© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 14/24 / 29. März 2024

Die ignorierte Katastrophe
Demographie: Der dramatische Geburtenrückgang hat auch mit falschen politischen Weichenstellungen zu tun
Michael Paulwitz

In nur zwei Jahren, von 2021 bis 2023, ist die Geburtenrate in Deutschland abermals ungewöhnlich stark zurückgegangen – von 1,57 Kindern pro Frau auf nur noch 1,36 Kinder. Das ist der niedrigste Stand seit 15 Jahren, der stärkste Einbruch seit Jahrzehnten. Dramatischer noch als diese Zahlen ist das nahezu durchgängige öffentliche Desinteresse an Ursachen und Auswirkungen dieser Entwicklung. Der demographische Absturz Deutschlands ist die Katastrophe, die keiner sehen will.

Dabei ist längst berechnet und bekannt, wie fatal die Folgen sinkender Geburtenraten und damit einhergehender Überalterung für eine ausdifferenzierte Industriegesellschaft ausfallen. Das gilt besonders, wenn diese sich einen stark ausgebauten Sozialstaat leistet, der einen beträchtlichen Anteil der nationalen Wirtschaftsleistung beansprucht. 

Je schmaler die nachrückenden Alterskohorten ausfallen, desto geringer die Zahl der aktiven Steuer- und Beitragszahler, denen im Umlagesystem die steigende Last der Versorgung von rasch zunehmenden und zudem immer älter und pflegebedürftiger werdenden Rentnergenerationen zufällt. Der Offenbarungseid droht hier schon in wenigen Jahren, wenn die letzten der geburtenstarken Jahrgänge sich in den Ruhestand verabschieden. 

Drückender und schärfer wird auch der Mangel an qualifizierten und innovativen Arbeitskräften, die benötigt werden, um das hochkomplexe Räderwerk am Laufen zu halten. Die Rechnung, diese sozioökonomischen Faktoren durch Migration abzumildern, ist offenkundig nicht aufgegangen. Millionen Asylzuwanderer später ist die Klage über den „Fachkräftemangel“ lauter als zehn Jahre zuvor; unqualifizierte Zuwanderung in die Sozialsysteme hat die Lage vielmehr noch verschärft.

Daß Asylmigranten dereinst für Rente und Pflege betagter Einheimischer aufkommen würden, behaupten allenfalls noch verbohrte Migrationsideologen. Und obwohl die Massenmigration vielfach aus geburtenfreudigen Ländern erfolgt, hat sie zwar die absolute Bevölkerungszahl angehoben, aber die Geburtenrate nicht dauerhaft stabilisiert. Wie auch, wenn vor allem junge Männer mit geringer oder gar keiner Ausbildung, aber um so höherem Anspruchsdenken ins Land gelassen werden.

Die Verunsicherung der Deutschen durch „multiple Krisen“ sei schuld am neuerlichen Einbruch der Geburtenraten, mutmaßen die Autoren einer aktuellen Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) und nennen als wesentlichen Faktor den Ausbruch des Ukraine-Kriegs und natürlich die unvermeidliche „Klimakrise“. 

Ehrlicher wäre wohl gewesen, die mit dem Krieg begründete wirtschafts- und mittelschichtsfeindliche Politik als Ursache zu benennen, die steuerzahlende Normalbürger um ihre Arbeitsplätze fürchten läßt und mit drückenden Steuer-, Inflations-, Energiepreis- und Abgabenlasten in Zukunftsängste stürzt.

Erst recht fadenscheinig klingt das Argument, zu Beginn der Corona-Impfkampagne hätten viele aus Vorsicht ihren Kinderwunsch „verschoben“. Ein entsprechender Nachholeffekt ist indes nicht zu beobachten. Die naheliegende Frage, ob die millionenfache Impfung auch jüngerer Menschen mit gentechnischen Substanzen sich auf die Fruchtbarkeit ausgewirkt habe, fällt offenkundig unter ein Tabu.

Zeitgebundene, auf konkrete Ereignisse und Lagen zurückzuführende Einflüsse sind indes nur die eine Seite der Geschichte. Niedrige Geburtenraten sind kein neues Phänomen; in Deutschland liegen sie schon seit mehr als einem halben Jahrhundert unter der bestandserhaltenden Marke von etwas mehr als durchschnittlich zwei Kindern pro Frau. Bei der authochthonen Bevölkerung sind die Geburtenraten sogar noch einmal deutlich niedriger als bei Zuwanderern vor allem aus dem außereuropäischen Raum.

Auch andere europäische Länder haben mit besorgniserregend geringen Geburtenraten zu tun. Mancherorts, in Italien zum Beispiel, sind sie sogar noch niedriger als in Deutschland. Um so deutlicher sind dagegen die Unterschiede in der Wahrnehmung des Problems und in der Reaktion darauf.

Denn der demographische Niedergang hat Auswirkungen, die weit über fiskalische, sozioökonomische und technokratische Aspekte hinausgehen. Es geht, ganz grundsätzlich, um das Überleben der Familie als Freiheitsraum und Fundament der Persönlichkeitsbildung, um die Gefahr eines Abreißens der Weitergabe kultureller Traditionen und Prägungen.

Das ist kein überholtes Beiwerk. Auf dem Spiel stehen die ungeschriebenen Selbstverständlichkeiten, die ein Gemeinwesen jenseits von Verfassungs- und Gesetzestexten zusammenhalten, und nicht zuletzt geht es um die Frage, wie stabil eine Gesellschaft noch sein kann, wenn das atomisierte, aus dem Generationenzusammenhang gerissene Individuum die vorherrschende Existenzform wird. Versteht man unter „Zusammenhalt“ mehr als ein Propagandaschlagwort zur Mobilisierung von ideologischem Konformismus, ist das sogar die entscheidende Frage.

Die Signale, die von der deutschen Politik seit geraumer Zeit ausgehen, sind für Familien und Eltern alles andere als ermutigend. In der Amtsbezeichnung der Bundesfamilienministerin sind sie nur eine Zuständigkeit von vielen; die Ministerin selbst kümmert sich um keine davon, sie sieht sich lieber als „Gesellschaftsministerin“ zur Förderung und Behütung jeder noch so abseitigen Randgruppe und zur extensiven Finanzierung von „Zivilgesellschaften“ als Hilfstruppen im Kampf „gegen Rechts“.

„Familienförderung“ bedeutet in der politischen Praxis: Frauen als Steuerzahler mobilisieren. Mutterliebe und Kinderfürsorge wird zur „Care-Arbeit“ zweckrationalisiert, in die der Staat, wo es nur geht, hineinreden will, wenn er sie nicht gleich ganz an sich reißt. Kinderreichtum wird bei Erwerbstätigen steuerlich und abgabenrechtlich bestraft, im Sozialhilfebezug hingegen prämiert.

Die nämliche Staatsgewalt, die sich anmaßt, die Bürger zu unerwünschten Lebensstilen und zur Akzeptanz aller möglichen ideologischen Irrwege zu nötigen, hält es für einen Frevel, zu Familiengründung und Kindersegen zu ermuntern. 

Geburtenschwund und Überalterung sind aber nicht schicksalhaft, sie haben viel mit verklemmten politischen und weltanschaulichen Weichenstellungen zu tun. In Ungarn, Italien und anderen Ländern haben die politisch Verantwortlichen das erkannt und steuern entschlossen und mit Erfolg dagegen. Deutschland ist auch in dieser Hinsicht drauf und dran, sich auf dem Sonderweg in eine Sackgasse den Kopf einzurennen.