannes Hartl entdeckt und eine persönliche Krise durchlaufen. „Ich war einer von denen, denen immer alles leichtfiel. Gute Noten, viele Freunde, und ein erfolgreiches Studium.“ Ähnlich wie Petrus habe er sein gesamtes Selbstbewußtsein aus dem persönlichen Erfolg gezogen. So lange, bis eine gescheiterte Beziehung den wackeligen Bogen habe einstürzen lassen.

Mittlerweile hat sich um das Gebetshaus ein loses Netzwerk an Projekten und Veranstaltungen gebildet. Da gibt es das explizit christliche Festival „Mehr“, das zuletzt einige tausend Besucher anlockte. Oder die Veranstaltungsreihe „Eden Culture“, die sich gerade nicht an ein christliches Publikum richten soll. „Da geht es eher um das Weltanschaulich-Philosophische und wie man unsere Alltagskultur vielleicht verändern kann“, betont Glaeser. „Aufbauend auf einem christlichen Menschenbild, aber eben nicht explizit religiös.“

Politisch ordnet sich die Gruppe selbst nirgendwo ein. Als konservativ bezeichnet sie der Bayerische Rundfunk. Anknüpfungspunkte sind wohl vorhanden: In ihren Reden mahnen die Missionare ihre Anhänger, sich nicht auf schnelle und unverbindliche Beziehungen einzulassen, auch vor dem Einfluß der Pornographie wird gewarnt. Und wer sich beim Bücherverkauf des Hauses umsieht, entdeckt Titel wie „Weil ich es so will“, in dem homosexuelle Christen berichten, wie sie sich aus religiösen Gründen für die Abstinenz entscheiden.


Vom Mönch zum Missionar


Der Gründer des Gebetshauses Augsburg, Johannes Hartl, ist nach eigener Aussage „einer der einflußreichsten Vermittler zwischen christlicher Spiritualität, Philosophie und Psychologie im deutschsprachigen Raum“. 1979 in Metten geboren, promovierte der asketisch wirkende Hartl in römisch-katholischer Theologie und wollte Mönch werden. Doch 2001 heiratete er und wurde Vater von vier Kindern. Nach vielen Reisen und Besuchen, unter anderem im „International House of Prayer in Kansas City“, wie Hartl selbst schreibt, gründete er mit seiner Ehefrau Jutta das Gebetshaus in Augsburg.

Mit seinem Buch „Mission Manifest“ stieß Hartl 2018 eine Diskussion in der Katholischen Kirche über Neuevangelisierung an. „Es ist an der Zeit, daß Katholiken aufstehen und aus ihrem Schlaftabletten-Dasein rauskommen“, zitierte ihn 2018 die Erzdiözese Wien zu seiner Motivation. Mission Manifest versteht sich als Netzwerk, das überkonfessionell christliche Initiativen und Arbeitsgruppen zusammenführt. Bekehrung und Mission sollen Priorität haben. Erstunterzeichner des Manifests war unter anderem der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki.

Hartl, der auf Youtube 89.100 Abonnenten auf seinem Kanal „Gebetshaus“ hat, äußert sich zu allen Fragen des Lebens. In „Die Kunst, meinen Mann zu lieben“ gibt er 18 konkrete Tipps, wie zum Beispiel: „Du liebst einen Mann am besten, wenn du eine echte Frau bist“. 

Zu den Lebensweisheiten gibt es Merchandising-Produkte wie T-Shirts aus nachhaltiger Bio-Baumwolle mit dem Aufdruck „God is here“ für 35 Euro. Bis zu 11.000 Besucher kommen zu seinen einmal im Jahr stattfindenden „Mehr-Konferenzen“. (mec)

https://gebetshaus.org/