© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 13/24 / 22. März 2024

Wir müssen irgendwie mit ihr umgehen
Mustafa Suleyman und Michael Bhaskar weisen auf Möglichkeiten und Gefahren der Künstlichen Intelligenz hin, können aber auch keinen Königsweg über einen richtigen zukünftigen Umgang mit KI weisen
Dirk Engelhardt

Wow! Ein Buch, von dem die New York Times sagt, es sei eine umfassende Betrachtung der Zukunft der Künstlichen Intelligenz (KI) und anderer transformativer Technologien, eloquent artikuliert. Und ein wichtiger Typ von MIT und Harvard nennt es brillant – es konfrontiert uns mit der entscheidenden Frage unseres Jahrhunderts: Wie können wir sicherstellen, daß die atemberaubenden, schnellfüßigen technologischen Revolutionen, die vor uns liegen, die Welt so gestalten, wie wir es wünschen? Al Gore nennt das Buch gar tief recherchiert und hoch relevant, auch Bill Gates hat es angeblich quergelesen. Darf man also ein von derart wichtigen Menschen gepriesenes Buch überhaupt kritisieren? In den USA, wo das Buch im vorigen Jahr erschien, wurde es zum Bestseller hochgejubelt. Wie das geht, braucht hier nicht weiter ausgeführt zu werden. Lohnt es sich also, 28 Euro auf den Tisch des örtlichen Buchhändlers zu legen? Zumal es von zwei Autoren geschrieben wurde, die qua Lebenslauf etwas vom Thema Künstliche Intelligenz verstehen? 

Autor Mustafa Suleyman ist der Sohn eines Taxifahrers und einer Kinderkrankenschwester, er beendete das Mansfield College in Oxford im Alter von 19 Jahren ohne Abschluß. Was ihn aber nicht davon abhielt, die Firma Deep Mind Technologies zu gründen, die sich mit künstlicher Intelligenz beschäftigt. Diese konnte er 2014 für 400 Millionen Pfund an Google verkaufen. Der andere Autor, Michael Bhaskar, ist ein britischer Autor, der bereits Fachbücher zu den Themen digitales Publizieren und Informationsüberflutung verfaßt hat.

Für die deutsche Fassung des Titels „The Coming Wave“ hat sich der Verlag C.H. Beck nicht einmal die Mühe gemacht, einen deutschen Titel zu finden. Und schon der Klappentext liest sich ernüchternd: „Wir brauchen die K.I., um die Herausforderungen zu meistern, vor denen wir stehen, etwa den Klimawandel“, ist dort zu lesen. Im Ernst? Doch es geht weiter: „Was macht man mit einer Welle, die auf den Strand zurast und sich nicht aufhalten läßt? Man versucht sie zu kanalisieren.“ Der Leser dieses Klappentextes, der ja eigentlich Appetit auf das Buch machen soll, hofft inbrünstig, daß der Inhalt des Buches nicht auf diesem Niveau weitergeht.

Doch genau das ist der Fall. Grob zusammengefaßt läßt sich der Inhalt des Buches in drei Sätzen zusammenfassen: Die Welle kommt. Wir können sie nicht aufhalten. Wir müssen irgendwie einen Weg finden, um mit ihr umzugehen. Das Ganze ist dann auf 377 sehr eng beschriebenen Seiten breitgewalzt. Und an vielen Stellen liest es sich so, als hätte Suleyman das Buch nicht selbst geschrieben, sondern eine KI beauftragt. Oder vielleicht schreiben Menschen, die sich beruflich tagein, tagaus mit KI beschäftigen, am Ende selbst so?

Die interessanteren Kapitel sind die, in denen Suleyman von seinem Berufsleben erzählt. Eher langweilig sind die geschichtlichen Ausflüge, denn die meisten Leser wissen wahrscheinlich bereits, wie neue Technologien wie der Webstuhl oder die Eisenbahn die Welt veränderten. Und wie KI die Militär- oder  Gesundheitspolitik verändern kann, hat man auch schon oft in anderer Form gelesen. Im Kapitel „Das Dilemma“, relativ gegen Ende des Buches, beschreibt Suleyman ausführlich, wo die KI überall schon eingedrungen ist. Antwort: Überall. Logischerweise wird dann am Ende die Frage gestellt, was zu tun ist, um „das Dilemma“ zu bewältigen. Bevor Suleyman hier wieder sehr ausführlich zehn Schritte zur Eindämmung der „Welle“ ausführt, warnt er, daß dies „kein Plan“ sei und „schon gar keine Sammlung endgültiger Antworten“. Also – was dann?

Mustafa Suleyman, Michael Bhaskar: The Coming Wave. Künstliche Intelligenz, Macht und das größte Dilemma des 21. Jahrhunderts. Verlag C.H. Beck, München 2024, gebunden, 377 Seiten, 28 Euro